Der Mensch als Schöpfer des Lebens?

Die Debatte über die Synthetische Biologie ist nach dem jüngsten Coup des J. Craig Venter Institute wieder aufgeflammt. Ihr Anspruch, lebende Maschinen zu erschaffen, ist jedoch ein Widerspruch – und ignoriert den Eigensinn des Lebens. Eine ethische Kritik von Giovanni Maio.

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Von
  • Giovanni Maio

Der jüngste Coup des J. Craig Venter Institute hat die Debatte über die Synthetische Biologie wieder aufflammen lassen. Den US-Forschern war es gelungen, einen lebensfähigen Mikroorganismus mit einem synthetischen Genom zu schaffen, das in ein Bakterium eingepflanzt worden war – der letzte Schritt vor einer vollständig synthetischen Lebensform aus dem Labor. Während die Verfechter von Kraftstoff produzierenden Biomaschinen träumen und die Gegner unkalkulierbare Folgen für die Biodiversität befürchten, plädiert der Medizinethiker Giovanni Maio dafür, das Verständnis der Synthetischen Biologie von Leben selbst kritisch zu hinterfragen. Maio ist seit 2006 Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte an der Universität Freiburg. Die Rede von den "lebenden Maschinen", die etwa Craig Venter im Munde führt, ist für ihn ein Widerspruch und entwertet unsere Vorstellung von Leben – mit gravierenden Konsequenzen.

Die Synthetische Biologie wirft wichtige Fragen auf, mit denen man sich frühzeitig beschäftigen muss. Es sind grundlegende Fragen, die unser Selbstverständnis als Menschen und unseren Umgang mit der Welt betreffen. Daher tut eine Ethik der Synthetischen Biologie Not. Die landläufige Art und Weise, Ethik zu betreiben, besteht in der Abwägung von Nutzen und Risiken. Ethik jedoch bedeutet mehr als eine Kalkulation von Nutzen und Risiken: Ethik bedeutet über die grundlegenden Fragen nachzudenken, und die Synthetische Biologie liefert uns viele Anlässe, diesen Fragen nachzugehen.

So liegen die Kernfragen, die die Synthetische Biologie aufwirft, aus genuin ethischer Sicht nicht so sehr in den möglichen Folgen, sondern vor allem in der Frage: Welches Verständnis von Leben hat die Synthetische Biologie und damit die Naturwissenschaft überhaupt? Was bedeutet es, wenn die Naturwissenschaft unter rein naturwissenschaftlichen Bedingungen Leben definiert und welche Auswirkungen auf unser Selbstverständnis als Menschen hätte es, wenn es – tatsächlich und nicht nur vorgeblich – gelänge, Leben aus dem Labor zu züchten? Ich möchte auf diese ethischen Herausforderungen mit drei Thesen antworten.

Erste These: Es ist nicht weise, die Evolution des Lebens hinter sich lassen zu wollen

Diese These hat mit dem Credo einiger Synthetischer Biologen zu tun. So hat der Forscher Tom Knight vom MIT in einer Pressekonferenz folgende Absicht kund getan: „Der genetische Code ist 3,6 Milliarden jahre alt. Es wird Zeit, ihn neu zu schreiben.“ (1) Doch damit nicht genug, meinte Craig Venter, „es wird Zeit, die Evolution durch etwas Besseres zu ersetzen“, und zwar mit einer „zweiten Genesis“.

Solche Äußerungen bringen den Unterschied zwischen Synthetischer Biologie und der „traditionellen“ Biotechnologie zum Ausdruck. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass die traditionelle Biotechnologie immer mit dem bestehenden Genom eines existierenden Organismus gestartet ist und dieses verändert hat, indem Gene ausgeschaltet oder zusätzlich eingebaut wurden. Das Genom, an dem Veränderungen vorgenommen wurden, ist stets das Produkt eines natürlichen evolutionären Prozesses. Der Manipulation geht mittelbar ein lebensfähiger Organismus als Teil der Evolution voraus.

Die Synthetische Biologie möchte sich von diesem Organismus als Teil der Evolution komplett lösen und von Grund auf neu beginnen. Sie startet nicht mit einer vorgegebenen Evolution, sondern mit „BioBricks“, die keine Evolution hinter sich haben. Die Synthetische Biologie ist von der Idee beseelt, die Evolution hinter sich zu lassen, um es sozusagen besser machen zu wollen, als es die Evolution geschafft hat – besser deswegen, weil die Ziele nun vom Menschen vorgegeben werden.

