Watch Dogs im Test: Spaß in der Überwachungs-Stadt
Mit einem halben Jahr Verspätung kommt Watch Dogs heute in den Handel. Wir haben die fertige Version des Spiels bereits getestet und klären, ob das Spiel dem Hype gerecht wird.
Ein spätes Spiel ist nur so lange spät, bis es auf den Markt kommt. Ein schlechtes Spiel bleibt jedoch immer schlecht. Man darf Ubisoft also gratulieren, dass sie sich trotz des Erfolgsdrucks zum Weihnachtsgeschäft dagegen entschieden hatten, das Open-World-Spiel Watch Dogs zu früh in die Läden zu bringen. Im Interview gaben die Entwickler an, an allen Ecken und Enden gefeilt zu haben, damit die vielen verschiedenen Spiel-Elemente auch funktionieren. Das ist ihnen – zumindest auf spielerischer Ebene – gut gelungen. Die Story und inhaltliche Aufbereitung des Themas Totalüberwachung lassen allerdings zu wünschen übrig.
Wer Assassin's Creed kennt, der weiß, dass Ubisoft gerne viele kleine Mini-Spiele in ein großes Abenteuer verpackt, so auch hier in Watch Dogs. Es verknüpft Schießereien und Autorennen, wie man sie von GTA kennt, mit Hackern und Cyber-Attacken und garniert das ganze mit unzähligen kleinen Zusatzaufgaben und Mini-Spielen.
Watch Dogs (6 Bilder)
(Bild: Ubisoft)
Die Handlung spielt in der nicht allzu fernen Zukunft. Die Stadt Chicago hat ihre Infrastruktur dem Computersystem ctOS übertragen. Es kontrolliert Ampeln, Brücken, Geldautomaten, Strom-Generatoren, Kameras und Sicherheitsrechner. Die Spielfigur Aiden wird mit Hilfe seines Smartphones zum Superhelden. Damit kann er die Kontrolle von Kameras übernehmen, sich in die Smartphones von Passanten einklinken und deren Konten leer räumen oder Ampeln und Strom-Generatoren manipulieren und die Stadt ins Chaos stürzen. Damit die Hacks das actionreiche Spiel nicht ausbremsen, muss der Spieler nichts weiter tun, als das Ziel anzuvisieren und für ein bis zwei Sekunden einen Knopf zu drücken, schon ist er drin. Aiden ist also mehr ein Skipt-Kiddie als echter Hacker.
Wie in GTA kann der Spieler die ganze Stadt frei erkunden. Dazu klaut er einfach das nächste Auto, gibt auf der Karte sein Ziel ein und folgt den blauen GPS-Pfeilen auf der Straße. In puncto Lebendigkeit kann die Stadt-Simulation von Watch Dogs durchaus mit dem GTA-Vorbild mithalten. Es herrscht geschäftiges Treiben, immer mal wieder nimmt einem eine Computerfigur die Vorfahrt oder springt nicht rechtzeitig zur Seite, wenn man eine Abkürzung über den Bürgersteig nimmt. Das alles sieht trotz der etwas detailarmen Texturen recht hübsch aus und läuft zumindest auf der getesteten PS4-Version flüssig. Ob das Ganze nun in 900p oder 1080p läuft, kann einem völlig egal sein. Einzig die Audio-Ausgabe nervt zuweilen mit sich allzu oft wiederholenden Sprach-Samples. Auch die Musik-Auswahl im Smartphone kann nicht mit den Radiostationen eines GTA mithalten. Das typische Cruisen durch die Stadt, bei dem man den lustigen Sprüchen von Radiomoderatoren lauscht, fällt also flach.
Straßen-Rowdy und Skript-Kiddie
So fehlen Watch Dogs zwei wichtige Komponenten, die Rockstars Gangster-Simulation groß gemacht haben: Der Glamour und die Ironie. Wo die Welt von GTA voll ist mit ausgeflippten Typen und bissigen Anspielungen, sodass es einfach Spaß macht, jeden Winkel zu erkunden, wirkt Watch Dogs' Chicago austauschbar. Auch den Charakteren fehlt es an Charisma. Hauptfigur Aiden ist nicht nur ein Super-Hacker, er ist auch Parcours-Künstler, Waffen- und Bomben-Experte und Stunt-Driver. Jenseits seiner Superfähigkeiten bleibt seine Figur aber farblos. Er will den Tod seiner sechsjährigen Nichte rächen, an die er sich immer wieder in Rückblicken erinnert. Ansonsten starrt Aiden ständig auf sein Smartphone, wenn er seine Schwester besucht oder durch die Straßen streift. Die Look-up-Bewegung hat es offenbar noch nicht bis Neu Chicago geschafft.
