Lücken im System

Seite 3: Abmahnmaschine

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Der modifizierte P2P-Client von Logistep legt für jeden aufgespürten Urheberrechtsverstoß ein Aktenzeichen an und spuckt die zugehörige Strafanzeige aus.

Wie man unbehelligt von der Öffentlichkeit die perfekte Abmahnmaschinerie aufziehen kann, führte jüngst ein Schweizer Unternehmen zusammen mit einer Karlsruher Kanzlei vor. Bei der Staatsanwaltschaft Karlsruhe lagen bereits weit über zehntausend Strafanzeigen vor, als c't im September 2005 durch einen anonymen Hinweis auf die Vorgänge aufmerksam gemacht wurde. Die Staatsanwaltschaft müsse schon Beamte der Schutzpolizei abziehen, um der bürokratischen Notlage Herr zu werden, hieß es. Es gehe um die angebliche Verbreitung eines urheberrechtlich geschützten PC-Spiels in Tauschbörsen. Die Recherche ergab: Ein Schweizer Unternehmen namens Logistep hatte den Open-Source-Tauschbörsen-Client Shareaza um einen Strafanzeigengenerator ergänzt und kurzerhand in "File-Sharing-Monitor" umgetauft. Das Programm suchte im Netz nach den urheberrechtlich geschützten Dateien eines Logistep-Auftraggebers, protokollierte die Anbieter-IP-Adresse sowie im Falle des beliebten Emule den bei der Client-Installation generierten 16-stelligen User-Hash (GUID). Daraus generierte es Textbaustein-Strafanzeigen, welche die Kanzlei Schutt-Waetke gesammelt an die Staatsanwaltschaft übermittelte. Was Experten im Online-Recht schon lange als Lücke im System monierten, haben Logistep und Schutt-Waetke erstmals konsequent ausgenutzt: Sie umgehen alle datenschutzrechtlichen Bestimmungen, indem sie Staatsanwaltschaften für ihre zivilrechtlichen Vorhaben instrumentalisieren. Die Strafanzeigen haben insbesondere den Zweck, an die Personendaten der P2P-Nutzer zu kommen. Die Staatsanwaltschaften sind verpflichtet, diese bei einem begründeten Anfangsverdacht bei den Providern zu ermitteln. Sobald das geschehen ist, nimmt Schutt-Waetke als beteiligte Partei Akteneinsicht und verschickt massenhaft Abmahnungen für die Auftraggeber. Über ihren Umsatz lässt die Kanzlei natürlich nichts verlauten. Die Maschinerie läuft nach wie vor auf Hochtouren. Laut einem anonymen Hinweis, den c't erhielt, soll Rechtsanwalt Schutt allein am 24. April 815 Abmahnungen für das Musiklabel 3P, 86 Abmahnungen für den Spielehersteller Eidos und 234 sonstige Abmahnungen verschickt haben. Außerdem sollen für den Spielehersteller Zuxxez wöchentlich etwa 600 Abmahnungen die Kanzlei verlassen. Die unbestätigten Zahlen erscheinen plausibel; jedenfalls liegt die letztgenannte Summe in derselben Größenordnung, die Zuxxez-Mitarbeiter Dirk Hassinger gegenüber c't nannte. Anwalt Schutt legt in seinen Abmahnungen Wert auf die Feststellung, dass sein Honorar nach RVG eigentlich fast 1000 Euro betrage, er sich aber mit einer Pauschale begnüge. Diese beträgt bei verschiedenen c't vorliegenden Abmahnungen zwischen 150 und 650 Euro; außerdem berechnet er pro Abmahnung 50 Euro Schadensersatz für den Mandanten. Offenbar kalkuliert der Anwalt damit, dass die Betroffenen ob seiner Güte stillschweigend zahlen. Tatsächlich ist bisher keine gerichtliche Entscheidung über eine solche Abmahnung bekannt. Völlig unklar ist, warum sich die Staatsanwaltschaften auf das bizarre Spiel einlassen und fleißig weiter ermitteln. Von c't befragte Strafermittler halten die von der Logistep-Software ermittelten Daten für alles andere als beweiskräftig. Das von Schutt auf Anfrage stets angeführte Gutachten eines Stuttgarter EDV-Sachverständigen ist zumindest fragwürdig. Die Mannheimer Rechtsanwältin Julia Janson-Czermak hat für Dutzende Abmahnungsopfer, die sie gegen Schutt vertritt, inzwischen ein Gegengutachten erstellen lassen. Dieses kommt zu dem Schluss, dass aus dem Logistep-Gutachten "keine Aussage zur Korrektheit und ‚Gerichtsverwertbarkeit’ der vorgelegten ‚Nachweise’ einer behaupteten Tauschbörsenbenutzung abgeleitet werden" könne. Auf eine Strafanzeige hin ermittelt die Staatsanwaltschaft Mannheim mittlerweile gegen das seltsame Konglomerat aus "Antipiracy-Unternehmen" und Kanzlei wegen Betrugsverdachts.