Mir geht es nicht um eine Glorifizierung der Evolution und auch nicht um eine mythische Aufladung der 3,6 Milliarden Jahre Entwicklungsgeschichte organischen Lebens auf der Erde. Gleichwohl erscheint mir der Anspruch vieler Biologen von heute, es besser machen zu wollen als die Evolution, doch sehr vermessen. Denn: Was ist überhaupt besser? Welche Zukunft haben wir da vor Augen? Wie weise sind wir, um genau zu wissen, was besser ist, und wie überheblich ist es, zu sagen, die 3,6 Milliarden Jahre eines kontinuierlichen Entwicklungsprozesses interessieren uns nicht mehr – obwohl wir selbst ohne diesen Prozess nicht wären?

Ich kritisiere hier also nicht das Machen an sich, sondern die Grundhaltung des Machens, die Grundhaltung, die dem Gegebenen gar keinen Wert beimisst und damit das Seiende entwertet. Deswegen plädiere ich ausgehend von der ersten These für eine Rückbesinnung auf den Wert des Gegebenen.

Auf der anderen Seite stellt sich in jedem Fall die Frage, ob es nicht gerade Teil der menschlichen Natur ist, seine Natur zu übersteigen. Könnten wir nicht annehmen, dass es gerade die Natur des Menschen ausmacht, dass er Neues kreiert – vieles eben doch von Grund auf neu? Warum soll das Herstellen biologischer Organismen etwas Anderes sein als das Erstellen synthetischer Entitäten durch die Synthetische Biologie?

Ich denke, es gibt hier einen Unterschied, und zwar nicht nur den, dass hier der historische evolutionäre Prozess unterbrochen wird, was schon gewichtig genug wäre. Der Unterschied ist vor allem, dass der Anspruch der Synthetischen Biologie darin besteht, nicht nur irgendetwas neu zu schaffen, sondern Leben zu schaffen. Das ist der vulnerable Punkt der Synthetischen Biologie: ihre Zielsetzung, Leben neu zu schaffen.

Zweite These: Leben ist mehr, als die Naturwissenschaft sagen kann

Diese These formuliere ich, weil das Ziel der Synthetischen Biologie gerade darin besteht, neues Leben herzustellen. Leben herstellen – ist nicht schon das Zusammenspiel dieser beiden Worte ein Widerspruch? Ein Widerspruch, der nicht sofort auffällt, weil wir es schon längt gewohnt sind, die Welt aus einer verobjektivierenden naturwissenschafltichen Sicht zu betrachten. Und doch gibt es hier einen Unterschied in der Wahrnehmung zwischen dem Biologen und dem Geisteswissenschaftler.

Für den Biologen ist es charakteristisch, dass er das biologische Leben als einen rein deskriptiven Begriff versteht: Leben ist das, was bestimmte nachweisbare Eigenschaften hat. Das ist natürlich auch vollkommen richtig. Notwendig für die Defintion des Lebens mag es sein, dass es über bestimmte Fähigkeiten verfügt. Aber ist damit wirklich auch schon alles gesagt? Ist das Leben mit der reinen Beschreibung seiner Funktionen bereits erfasst? Wir werden sofort erkennen, dass hier ja eine Dimension vollkommen fehlt, eine Dimension, die aber ganz entscheidend ist.

Wenn es um den Begriff des Lebens geht, können wir uns nicht auf die rein naturwissenschaftliche Sicht verlassen, weil der Blick des Naturwissenschaftlers von vornherein ein verobjektivierender Blick ist. Der Naturwissenschaftler muss aus der lebendigen Welt erst einmal Objekte machen, um diese zu untersuchen, er muss sie entmystifizieren, sie herunterbrechen auf ihre verobjektivierbaren, messbaren, sichtbaren Elemente. Das ist auch nicht zu beklagen. Aber es wäre ein Trugschluss, wenn man nach Aufsetzen dieser verobjektivierenden Brille meinte, mit dieser Brille alles zu sehen, und zwar so zu sehen, wie die Welt ist. Das ist eben ein grundlegender Irrtum, und dieser Irrtum ist für die Synthetische Biologie von zentraler Bedeutung.

