iPad: Entwickler mĂĽssen ihre Apps neu erfinden

Zwar dürften die allermeisten der 140.000 iPhone-Apps ohne Änderungen auf dem iPad laufen. Doch Apple stellt sich "Universal Applications", die für beide Geräteklassen optimiert sind, ganz anders vor.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 779 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.

Eine 1-zu-1-Ăśbernahme bestehender iPhone-Apps, hier die von heise.de, ist nicht gewĂĽnscht.

Zwar dürften die allermeisten der 140.000 iPhone-Apps ohne Änderungen auf dem iPad laufen. Doch Apple stellt sich "Universal Applications", die für beide Geräteklassen optimiert sind, ganz anders vor.

Eine iPhone-Applikation kann wahlweise in Originalgröße auf dem iPad arbeiten und damit nur etwa ein Viertel des Screens einnehmen oder per "2x"-Button auf die volle Auflösung hochskaliert werden, wodurch die Grafiken teilweise klobig und unscharf und Texte zu groß geraten. Entwickler müssen also mindestens die Oberfläche optimieren. Die ersten haben damit noch am Abend nach der Pressekonferenz begonnen und die Betaversion des iPad-SDK heruntergeladen. Die ersten Schritte sind damit schnell gemacht. Ein Klick auf "Transition" im SDK genügt, um die Auflösung der App von 480x320 in 1024x768 Pixeln zu ändern.

Doch wer seine App das erste Mal im enthaltenen Simulator startet, bemerkt bald, dass er nicht nur einen Bildschirm in völlig ungewohnten Ausmaßen vor sich hat, sondern auch sein bisheriges Bedienkonzept über den Haufen schmeißen muss, um den Anforderungen der "iPad Human Interface Guidelines" an eine "Beautiful App" gerecht zu werden. Es gilt, eine Applikation neu zu erfinden, ihr Bedien-Interface komplett anders zu gestalten, um nicht den Anschluss zu verlieren – und von dem erneuten Goldrausch zu partizipieren, den Apple vorhersagt.

Eine "Universal Application" muss beim Start und bei jeder Verwendung eines Bedienelements unterscheiden, ob sie auf dem iPhone/iPod touch oder auf dem iPad läuft. Sie muss einerseits den kleinen Bildschirm platzsparend und effizient nutzen und andererseits das 10-Zoll-Display mit geänderten Inhalten und neuen Bedienelementen sinnvoll füllen. Wie die aussehen, hat Steve Jobs auf der Pressekonferenz anhand der iPad-Standardapplikationen vorgeführt. In Fotos kann der Nutzer per Spreiz-Geste einzelne Bilderstapel vergrößern statt wie bisher den gesamten Bildschirm. Das Mailprogramm stellt Nachrichten als "Split View" dar: links die Übersicht aller Mails, rechts die jeweils ausgewählte einzelne Mail. In Safari erscheinen die Bookmarks als "Popover", als Fenster, das sich über die Webseite legt. Auf dem iPhone nehmen solche Daten den gesamten Bildschirm ein. Das iPad sieht neue modale Dialoge vor und die Toolbar für die Menüsteuerung oder Navigation innerhalb einer App steht nicht mehr unten, sondern oben.

Die von Apple ausgewählten Drittentwickler demonstrierten auf der Pressekonferenz, was sie in etwa zweieinhalb Wochen geschafft haben. Mark Hickey von Gameloft stellte eine Vorabversion des Ballerspiels "Nova" vor, welche das individuelle Platzieren von Bedienelementen auf dem Display erlaubt. Travis Boatman von Electronic Arts zeigte, wie in "Need For Speed Shift" ein Tap etwa auf das Auto die Innenansicht und ein Tap auf den Rückspiegel die Perspektive durch die Heckscheibe aktiviert. Martin Nisenholtz von der "New York Times" spielte Inline-Videos auf der Zeitungsseite statt im Fullscreen-Modus des Movie Player ab. Jobs spielte genüsslich mit den Blättereffekten für Buch- oder Zeitschriftenseiten in "iBooks" und Marketing-Vize Phil Schiller vollführte Gesten mit zwei Händen in der Office-Suite "iWork", die Apple-Entwickler innerhalb eines Jahres von Mac OS X portiert haben.

Apple empfiehlt, die Gestaltung von iPad-Bedienelementen in die Hände professioneller Grafiker zu legen. Als Anschauungsmaterial bringt der iPad-Simulator, der dem SDK 3.2 Beta beiliegt, vorerst nur das Adressbuch mit. Dem iPhone-Simulator liegen demgegenüber auch die Foto-App und Mobile Safari bei. Vermutlich bringt die nächste Betaversion des iPad-SDK da schon mehr mit. Vielleicht vermag sie dann auch schon solche "Universal Apps" zu erstellen, die iTunes Connect derzeit noch gar nicht entgegennimmt.

Dennoch arbeiten schon jetzt viele Entwickler fieberhaft daran, ihre bestehenden Apps zu modernisieren. Ortwin Gentz, Entwickler von "Wohin?", tendiert eher dazu, zunächst eine neue App spezifisch für das iPad zu entwickeln und mit den gewonnenen Erfahrungen die Portierung seines wichtigsten Programms anzugehen. Er sagt: "Das iPad wird den Markt aufmischen. Der Ansatz ist in jedem Fall deutlich revolutionärer als alles was man von Microsoft in den letzten Jahren sowie kürzlich auf der CES gesehen hat. Die Unterstützung des ePub-Standard macht Sinn und wird Amazon das Leben schwer machen."

Gentz sieht aber auch Kritikpunkte. "Der wichtigste ist in meinen Augen die fehlende Kamera, denn Video-Chat wäre ein Killer-Feature für solch ein Device. An zweiter Stelle kommt sicherlich das fehlende Multitasking. Es ist schon beim iPhone teilweise nervig, wenn man zwischen Browser, Mail und Twitter-App hin- und herspringen muss. Beim iPad sehe ich das noch mehr als ein Problem, da man das Gerät sicherlich länger nutzen wird als ein Telefon. Ich hoffe, dass Apple hier mit iPhone OS 4 nachbessern wird."

Auf die nächste große Version des Betriebssystems warten auch die Besitzer von iPhones und iPods touch sehnsüchtig. Apple wird alle Hände voll zu tun haben – auch mit der Freigabe der iPad-Apps, die ja zum Verkaufsstart des iPad Ende März möglichst schon im App Store zum Download bereits stehen sollen.

Siehe dazu auch:

(se)