Verriss des Monats: Malen mit Hirn

Bei "BrainPaint" treffen New Age und Hightech auf Kunst. Die avantgardistische Botschaft: Rhabarber, rhabarber.

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Von
  • Peter Glaser

Bei "BrainPaint" treffen New Age plus Hightech auf Kunst. Die avantgardistische Botschaft: Rhabarber, rhabarber.

Die Kunst des gepflegten Verreißens zweifelhafter Produkte ist ein wenig aus der Mode gekommen. An dieser Stelle präsentiert unser Kolumnist Peter Glaser einmal im Monat deshalb eine Rezension der etwas anderen Art: Den Verriss des Monats. Vorschläge für besonders zu würdigende Produkte werden gerne per Mail entgegengenommen.

Eine der am häufigsten unterschätzten alternativen Energiequellen ist jenes Konglomerat aus handgesägten Geisteshaltungen, das New Age heißt. Damit lässt sich so viel heiße Luft produzieren, dass man problemlos ein paar Atomkraftwerke abschalten könnte. Warum macht das keiner und lässt diese Leute in Gasturbinen hineinreden? Da Turbinen relativ laut sind, hätte das auch noch den Vorteil, dass man nicht mehr hört, was sie verkünden.

Leider gibt es da aber noch die Kulturtechnik des Aufschreibens, die man auch mit Lärm nicht wegkriegt und über deren eigentümliche Emanationen man, wäre das Internet eckig, an jeder Ecke des Netzes stolpern würde. Das Internet aber ist nicht eckig, es ähnelt in seiner todschicken Art von Durcheinander eher einem Fraktal.

Er hat Fraktal gesagt!

Das Fraktal, liebe Kinder, wurde in den 80er Jahren von Benoit Mandelbrot erfunden, als es ihn mal langweilte, dass es nur vier Dimensionen gibt. Seither gibt es so viele man möchte, worüber sich schon damals nicht nur theoretische Mathematiker freuten, sondern beispielsweise auch Sparkassendirektoren in Kleinstädten, die im Foyer ihrer Institute Ausstellungen mit unglaublich bunten Fraktalen im Posterformat eröffnen konnten, denen bei der Farbgebung besonders viel Sorgfalt geschenkt worden war. Fraktale sehen ein bisschen so aus, wie sich ein Edeka-Filialleiter einen Drogenrausch vorstellt: Irre bunt, irgendwie merkwürdig und von einer Spitzendeckchenästhetik, die rätselhafterweise als Chaos durchgeht (aber in Deutschland ist das Chaos ja sogar als eingetragener Verein registriert).

Hier kommt nun BrainPaint ins Spiel, "ein Neurofeedback-System auf dem neuesten Stand, das aufgrund systematischer Berechnungen auf Basis von Messwerten Hilfe zur Verbesserung der von der Gehirnfunktion ausgehenden Aktivitäten bietet". Die Software "vermittelt Wissen und Erfahrung von Spitzenforschern", allen voran die 15 Jahre Erfahrung von Bill Scott, der das Programm entwickelt hat.

"Keine Beschreibung verfügbar" steht bezeichnenderweise bei einem YouTube-Democlip zu BrainPaint. Hier wird nichts erklärt. Es werden Worte in den Raum gestellt, die sich nach etwas anhören: "SMR-Training", "Alpha-Theta-Training", "Slow Cortical Potenzial-Training" – das klingt nach Neurologie an der Spitze der Zeit.

1929 entwickelte der deutsche Neurologe Hans Berger das Elektroenzephalogramm, mit dem sich elektrische Potenzialschwankungen an Elektroden messen ließen, die am Schädel angebracht sind. Die Frequenzkurven weisen auf unterschiedliche Arten des Bewusstseinstonus wie "wach", "schlafend", "gestresst" oder "entspannt" hin. In der Medizin werden EEGs etwa bei der Bestimmung der Narkosetiefe oder des Hirntods oder in der Schlafmedizin eingesetzt.

1967 brachte der amerikanische Mediziner M. Barry Sterman Katzen bei, ihre EEG-Wellen zu modifizieren und entdeckte später per Zufall, dass die trainierten Katzen resistent gegen epileptische Anfälle waren. Seither gibt es Leute, die glauben, dass EEG-Wellentraining oder Neurofeedback die Fähigkeiten des Gehirns verbessern kann. Seit über vierzig Jahren wird damit experimentiert, bisher ist es bei vagen Hinweisen auf mögliche Wirkungen geblieben. Einen Nachweis dafür gibt es immer noch nicht.