Gerade bezogen auf den Begriff des Lebens gibt es immer eine doppelte Perspektive: die Perspektive der angemessenen naturwissenschaftlichen Beschreibung auf der einen Seite und die Perspektive des möglichen inneren Werts des Lebens auf der anderen Seite. Wenn wir den Begriff „Leben“ hören, so assoziieren wir geradezu zwangsläufig damit, dass das Leben doch etwas Besonderes ist, etwas, das sich grundlegend vom Nicht-Leben, vom Ding unterscheidet. Dieses Besondere des Lebens kommt in der naturwissenschaftlichen Beschreibung des Lebens überhaupt nicht vor.

Wenn wir nämlich den Biologen fragen, was Leben ist, wird er sagen: Leben ist definiert über das Zusammenkommen von Reproduktion, Stoffwechsel und Evolutionsfähigkeit. Solche Beschreibungen sind unzweifelhaft richtig, aber sie erfassen doch nicht das Leben an sich, sondern lediglich das Leben aus der Perspektive des Labors. Es ist das experimentelle System, es ist die Zielsetzung des Experimentierens, die eine solche Definition hervorbringt. Aber es ist nicht die Definition des Lebens an sich.

Wenn wir fragen, was Leben ist, müssen wir eben genau hinschauen, in welchem Kontext eine solche Definition erfolgt. Und der Kontext des Biologen ist der experimentelle Kontext, der gerade dadurch charakterisiert ist, dass er zentrale Gesichtspunkte des Seins von vornherein herausnimmt und damit reduktionistisch ist. Gegen eine solche Reduktion ist auch nichts zu sagen, weil diese Reduktion erst neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse ermöglicht. Aber es muss dafür sensibilisiert werden, dass Leben mehr ist als das, was im Labor gesehen werden kann.

Leben ist zunächst einmal mehr, als diese Labordefinition sagen kann, weil das Leben gerade durch seine Entwicklung, seine eigenständige Verwandlung, durch seinen in ihm inhärenten Prozess der Veränderung charakterisiert ist. Andreas Brenner hat darauf hingewiesen, dass sich die Identität des Lebens gerade aus ihrem Vollzug ergibt (2); es ist gerade das Sich-Entwickeln-Können, was das Leben ausmacht.

Nimmt man eine statische Definition aus dem Labor, wird man das Eigentliche des Lebens nicht erfassen können. Das Leben, das man im Labor definiert, ist nicht das Leben an sich, denn das Leben an sich ist ein Leben in Bewegung, in der Entwicklung, Leben auf dem Weg. Dieses Auf-dem-Weg ist im Labor weder zu sehen noch vorherzusagen, weil sich dieses Auf-dem-Weg erst in der echten Natur ermöglichen wird. Leben also ist mehr als das, was der Naturwissenschaftler beschreiben kann.

Leben ist nicht das, was wir unter dem Mikroskop sehen können, sondern Leben ist der Prozess, der sich selbst erhält; Aristoteles sprach von der Entelechie, der Einheit, die das Ziel ihrer Entwicklung in sich selbst trägt. An diesem Punkt zeigt sich eben die große Differenz zwischen Leben und Ding: Der Gegenstand, das künstlich hergestellte Ding ist das Ding, das dem von außen gesetzten Gesetz und Ziel folgt, eine Maschine eben; das künstlich hergestellte Leben aber folgt nicht mehr allein diesem Gesetz, sondern wenn es wirklich Leben ist, dann folgt dieses Leben dem Ziel seiner selbst.

Wenn es nicht seinem eigenen Ziel folgen könnte, sondern nur dem Ziel von außen ohne diese innere Autonomie, dann wäre es kein Leben, sondern eine komplexe Maschine. Diese Unterscheidung ist sehr wichtig, und sie wird nicht immer vorgenommen. Sie ist wichtig, weil sie aufzeigt, dass selbst für den Fall, dass es der Synthetischen Biologie gelänge, tatsächlich Leben auf künstlichem Wege zu erzeugen, sie dennoch zugestehen muss, dass sich dieses Leben dann aus sich selbst heraus entwickelt und nicht einfach dem Konstrukteur folgt.

Dies wirft natürlich ein anderes Licht auf die Verheißungen der Synthetischen Biologen. Wenn sie sagen, wir wollen Leben schaffen, das aber absolut sicher und kontrollierbar ist, so liegt in diesem Anspruch ein Widerspruch. Wenn es Leben ist, dann ist es spontan weiterentwicklungsfähig und gerade nicht berechenbar und absolut kontrollierbar. Wenn es absolut kontrollierbar ist, dann stellt sich die Frage, ob hier überhaupt von Leben im echten Sinne gesprochen werden kann.

