Was war. Was wird.
Ist das nur eine weitere Aufführung im Kasperltheater einer selbsternannten digitalen Elite? Oder wachen wir bald auf und alles ist gut? Hal Faber glaubt nicht daran, träumt dafür noch ein bisschen weiter.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** John le Carré, der große Goethefan, schrieb einmal zu seinen Spionage-Romanen, dass die von ihm erlebte Arbeit im Geheimdienst mitunter so skurril war, dass jede Schilderung dem Leser unglaubwürdig erscheinen würde. Vergleichbares erlebt derzeit die IT-Branche. Nein, ich meine nicht Tablets, die so aussehen, wie sie nun mal aussehen, und sich daher in Nichts auflösen. Oder Facebook-Buttons, die das sind, was sie sind, aber nicht sein dürfen, weil sie nicht das machen, was Datensammler wollen, und dann doch nur ein bisschen ein anderes Gesicht bekommen müssen, um Datensammlern zumindest etwas Benehmen beizubringen. So, so. Buttons, die sind, was sie sind, müssen vorgeben, etwas anderes zu sein, dass die User nicht verwirrt werden, und die echte Funktion nicht mit der wahren Funktion verwechseln. Nun, Verwirrung war schon immer ein probates Hilfsmittel derjenigen, die etwas zu verbergen haben. Man weiß nicht, ob man weinen oder lachen soll; man weiß nicht, ob Facebook-Buttons tatsächlich der Ernst der Welt und Informanten-Schutz nur ein weiterer Witz im Kasperltheater einer selbsternannten digitalen Elite ist. Oder ist alles doch ganz anders, wir wachen auf, und alles wird gut? Wohl nicht. Le Carré steh' uns bei.
*** Wikileaks jedenfalls, einst angetreten als Garant für den maximalen Whistleblower-Schutz, liegt am Boden. Ein Passwort, das in einem nun auch schon sieben Monate alten Buch veröffentlicht wurde, entpuppt sich als das Master Password der Whistleblower, das im Jahre 2010 benutzt wurde und einfach wiederzuerkennen war. Noch schlimmer: Es gibt eine Datei mit allen unredigierten US-Depeschen, die mit dem Passwort geöffnet werden kann. Gründlicher kann man die Idee des Whistleblower-Schutzes nicht ad absurdum führen. Eigentlich sollten "Medienpartner" prüfen und veröffentlichen, reputierliche Namen wie Spiegel und Guardian klopften bei Wikileaks nach dem Erfolg von "Collateral Murder" an und wurden gnädigst zugelassen. Welche Gelder dabei flossen, ist sinnigerweise immer noch geheim, weil zumindest Bargeld kein Passwort braucht. Sonst wäre es vielleicht auch bekannt . Mit einer gemeinsamen Erklärung haben sich die "Medienpartner" von Wikileaks distanziert, nachdem die Aktivisten die Konsequenzen aus dem Whistle-GAU zogen und selbst den Inhalt der Datei in alle Welt verteilten. Die Medienpartner zeigen sich nachtragend, wenn sie erklären, dass diese Art von Veröffentlichung die "alleinige Entscheidung des Wikileaks-Gründers Julian Assange" sei. Kein Wort der Reue für die absolut blödsinnige Entscheidung, ein echtes Passwort in einem Buch zu veröffentlichen? Hätte nicht "Julian Assange ist nett, !einself!1" gereicht, mit dem Einbau-Zusatz ", aber gaga"? Selbst wenn, wie behauptet, das Passwort nur temporär gelten sollte, gibt solch eine Phrase immer noch Aufschluss darüber, wie jemand Passworte aufbaut. Statt Niedertracht regierte Nichtsahnung, auch bei Gründer Julian "Mad Proff" Assange, der ein Tool wie Rubberhose entwickeln wollte.
