Neue Genesis im Labor
Forscher des J. Craig Venter Institute haben erstmals ein vollständig synthetisiertes Bakteriengenom in einer fremden Empfängerzelle zum Leben erweckt.
- Jocelyn Rice
- Niels Boeing
Ein Meilenstein in der Biotechnik: Forscher des J. Craig Venter Institute haben erstmals ein vollständig synthetisiertes Bakteriengenom in einer fremden Empfängerzelle zum Leben erweckt.
Sie haben also auch das geschafft: Wissenschaftler des J. Craig Venter Institute haben die erste echte Vorstufe einer synthetischen Lebensform geschaffen. „Zum ersten Mal ist die Information eines Genoms zum Leben wiedererweckt worden“, sagt Chris Voigt, Biologe an der Universität von Kalifornien in San Francisco, der an der Arbeit nicht beteiligt war. Es ist der vorläufige Höhepunkt eines 15-jährigen privaten Forschungsprogramms und der noch jungen Disziplin der Synthetischen Biologie.
In den vergangenen drei Jahren waren die Forscher um den gleichermaßen umstrittenen wie bewunderten Biologen Craig Venter bereits in die Zielgerade eingelaufen. Mitte 2007 gelang es ihnen, erstmals ein komplettes Bakteriengenom in einen anderen Einzeller zu transplantieren. Dabei handelte es sich noch um ein „natürliches“ Genom des Bakteriums Mycoplosma mycoides. Anfang 2008 dann der nächste Streich: Mit Hilfe einer Hefezelle konnte Venters Team erstmals ein komplettes Mycoplasma-Genom aus kurzen Teilsequenzen zusammenbauen, die zuvor in einer Synthesemaschine hergestellt worden waren.
Der nächste Schritt war, ein synthetisches Genom in ein Bakterium einzupflanzen und zu „booten“, wie es Venter in Analogie zu Computern immer wieder ausgedrückt hat. Denn der Mikroorganismus soll nach der Transplantation mit der neuen Erbinformation weiterleben. Das ist den Forscher nun gelungen, wie sie in der Online-Ausgabe von Science berichten.
Dazu verpflanzten sie ein synthetisiertes Mycoplasma-Genom mit rund einer Million Basenpaaren in eine verwandte Bakterienart, Mycoplasma capricolum, ein. Nach kurzer Zeit begann der Einzeller, anhand des neuen Gencodes Proteine zu bilden, die nur in Mycoplasma mycoides vorkommen. Nach einigen Zellteilungen seien alle Spuren des Empfängerbakteriums verschwunden, berichten die Forscher. Übrig blieben Mikroorganismen, die den Stoffwechsel von M. mycoides aufwiesen. Nach der ersten Genom-Transplantation 2007 hatte nach zahlreichen Teilungen nur eine in 150.000 Zellen die neue Erbinformation übernommen.
Um die Verwandlung zweifelsfrei feststellen zu können, baute das Venter-Team einige „biologische Wasserzeichen“ in das synthetische Genom ein. Dazu entwickelten sie einen Code, in dem verschiedene Folgen von Basenpaaren Buchstaben des Alphabets sowie Ziffern repräsentieren. Auch die Entschlüsselung dieses Codes wurde in das neue Genom eingefügt. In der Tradition der IBM-Forscher, die 1989 zum ersten Mal mit einzelnen Atomen das „IBM“-Logo in Materie einschrieben, hinterlegten sie in dem Genom ihre Namen, einige Zitate und eine Webadresse für alle, denen es gelingt, den Code zu dechiffrieren.
Auf dem Weg zum künstlichen Leben ist dem J. Craig Venter Institute damit ein Proof of Principle gelungen. Die Forscher hoffen nun, mit ihrer Technologie der synthetischen Genome ganz neue Anwendungen erschließen zu können. Mit dem Pharmakonzern Novartis und den National Institutes of Health will das Institut Gen-Cluster entwickelt, die in ein synthetisches Genom eingefügt werden können, um effizienter Impfstoffe für alle bekannten Grippearten zu produzieren.