Soweit mein Hinweis auf den methodischen Reduktionismus, den die naturwissenschaftliche Methode inhärent in sich trägt. Aber mein Hinweis auf die Grenze dessen, was Naturwissenschaft leisten kann, geht noch weiter. Denn die Grenze der Naturwissenschaft liegt gerade darin, dass sie zwar die Parameter des Beschreibens kennt, aber methodisch blind ist für die Parameter des Bewertens – Bewerten verstanden im Nicht-Zweckmäßigen.

Die Naturwissenschaft kann allenfalls etwas über die Zweckmäßigkeiten sagen, aber gerade nicht über den inneren Wert, über den Eigenwert, über den Wert an sich von all dem, was sie beschreibt. Und das ist ein entscheidender Punkt. Denn gerade der Begriff des Lebens hat immer auch eine normative Konnotation. Eine normative Konnotation, die von der Naturwissenchaft selbst nicht aufgefangen werden kann. Der Biologe wird als Biologe nie den Wert des Lebens sehen oder biologisch erkennen können.

Das heißt eben für die Synthetische Biologie, dass ab dem Moment, da es ihr vielleicht gelingen könnte, Entitäten zu bilden, die tatsächlich von sich aus leben, dass ab diesem Moment durch die naturwissenschaftliche Beschreibung dieser Entitäten allein nichts über deren Wert, über deren Eigenwert, ihren inneren Wert gesagt werden kann. Problematisch wird es eben genau dann, wenn die Biologie aus der Beschreibung nackter Fakten abzuleiten glaubt, dass das Leben nichts Besonderes ist. Genau das geschieht heute schon, und zwar durch die Sprache, die viele Vertreter der Synthetischen Biologie wählen.

So hat es sich bei manchen Vertretern der Synthetischen Biologie eingebürgert, die Entitäten, die sie hervorbringen wollen, als „lebende Maschinen“ zu bezeichnen. Die Synthetische Biologie ist also die Wissenschaft, die lebende Maschinen hervorbringen möchte. In diesem Begriff kommt etwas Zweifaches zum Ausdruck: Einerseits die Vorstellung, das Leben ließe sich nicht etwa erschaffen, bzw. das Leben schafft sich nicht selbst, sondern es wird hergestellt, es ist herstellbar wie eine Maschine.

Zweitens, und dies ist noch gewichtiger: Wenn wir von Leben als einer „lebenden Maschine“ sprechen, so setzen wir voraus, dass das Leben nicht mehr ist als eine Maschine. Und damit verbunden ist die Vorstellung, dass das Leben das ist, was man dann auch wie eine Maschine behandeln darf (3). Mir ist hier das Denken wichtig, das dem Experiment vorausgeht. Das Denken nämlich, das mit der Überzeugung startet: Leben ist nicht mehr als das, was man herstellen kann; Leben ist nicht mehr als eine komplexe Maschine.

Damit verbunden ist wiederum die nicht ausgesprochene Überzeugung, dass es gar keinen großen Unterscheid gibt zwischen der Maschine und dem Leben. Nur der Komplexitätsgrad ist ein anderer, ansonsten bewegen sich beide auf einer ontologischen Stufe – genau das suggeriert der Ausdruck „lebende Maschine“. Damit wird verdeckt, dass dieser Ausdruck im Grunde ein Widerspruch in sich ist. Dass dieser Widerspruch nicht wahrgenommen wird, halte ich für ein Problem.

Dritte These: Die Synthetische Biologie geht mit der Gefahr einer mechanistischen Entwertung allen Lebens einher

Die drohende Entwertung des Lebens durch die Synthetische Biologie meine ich in einem zweifachen Sinn. Erstens meine ich damit die Entwertung dessen, was die Synthetische Biologie möglicherweise an Leben zum Entstehen bringen wird. Gelingt es der Synthetischen Biologie tatsächlich auch über Einzeller hinaus Leben zum Entstehen zu verhelfen, so wird sie – wie der Begriff „lebende Maschinen“ schon zeigen –, dieses Leben als ein herstellbares Produkt betrachten, als eine Ware, die man her- und abbestellen, die man patentieren, verkaufen – und wegwerfen kann.

Auf der Ebene der Mikroorganismen mag uns das nicht besonders befremden, auf einer höheren Entwicklungsstufe wird diese rein instrumentelle Sicht auf das Leben ein großes Problem. Das Leben wird dann nur noch innerhalb eines Verwertungszusammenhanges betrachtet und damit vollkommen entwertet. Man geht mit diesem Leben um, als ob es gar kein Leben wäre. Und dies ist ein Problem. Denn die Entstehungsbedingungen des Lebens sind irrelevant für den Wert des Lebens.