Etwas Witz bringt sein Buddy Jordi ins Spiel, wenn er auch bei weitem nicht den Durchknall-Faktor eines Trevors aus GTA V erreicht. Und natürlich darf auch eine gepiercete und tätowierte Hackerin nicht fehlen – an Klischees mangelt es Watch Dogs wahrhaftig nicht. Aber es fehlt den Figuren an Ecken und Kanten, durch die man sich später an Sie erinnern würde. So verflacht denn auch eine eventuelle Kritik an der Totalüberwachung, welche die Presse-Brochüre zum Spiel anspricht. Als Watch Dogs vor fünfeinhalb Jahren in der Entstehungsphase war, wusste noch niemand, wer Edward Snowden war und wie weit der Abhörskandal um die NSA seine Kreise zieht. In Watch Dogs bildet das Thema aber lediglich den Rahmen eines großen Spielplatzes, der dem Spieler einen möglichst abwechslungsreichen Zeitvertreib bieten will. Er soll für seine Spielfigur möglichst das Beste rausholen, seine Fähigkeiten verbessern, Waffen und Geld anhäufen. Die soziale Sprengkraft des Themas, die in zahlreichen dystopischen Science-Fiction-Romanen und -Filmen durchaus auch unterhaltsam behandelt wurde, verpufft hier. Watch Dogs ist kein "V wie Vendetta".
Charakterschwäche
So schafft es die Story nicht, den Spieler in ihren Bann zu ziehen. Die Motivation, über 30 Spielstunden am Ball zu bleiben, kommt vielmehr aus dem Wunsch heraus, neue Funktionen auf dem umfangreichen Fähigkeitsbaum freizuschalten. Also dringt Aiden in gut bewachte Funkturm-Häuser des ctOS ein, fängt Konvois ab und schaltet andere Fixer aus – eine Art Kopfgeldjäger, die Jagd auf Hacker wie Aiden machen.
In den Schießereien kann Aiden nur wenige Kugeln einstecken, bevor der Spieler den letzten automatischen Speicherpunkt neu laden muss (was zum Glück recht schnell geht). Also klinkt er sich in die Kameras ein und springt auf Sichtkontakt von Kamera zu Kamera, bis er eine Autoalarmanlage, einen Gabelstapler oder ähnliches findet, mit dem er die Wachen ablenken und an ihnen vorbei schleichen kann. Hier ist durchaus strategisches Geschick gefordert, und man benötigt häufig mehrere Versuche, bis die Ablenkungen im richtigen Timing klappen. Die Kamera-Hacks und Ablenkungen der Wachen gehören somit zu den spielerischen Highlights. Kommt es zur Schießerei, muss man sich auf Überraschungen gefasst machen, denn mal agiert die KI recht schlau, mal lässt sie sich allzu leicht übertölpeln.
Hartnäckiger ist die Polizei in den Verfolgungsjagden. Bereits in den ersten Missionen setzt sie Hubschrauber ein und stellt Straßensperren auf. Schaut man dem Treiben auf der Karte zu, möchte man meinen, Pac-Man sei vor Inky, Blinky, Pinky und Clyde auf der Flucht, so oft muss man auf verzweigten Straßen Haken schlagen, bis man die Verfolger endlich abgehängt hat. Um sich nicht ständig bei qualmender Motorhaube ein neues Fluchtfahrzeug suchen zu müssen, sollte man Aidens Fahrerkünste alsbald aufbessern.
Immer online
Die Rennen sind auch in den diversen Multiplayer-Modi die Highlights, die angenehm nahtlos in die Solo-Kampagne integriert wurden. Entweder treten acht Spieler gegeneinander an oder ein Tablet-Spieler hetzt dem Spieler an Konsole/PC mit einer kostenlosen App (iOS/Android) die Polizei auf den Hals. Letzteres klappte zwar auf der PS4 gegen einen zufälligen Online-Spieler, von der iOS-App konnten wir aber bislang weder direkten Kontakt zu einem Spieler auf der Freundesliste aufbauen oder aber per "schnellem Spiel" nach einem mühsamen Anmeldungs-Marathon bei uPlay und PSN eine Partie gegen einen Zufallsgegner starten. Hier scheint es irgendwo auf den Servern von Ubisoft oder Sony zu klemmen. Die Partien auf der PS4 gegen einen App-Spieler entpuppten sich als harte Nüsse, aufgrund der harten Zeitlimits ist es äußerst schwierig, die Punkte in den Rennen zu erreichen, ohne vorher vom App-Spieler gestoppt zu werden. Hier ist noch etwas Feintuning bei der Balance nötig.