Mit dem Ölkonzern ExxonMobil wiederum hat das Venter-Institut erst kürzlich eine 600 Millionen Dollar schwere Kooperation bekannt gegeben. In der sollen neue Algenzellen entwickelt werden, die Kohlendioxid in Kohlenwasserstoffe für die Kraftstoffherstellung umwandeln. „Wir haben keinen lebenden Einzeller finden können, der diesen Prozess so effizient durchführt, dass das Ganze wirtschaftlich umsetzbar wäre“, sagt Craig Venter.
Weitere Anwendungen für synthetische Mikroorganismen sieht er in der Reinigung von Wasser oder der Herstellung von Lebensmittelzutaten. „Ich sage voraus, dass innerhalb eines Jahrzehnts alle Einzeller, die in industriellen Prozessen genutzt werden, synthetisch sein werden“, erklärt Venter. Er erwartet sich von dieser Entwicklung einen „Billionen-Dollar-Organismus“, wie er einmal dem US-Magazin Newsweek sagte. Mit dem Ölkonzern BP war sein Institut bereits 2007 eine Partnerschaft eingegangen. Die Höhe der BP-Investition ist aber nicht bekannt.
Um die Prozedur in Zukunft zu vereinfachen, will das Venter-Institut eine universale Empfängerzelle konstruieren, die mit beliebigen synthetischen Genomen „booten“ kann. Die Transplantation sei technisch der schwierigste Part seines Konzepts gewesen, sagt Venter. Deshalb sei es besser, nicht für jedes neue Genom einen passenden natürlichen Einzeller finden und präparieren zu müssen.
Chris Voigt sieht die größte Hürde nun darin, funktionsfähige neue Genome zu entwerfen. „Die Technologie, DNA zu synthetisieren, ist ausgereift. Jetzt geht es um Konstruktionswerkzeuge“, so Voigt. „Das ist die nächste Generation der Genomforschung.“
Neben den praktischen Anwendungen verspricht sich Venter von der Forschung auch wichtige Erkenntnisse darüber, was jedes einzelne Teil der Zellmaschinerie macht. Zwar habe man zahlreiche Genome sequenziert, betont Venter, aber man verstehe derzeit noch nicht einmal, wie die einfachsten Lebensformen funktionieren. „Wir wollen aus einem dieser simplen Einzeller den Musterorganismus der Biologie machen.“
Dass der genetische Code aus den vier Basen mit Hilfe eines Computers geschrieben werden kann, zeigt für ihn, was Leben ausmacht. „Bakterien sind Software-gesteuerte biologische Maschinen. Wenn Sie die Software ändern, bauen Sie eine neue Maschine. Ich bin immer noch fasziniert von diesem Gedanken“, so Venter. „Das ist sowohl ein philosophischer als auch ein technischer Fortschritt.“
Für Chris Voigt kündigt sich damit ein neues Zeitalter an: Bisher hätten Zellen und DNA physisch von einem Ort an einen anderen gebracht werden müssen, doch nun werde die Biologie zu einer informationsbasierten Wissenschaft. Im Prinzip könne man das Genom eines Organismusses in San Francisco sequenzieren und die Gensequenz per Email nach Maryland schicken, wo sie dann synthetisiert und in eine Empfängerzelle eingesetzt werde. „Die Information selbst kann einen Organismus rekonstruieren und zum Leben erwecken“, hebt Voigt hervor.
Diese Begeisterung teilen freilich nicht alle. „Es ist äußerst beunruhigend, das Venter die Technologie in die Hände einer der verantwortungslosesten und ökologisch gefährlichsten Industrien gibt, wenn er sich mit BP und Exxon zusammentut“, moniert Jim Thomas von der kanadischen Umwelt- und Bürgerrechtsorganisation ETC Group, die Venters Aktivitäten seit längerem kritisch verfolgt. Es sei nicht klar, was passiere, wenn synthetische Lebensformen aus dem Labor entweichen würden. Niemand wisse, wie sie sich auf die natürliche Biodiversität auswirken würden. „Das ist wieder so ein Moment, in dem die Büchse der Pandora geöffnet worden ist – wie zuvor bei der ersten Kernspaltung oder beim Klonschaf Dolly“, so Thomas. „Wir alle werden uns mit dem Fallout dieses alarmierenden Experiments auseinandersetzen müssen.“
Das Paper: Gibson, D. et al., "Creation of a Bacterial Cell Controlled by a Chemically Synthesized Genome“, Science, 20.5.2010 (Abstract) (nbo)