*** Seit Ende März zirkulierten recht eindeutige Hinweise auf den GAU in der Szene der IT-Journalisten, wo man sich einig war, die Sache nicht zu erwähnen. Es passt ins Bild, dass erst mit der hinreichend konkreten Beschreibung durch einen neuen Medienpartner, diesmal von Openleaks, der Brocken ins Rollen kam, der Wikileaks plättete. Der Hinweis von Whisleblowing-Experten, dass Whistleblowing als Idee nicht tot sei, weil sich Whistleblower wieder persönlich an Journalisten wenden können, ist nach diesen Partnerschafts-Spitzenleistungen ein schlechter Witz. Journalisten beherrschen ihre Werkzeuge nicht und auch nicht die Konzepte der Schutzmaßnahmen. Sie werden dabei von Hackern beraten, die mit verletzten Eitelkeiten untereinander Kleinkrieg führen: Situation normal, alle Fragen ungeklärt (SNAFU). Das kling hart, muss aber vor dem Hintergrund gesehen werden, dass es beim Whistleblowing mehr und mehr auf digitale Artefakte ankommt. Die Zeiten, in denen ein Fax in der Redaktion aufschlug und nur die Kennung weggeschnitten werden musste, sind längst vorbei. Wer sich vor diesem Hintergrund anschaut, was in der Journalistenausbildung gelehrt wird, muss schluchzend zum Strick greifen. da mögen noch so viele Privacy-Boxen aufgestellt sein: Sie nutzen nichts, wenn das Verständnis für die Konzepte fehlt. Der schüchterne Journalist, der sich in der Telefonzelle umzieht, braucht als Superman halt keine Verschlüsselung. Aber wo gibt es noch Telefonzellen?
*** Vergessen wir Superman. Wie war das noch mit Spiderman? Im Jahre 1977 erschien ein Comic, in dem der Spinner von seinem Gegensacher, dem superbösen Kingpin, mit einer elektronischen Handfessel geknechtet wurde: Kingpin konnte auf einem Monitor immer sehen, wo Spiderman war, der seinerseits die Fessel nicht abnehmen durfte, da dies eine Atombombe zünden sollte. Der Comic wurde von einem Juristen gelesen, dem Haftrichter Jack Love, der im US-amerikanischen New Mexico die Firma "National Incarceration Monitor and Control Services" gründete, um eben diese Spiderman-Fessel für Häftlinge zu entwickeln, nur ohne Atombombenzünder. Heute ist seine Produktidee Wirklichkeit geworden: In schwedischen Gefängnissen tragen die Insassen Handfesseln, um jederzeit vom Wachpersonal lokalisiert werden zu können. Bei uns soll die Technik, als Fußfessel etwas unauffälliger getragen, bundesweit von Bad Vilbel aus kontrolliert zum Einsatz kommen. Wie das Bild rechts zeigt, nehmen die Juristen in Baden-Württember die Sache sportlich wie ein Fußballspiel mit Fouls und Roten Karten samt Platzverweisen. Pech nur, dass die nötigen Gladiatoren fehlen, an denen sich 11 Millionen Schwaben entzücken können.
*** Julian Assange, Superman, Spiderman, wer fehlt in dieser Reihe der Titanen? Richtig, der Mann mit dem Extra-Hirn als Aktivatorchip im Nacken, Perry Rhodan, der am 8. September 50 Jahre alt wird. Das erste Heft, das erzähltechnisch mit dem Jahre 1971 startete, wurde von K.H. Scheer geschrieben, wegen seiner Landser-Hefte auch als "Handgranaten-Herbert" bekannt. In dieser Hinsicht war sein Perry Rhodan eine Aufarbeitung alter Größe und der Begriff "Ersatz-Hitler" nicht sonderlich weit hergeholt. Wie aus dem Titel "Ersatz-Hitler aus dem All" "Der Weltraum als Modelleisenbahnkeller" werden konnte, verdient besondere Beachtung in einer Zeit, in der die Reichsflugscheibe auf einem Hacker-Camp landen konnte. Da passen die Geschichten aus dem Perryversum allerbestens: Wo sonst gibt es einen Geschichten-Zyklus, in dem eine "Info-Seuche" Tiere und Pflanzen des Solarsystems intelligent macht? Auf so einen Virus warten wir schon lange. Wobei die intelligente Seuche bei Perry Rhodan eigentlich nur darauf aus war, den Menschen auszurotten und durch Affen zu ersetzen.