Gehen online acht Spieler mit Schießprügeln aufeinander los, zieht Watch Dogs gegenüber spezialisierten Ego-Shootern den Kürzeren, dafür ist die Zielsteuerung ohne Automatik zu ungenau. Natürlich kann man Watch Dogs auch offline spielen. Dann wird Aiden zuweilen von computergesteuerten Gegnern beschattet oder gehackt, was sonst andere Spieler übernehmen. Dieses Eindringen in die Solo-Spielwelt von außen lässt sich aber auch gezielt abschalten, sodass man nur an den expliziten Multi-Player-Partien teilnimmt und nicht in der Solo-Kampagne unterbrochen wird.
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Alle verschiedenen Mini-Spielchen aufzuzählen, von Schach-Problemen über Trinkspiele bis zu neon-grellen Augmented-Reality-Shootern, die zur Belustigung in den Parks und Plätzen der Stadt gespielt werden, würde den Rahmen sprengen. Wie in einem großen Spielekoffer ist rund die Hälfte ganz kurzweilig, während man die andere nach einmaligem Ausprobieren wieder vergisst. Verglichen mit Assassin's Creed ist die Spaßquote aber höher. Die Story entwickelt sich hingegen zäh und die Charaktere wirken blass – kein Vergleich zu dem Gag-Feuerwerk, das GTA in jeder Folge abfeuert. Spieler, die ausgiebig hacken wollen wie in Deus Ex, werden ob der simplen, auf schnelle Action getrimmten Implementierung enttäuscht sein. Wenn man jedes Auto einfach stehlen und jedes Bankkonto auf Knopfdruck abräumen kann, wird es bald langweilig, ein Super-Hacker zu sein.
Guter GTA-Klon
Auf der spielerischen Ebene reicht Watch Dogs zwar nicht an die GTA-Originale heran, schneidet mit seinen spannenden Verfolgungsjagden und den Ablenkungs-Stafetten per Kamera im Vergleich mit anderen GTA-Klonen aber gut ab. Die relativ nahtlose Integration der Online-Spiele ist gut gelungen, wenn auch das direkte Gegeneinanderspielen auf App und Konsole bei uns bislang noch nicht geklappt hat. Insgesamt erfüllt Watch Dogs sein Soll und macht über große Strecken Spaß. Es ist besser als manche befürchtet hatten, aber nicht die große Offenbarung, die manche erhofft hatten.
Denn das Thema hätte wahrlich mehr hergegeben. Ubisoft sollte sich hüten, in jährlichen Aufgüssen immer noch mehr Mini-Spielchen auf das Konzept zu kippen, wie in Assassin's Creed geschehen. Sie sollten vielmehr bessere Autoren anheuern, der KI ihre Launen austreiben und an den Spielelementen feilen, die den Kern des Spiels ausmachen. Den Rest lässt man besser weg, statt Spieler mit einem übergroßen extrinsischen Belohnungssystem dazu zu animieren, viele kleine Spielchen zu spielen, die an sich nur wenig unterhalten.
Update:
Inzwischen konnten wir auch mit der kostenlosen iOS-App "Watch_Dogs Companion: ctOS Mobile" (soll ebenso für Android erhältlich sein) erste Partien starten. Hier steuert der Spieler auf einer Karte einen Polizeihubschrauber und schickt Polizeifahrzeuge los, die den Spieler an einer Konsole oder am PC automatisch verfolgen. Doch die Spielbalance wirkt unausgegoren: Direkt auf der Straße gelang es uns bisher nicht, der von einem App-Spieler kontrollierten Polizei zu entkommen. Ebenso machte es auf der App wenig Müche, einen Watch-Dogs-Spieler zu stellen. Nach wie vor klappen nur Partien gegen zufällig ausgewählte Gegner. Eine Verbindung zu einem bekannten Account in der Freundesliste ließ sich nicht aufbauen.
(hag)