Experimentieren schadet ja nicht. Aber dann spricht das Werbevideo für BrainPaint zu uns: "Stell dir dein Hirn als Formel-1-Rennwagen vor, ausgestattet mit einer unglaublichen Leistungsfähigkeit. Dann stell dir einen Fahrer hinter dem Lenkrad vor, der nicht weiß, wie man den Motor richtig bedient." Das sei der Grund, weshalb das Gehirn vieler Menschen mit Problemen wie ADD, Angstgefühlen, Schlafstörungen, obsessivem Denken (!) und Depressionen zu kämpfen habe. "Sie werden daran gehindert, die volle Kapazität ihres Gehirns zu nutzen. Aber es gibt Menschen, die ihre Gehirnleistung optimieren wollen." Beim BrainPaint-Training "bringt dein Gehirn sich selbst bei, den besten Gang für den jeweils anliegenden Task einzulegen". Früher nannte man das den Nürnberger Trichter.

Zur Gehirnoptimierung malt die Software, die Bill Scott persönlich entwickelt hat, statt bloß linearer Hirnstromkurven nun effektvolle fraktale Filamente auf den Bildschirm. Das Erste, woran ich denken musste, als ich Screenshots der Gehirngemälde sah, war der große Kunstraub neulich in Paris. Wo sind die Kunsträuber, wenn man sie mal wirklich braucht? Die Bilder erinnern an das Protoplasma aus dem Roman "Solaris" von Stanislaw Lem, das einen ganzen Planeten überzieht und komplexe, kilometerhohe Ausformungen bildet. Wissenschaftler in einer umlaufenden Raumstation versuchen seit Jahrzehnten vergeblich, sie als Äußerungen einer fremden Intelligenz zu enträtseln.

So sitzt man da und guckt sich mathematisch anspruchsvollen Kitsch an, der suggeriert, man könne auf subtile und ausdifferenzierte Art sein Bewusstsein verfeinern oder verformen. Aber mehr als wolkige Unterschiede in der Aufmerksamkeit sind auch nach jahrzehntelangem Herumprobieren nicht dingfest zu machen. Um aus derartiger Wolkigkeit ein vermarktbares Produkt zu machen, wird gern auf jene Mischung aus verheißungsvoller Rhetorik und Hochpreispolitik zurückgegriffen, die typisch ist für viele New Age-Darbietungen: "BrainPaint verwandelt Gehirnsignale in wunderbare, interaktive, dynamische Kunst, die deinem Gehirn wertvolles Feedback zur Verbesserung seiner Funktionen gibt. Zum ersten Mal kann das Gehirn sich selbst in Aktion sehen." Wow.

Kann man die Software oder das ganze System kaufen? "Nein, BrainPaint wurde nicht als kommerzielle Anwendung entwickelt. Es ist ein Werk der Liebe, befeuert von Bills Leidenschaft, die Sprache des Gehirns zu lernen, seinen Klienten zu helfen und dem Feld des EEG-Biofeedbacks mehr Glaubwürdigkeit und Aufmerksamkeit zu verschaffen."

Man kann das Werk der Liebe allerdings für 625 Dollar pro Monat mieten. Das sei günstiger als die 16 mindestens nötigen 30-Minuten-Sitzungen mit einem Neurofeedback-Therapeuten, der 260 Dollar die Stunde nimmt, rechnet Bill Scott dem an computerisierter Fraktaldenkverstärkung interessierten Zeitgenossen vor.

In die Karten schauen lassen möchte er sich dabei aber nicht. BrainPaint "stellt sehr spezielle Hardware-Anforderungen", schreibt er. (Einen ganz gewöhnlichen PC.) Und ich vermute mal, dass es sich mit dem Programm ähnlich verhält wie mit den "Mind Machines", die in den 90er Jahren modern waren und die auf der selben Begriffsklaviatur zwischen Gehirnwellenrhabarber und Super Learning spielten. Ich habe mal einige dieser Geräte aufgeschraubt. Im Inneren: Technik von gestern zum Preis von übermorgen.

Dank für den Hinweis auf BrainPaint an Stephan Porombka. (bsc)