Unzählige Fälle zeigen, wie gewiefte Advokaten zurzeit das eigentlich sinnvolle Instrument der Abmahnung pervertieren. Internet-Nutzer sind auf vielen Rechtsgebieten angreifbar. Wer selbst Dienste im Web anbietet, setzt sich massiv dem Risiko aus, Opfer teurer Abmahnungen zu werden. Denn für den juristischen Laien ist es schlicht unmöglich, sich stets zeitnah über die komplexe Gesetzeslage und Jurisdiktion auf dem Laufenden zu halten. Nur in Deutschland stellt der Missbrauch von Abmahnungen ein großes Problem dar. In Großbritannien bleibt die erste Rechtsbelehrung für den Abgemahnten kostenfrei. Dadurch wird dem Geschäft mit Abmahnungen wirksam vorgebeugt. Allerdings setzt das britische Rechtssystem wesentlich stärker auf öffentliche Marktüberwachungsgremien als das deutsche. Falls also ein solches Prinzip auch hierzulande eingeführt werden sollte, müsste der Staat parallel massiv die Kompetenzen und finanzielle Ausstattung beispielsweise von Verbraucherzentralen fördern. Einem solchen Umbau erteilt Justizministerin Brigitte Zypries eine klare Absage. Inzwischen hat sich aber auch bis ins Bundesjustizministerium herumgesprochen, dass im Internet-Bereich mit Abmahnungen erheblicher Missbrauch getrieben wird. Als Knackpunkt hat man die Berechnung der Anwaltshonorare nach teilweise irrwitzig hohen Streitwerten ausgemacht. Die Ankündigung von Zypries, Streitwerte bei Abmahnungen im Urheberrechtsbereich gesetzlich reduzieren zu wollen, ist wenigstens ein erster Schritt in die richtige Richtung (siehe Interview). Warum eine Kostendeckelung bei Abmahnungen von geringfügigen Rechtsverstößen nur für Urheberrechtsverletzungen gelten soll, ist allerdings unplausibel und nicht nachvollziehbar. Unter der Hand war aus Berlin zu hören, dass es sich dabei lediglich um politische Kungelei handele. Weil die Bagatellklausel im Urheberrecht abgeschafft werden soll, benötige man ein kleines Geschenk für die Verbraucherschützer. Angesichts der Überrepräsentanz von Rechtsanwälten in den gesetzgebenden Organen traut sich offenbar niemand in Berlin, an eine grundlegende Behebung der Schieflage zu denken. Wenn es die Justizministerin wirklich ernst meint mit ihrer jüngst geäußerten Empörung zum Abmahnungsmissbrauch, muss sie dafür sorgen, dass über privaten und geschäftlichen Webnutzern nicht mehr das Damoklesschwert von ruinös teuren Abmahnungen schwebt. Die Kosten für Abmahnungen im Internet-Bereich müssen dem Aufwand angemessen sein – 50 mal 1000 Euro sind zu viel für die Recherche mit einer Suchmaschine und das Aufsetzen eines Serienbriefs. Der Bürger muss sich ohne ständige Angst vor geldgierigen Winkeladvokaten im Web bewegen dürfen. Das wäre ein kleiner Pluspunkt für den Innovationsstandort Deutschland. (hob)

Literatur [1] Jörg Heidrich, Überwachungspflicht? Aktuelle Urteile zur Haftung von Forenbetreibern lassen noch keine Tendenz der Rechtsprechung erkennen, c't 11/06, S. 58