*** Im befreiten Libyen häufen sich die Hinweise, dass das Internet mit westlicher Hilfe überwacht wurde, erstaunlich enge Beziehungen der Geheimdienste inklusive. Kommentatoren sprechen von der Unterdrückung 2.0, einem System, von dem unsere Stasi immer geträumt hatte. Während seinerzeit in Ägypten die verdächtige Spur nach Deutschland führte, ist diesmal offenbar Frankreich als der willfährige Software-Lieferant ausgemacht. Doch ist die jeweils kontraktierte Firma nur eine Seite der Medaille. Die andere, das sind die Spezialisten für Überwachungstechnik, die ganz im Sinne nachhaltiger Entwicklung in die Länder zur Hilfestellung geschickt werden. Wie im Link gelesen werden kann, kommt Deutschland seiner Verpflichtung nach. Wie schrieb Simmel nochmal in seinem Spionageroman? "Es muss nicht immer Panzer sein"? Genau. Geschäft ist Geschäft und niemand findet es etwas besonderes, wenn IBM den Geheimdienst-Lieferanten i2 für Big Data Analytics kauft. Als Identity Intelligence gestartet, ist die Ausgründung der NSA mit vielen Regierungen gut im Geschäft.
Was wird.
Geschäft ist Geschäft: Mit Tusch und Trommelwirbel wird jetzt schon das Jubiläum zum 11. September angegangen. Besonders apart ist eine Informationsserie mit Zeitzeugenvideos, die das Bundesinnenministerium anbietet, weil der islamistische Terror so nachhaltig ist. Vor dem großen Datum erscheint am 6. September das Buch "Top Secret America" basierend auf einer Reihe von Reportagen der Washington Post, die in dieser kleinen Wochenschau schon einmal erwähnt worden sind. Erste Rezensionen zeigen, wie geschockt manche US-Leser von der schlichten Tatsache sind, dass der "Krieg gegen den Terror" völlig außer Kontrolle geraten ist und nicht etwa neue Opfer, sondern immer neue Organisationen mit riesigen Etats erfordert. God bless America? Wie wäre es mit einer kleinen Info-Seuche für Menschen inklusive Bedienungsanleitung für den eigenen Verstand?
Seit dieser Woche wird der elektronische Aufenthaltstitel für unsere lieben Mitbürger außerhalb der EU ausgegeben, mit der sie in den Genuss der Nicht-Leistungen kommen, die die deutschen Umbürger mit dem sicheren neuen Personalausweis genießen. Mit Preisen ab 110 Euro ist das Kärtchen für Ausländer zwar etwas teurer als das alte Klebeetikett, aber dafür können ab sofort unsere lieben ausländischen Mitbürger genau wie wir auf die vom BAMF ausdrücklich erwähnte qualifizierte elektronische Signatur warten. So etwas verbindet, liebe Türken und Inder. Beschwerden, dass die eigentlich unter diese Regelung fallenden Schweizer ausdrücklich ausgenommen werden, weil ihre Finger durch Sportarten wie das Unspunnensteinwerfen nicht lesbar sind, sind einfach kleingeistig. Schließlich helfen die Schweizer, anders als die Inder, bei der Sicherung von Schengen mit. Außerdem sprechen sie etwas, das anders als das gute Deutsch unserer Mittürken und Mitinder kein Deutscher versteht und sind so schneller zu identifizieren als mit einer Chipkarte. (jk)