Texteditoren im Retro-Look

Seite 2: Grün wählen, aber richtig

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Die meisten Grünmonitore von damals nutzen Phosphorbeschichtungen vom Typ P1, der eine Lichtwellenlänge von 524 Nanometer produziert. Im Internet finden sich mehrere unterschiedliche Umrechnungsformeln, die aus der Wellenlänge die RGB-Farben berechnen. Ihre Ergebnisse weichen allerdings leicht voneinander ab. Gut erscheint mir das Grün mit den RGB-Werten 51,255,0 (#33FF00). Für Monitore in Amber (Bernstein), die zumeist P3-Phosphor verwendeten (600 nm), kommen die RGB-Werte 255,176,0 (#FFB000) ganz gut hin. Der Hintergrund der Monitore war zudem nicht ganz schwarz, sondern eher dunkelgrau, etwa 40,40,40 (#282828).

Das Ergebnis ist trotz wissenschaftlichem Ansatz nur eine Annäherung. Die Werte berücksichtigen nämlich weder die Helligkeitseinstellung des Bildschirms, der auch die Farben leicht verändert, noch den Alterungseffekt der Beschichtung.

Was jetzt noch so gar nicht passt, ist die moderne Schrift. Vor der Einführung von Windows liefen die meisten Anwendungen auf PCs und Terminals ausschließlich im Textmodus mit einem festen Zeichenraster von üblicherweise 24 oder 25 Textzeilen zu je 80 Zeichen. Dadurch belegt jeder Buchstabe dieselbe Breite. In grafischen Bedienoberflächen werden hingegen vornehmlich Proportionalschriften mit variabler Zeichenbreite genutzt.

Windows enthält zwar auch ein paar nicht proportionale Fonts, zum Beispiel das an Schreibmaschinen angelehnte Courier New. Nach antikem Computerbildschirm sehen die aber nicht aus, dazu sind sie schon zu hoch aufgelöst. Vor der Einführung grafischer Benutzeroberflächen mussten PCs mit den im BIOS oder Grafikkarten-ROM fest verankerten Fonts auskommen, die sich im Design von Hersteller zu Hersteller leicht unterscheiden. Sie bestehen aus einem festen Raster mit zum Beispiel 8 × 8, 9 × 14 oder 9 × 16 Punkten.

Ein Enthusiast, der sich VileR nennt, hat sich die Mühe gemacht, viele dieser zeitgenössischen Rasterschriften nachzubilden und stellt sie auf seiner Webseite als kostenlose Fontpacks zum Download zur Verfügung. Nicht alle sehen in allen Größen und Auflösungen gut aus, ein wenig Herumprobieren ist nötig.

Will man sich um der alten Zeiten willen auch die Beschränkung auf 25 Zeilen zu je 80 Zeichen antun, muss man die Schriften und Zeilenabstände noch entsprechend groß machen. Große Ränder an den Seiten erzeugen das 4:3-Format für den Textbereich. In FocusWriter stellt man dessen Breite in Pixel ein. Um den passenden Wert zu ermitteln, ist eine Textzeile mit 80 Zeichen zum Abmessen hilfreich.

Ich finde allerdings, dass es für das Retrogefühl nicht unbedingt sein muss, den sichtbaren Text so stark zu begrenzen und dabei die Schriften unnötig pixelig zu machen. Die niedrige Auflösung der Grafikkarten und Bildschirme störte damals weniger, weil man es einerseits nicht besser kannte und andererseits die Bildschirme so schlecht waren, dass Schriften nicht so pixelig wirkten wie auf einem knackscharfen modernen Flachbildschirm.

Wenn man es so richtig Retro will, müsste man einen alten Monitor nutzen, was schon an den Anschlussmöglichkeiten zeitgemäßer Grafikkarten scheitern dürfte. Nur dann käme man nämlich in den – wie ich finde eher zweifelhaften – Genuss der damaligen technisch bedingten Nebeneffekte. Dazu gehören die starke Krümmung der Bildschirmoberfläche, das Nachleuchten beim Scrollen, die Unschärfe, das Flimmern und die horizontalen Lücken in den Zeichen durch die Zeilen der Bildröhre (Scanlines).

Wie schlecht die Darstellung alter Monitore wirklich war, zeigt die Röhren-Simulation in Cool-Retro-Term für Linux. Nur für leidensfähige Retro-Fans.

All das lässt sich auf modernen Monitoren nur mit Softwarefiltern mühsam nachbilden. Manche Emulatoren für historische Spiele, zum Beispiel in der speziellen Linux-Distribution RetroPie für den Raspberry Pi, enthalten tatsächlich solche Filter, um zum Beispiel den ausgeprägten Scanline-Effekt alter Röhrenfernseher zu simulieren.

Für Windows konnte ich keinen entsprechenden systemweit wirkenden Filter finden, auch keinen Texteditor mit entsprechenden Optionen. Einen solchen gibt es allerdings für Mac-Nutzer: Der Freeware-Editor Blinky bietet zwar nur sehr grundlegende Textfunktionen, dafür aber jede Menge Retro-Look. Es gibt unzählige Regler, um die Bildschirmkrümmung, das Flimmern, die Scanlines und sogar die Einbrenneffekte eines Monitors aus den 1980ern zu simulieren.

Linuxer, die eine ähnliche Nachbildung antiker Bildschirme möchten, wenn sie Konsolenbefehle eintippen, werden im Terminal-Ersatz Cool-Retro-Term fündig. Das ist zwar kein Texteditor im eigentlichen Sinn, aber startet man darin Editoren wie nano oder vim, bleibt der Retro-Look erhalten. Die zahlreichen Einstellmöglichkeiten übertreffen die von Blinky für den Mac sogar noch. Zieht man alle Register, ist die Illusion perfekt. Hinzu kommt eine Auswahl von Bildschirmschriften, die zum Beispiel denen des Apple II, IBM PC oder Commodore PET nachempfunden sind.

Auch im aktuellen, auf GitHub verfügbaren Windows-Terminal lässt sich ein Retro-Effekt einstellen.

Ziemlich Retro ist auch eine versteckte Einstellung in der aktuellen Version des Windows-Terminal, die via GitHub zur Verfügung steht. In der Profildatei ist lediglich die Zeile "experimental.retroTerminalEffect": true einzufügen. Das Kommandozeilenfenster erstrahlt dann in altertümlichem grün-schwarz mit deutlichen Scanlines und Randunschärfen bei den einzelnen Zeichen. Üppige Einstellmöglichkeiten wie beim Linux-Tool fehlen aber.

Texte heute auf einem alten Rechner oder in einem Emulator mit WordStar oder Word für DOS zu tippen, macht nicht wirklich Spaß. Am Ende stehen zudem Dateien, mit deren Format niemand etwas anfangen kann.

Den konzentrationsfördernden Look mit hellem Text auf dunklem Hintergrund bekommt man auch mit modernem Schreibwerkzeug hin – für die Retro-Romantik gegebenenfalls mit passenden Farben und Schriften. Ich jedenfalls finde, das fühlt sich richtig gut an und werde meine nächsten Artikel mit FocusWriter in Grün-Schwarz schreiben. Oder vielleicht auch einen Roman mit Drachen. (swi)