MIT Technology Review 5/2021
S. 105
Fundamente
Rückschau

Fortschritt und Gegenwehr

An dieser Stelle blicken wir zurück auf Artikel, die vor zehn Jahren in Technology Review erschienen sind. Diesmal: Gesichtserkennung als Datenschutz-Alptraum.

Software zur Gesichtserkennung entwickelt sich zum „preiswerten Service für Internet-Nutzer“, warnte TR bereits im Juli 2011. „Das jagt Datenschützern kalte Schauer über den Rücken, denn es gibt selbst für Passanten auf der Straße kein Entkommen und keine wirklichen Schutzvorkehrungen.“ 2011 war das nur eine Prognose – allerdings eine ziemlich wahrscheinliche. Denn erste Unternehmen kündigten damals bereits Apps an, die Handy-Schnappschüsse in Sekundenschnelle mit Gesichts-Datenbanken abgleichen und Name und Adresse des Fotografierten ausspucken – ermöglicht beispielsweise durch Zugriff auf die Gesichtserkennung in Facebook, die ebenfalls 2011 freigeschaltet wurde.

Zunächst blieb es bei den Befürchtungen, aber 2016 kroch der Geist endgültig aus der Flasche. Eine der ersten Anwendungen war die vom russischen Start-up NTechLab veröffentlichte App FindFace, die Smartphone-Fotos mit Profilen im russischen Facebook-Pendant VKontakte abglich. Ebenfalls auf öffentlich verfügbaren Daten beruht das Geschäftsmodell von Clearview. Das US-Unternehmen lud massenhaft Fotos aus sozialen Netzwerken herunter, mit denen es eine riesige Datenbank biometrischer Profile erzeugte. Anschließend bot Clearview Gesichtserkennung als Online-Service für Polizei und Sicherheitsbehörden an.

Technology Review 7/2011: Warnung vor Gesichtserkennung.

Wegen seiner dubiosen Datenbasis steht das Unternehmen mittlerweile schwer unter Druck. Ähnliche Dienste bieten aber auch Internet-Konzerne wie Amazon und Microsoft oder das Unternehmen Face++ an: Gesichtserkennung als Cloud Service. Dagegen entwickelt sich allerdings auch Widerstand – sowohl politisch als auch technisch. Diverse US-Städte wie San Francisco und Portland haben Gesichtserkennung verboten – in Europa wird zumindest über ein Verbot im Rahmen einer Echtzeit-Überwachung diskutiert. Und Unternehmen wie D-ID und Forscher wie Sarah Erfani von der University of Melbourne in Australien bieten mittlerweile Tools an, mit denen Nutzer Fotos von sich selbst so manipulieren können, dass Gesichtserkennungs-Software ins Leere läuft. Wolfgang Stieler