Auch ein möglicherweise künstlich hergestelltes Leben wäre wertvoll, solange man tatsächlich von Leben als einem sich selbst aufrechterhaltenden Wesen sprechen kann. Denken wir an die Idee des geklonten Menschen – der nicht sein soll: Gäbe es den geklonten Menschen tatsächlich, so würden wir ihn als Menschen genauso schützen, unabhängig davon, ob er auf künstlichem oder natürlichem Wege gezeugt worden wäre.

Die Synthetische Biologie neigt dazu, das, was sie an Leben vielleicht ermöglicht, gar nicht als Leben, sondern nur als Maschine, als Produkt zu betrachten. Damit, so meine These, wird sie dem Leben nicht gerecht. Genau deswegen, weil die Synthetische Biologie das „herzustellende“ Leben gar nicht wirklich als Leben erfasst, genau aus diesem Grund fehlt ihr auch die Scheu, ein solches Leben zum Entstehen zu bringen. Diese Scheu aber muss sein, vor allem dann, wenn es das Stadium des Mikroorganismus überschreitet.

Meine Hauptsorge ist die Entwertung des Lebens, und diese meine ich noch in einem zweiten Sinn. Wenn die Synthetische Biologie sich anschickt, Leben im Labor zu schaffen und wenn sie suggeriert, dass dieses Leben nicht mehr ist als eine herstellbare Maschine, so würde damit nicht nur das Leben im Labor entwertet. À la longue könnte sich auch eine Vorstellung breit machen, dass das Leben an sich nicht mehr ist als etwas beliebig Herstellbares (4). Wenn das Leben zunehmend unter diesem Aspekt der technischen Reproduzierbarkeit betrachtet wird, so könnte der Mensch sich immer mehr in der Haltung des Verfügens über das Leben verirren und das verlieren, was Bedingung seiner eigenen Existenz ist: nämlich die Haltung der Achtung vor dem Leben an sich.

Daher sehe ich die Gefahren der Synthetischen Biologie weniger im Machen als in der Grundhaltung, die dem Machen zugrunde liegt. Die adäquate Grundhaltung wäre nicht der Anspruch „ich erschaffe Leben im Labor“, sondern viel bescheidener „ich helfe der Selbstentstehung von Leben“. Der Mensch kann Leben nicht erschaffen – das Leben erschafft sich selbst. Und schon gar nicht kann der Mensch das Leben aus dem Nichts erschaffen. Das, was der Mensch nicht erschafft, sondern dem er lediglich zum Entstehen verhilft, besteht aus vorgegebenen Bestandteilen und ist eben keine Erschaffung aus dem Nichts, keine creatio ex nihilo.

Fazit: Die Synthetische Biologie und der verstellende Blick auf das Leben

Die Entzauberung der Welt hat schon stattgefunden, und doch sollte man gerade im Angesicht des Lebens auf unserer Welt das Staunen und das Verzaubertsein bewahren. Heidegger hat die Technik als „Ge-stell“ bezeichnet, das den Blick auf das Wesentliche ver-stellen kann. Genau diese Gefahr birgt die Synthetische Biologie, weil durch die vermeintliche technische Herstellbarkeit des Lebens der Blick dafür verloren gehen könnte, dass das Leben etwas von einem Wunder hat. Dass es einen inneren Wert besitzt, etwas Kostbares ist, das am Ende nur als Gabe betrachtet werden kann, auf die man nicht mit Stolz blicken, sondern die man nur in Dankbarkeit annehmen kann. Und ich würde mir wünschen, dass wir uns diesen Blick auf den Geschenkcharakter des Lebens auch im Zeitalter der Synthetischen Biologe nicht verstellen lassen.


(1) Zitiert in Lee Silver: "A new generation of scientific mavericks is not content to merely tinker with life's genetic code. They want to rewrite it from scratch." Newsweek 2007.

(2) Siehe Brenner, Andreas: Leben – Grundwissen Philosophie. Reclam 2009

(3) Siehe dazu näher Boldt J, Müller O, Maio G.: Synthetische Biologie. Eine ethisch-philosophische Analyse. Bern 2009, abrufbar unter http://www.ekah.admin.ch/de/dokumentation/publikationen/beitraege-zur-ethik-und-biotechnologie/index.html

(4) Dies ist die Hauptthese des Bandes Boldt Müller Maio, zit. in (3). (nbo)