Sperrungen gegen Chinas Wikipedia-Gemeinde

Die chinesischen Wikipedia-Seiten sind derzeit für Internet-Nutzer in China teilweise nur schwer zu erreichen, auch wenn Aktivisten die Aufhebung eines Großteils der Sperrungen erreichen konnten.

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Von
  • Monika Ermert

Die chinesischen Wikipedia-Seiten sind derzeit für Internet-Nutzer in China teilweise nur schwer zu erreichen. Schon seit zwei Wochen häuften sich die Meldungen, dass auf die Seiten der freien Internet-Enzyklopädie von verschiedenen großen Städten aus nicht zugegriffen werden könne. Bei Wikipedia kann jeder nicht nur Artikel schreiben und überarbeiten, sondern auch das bereits zusammengekommene Material kostenlos abrufen, beliebig verarbeiten und nach der GNU FDL frei weiterverbreiten.

In mehreren Postings auf chinesischen und englischen Mailinglisten wurde die Sperrung bestätigt. Am heutigen Donnerstag konnten Aktivisten erreichen, dass wenigstens ein Teil der Seiten wieder zugänglich gemacht wurde.

Ursprünglich waren Chinas Wikipedianer davon ausgegangen, dass der 4. Juni -- und damit der Jahrestag des Massakers auf dem Tiananmen-Platz -- Auslöser für eine vorläufige Sperrung sein könnte. Auch gab es anfangs Überlegungen, man sei Opfer der Sperrung anderer Inhalte gewesen, weil man in deren gesperrtem IP-Bereich liege.

Presseanfragen hat der für China verantwortliche Sprecher in Hongkong bislang nicht beantwortet. Mehrfach wurde auf den Mailinglisten davor gewarnt, dass zu viel Wirbel die Behörden in die Ecke treiben könnte. Ironie des Schicksals: Gerade die zahlreichen westlichen und chinesischen Presseberichte über die freie Enzyklopädie könnten die Seiten auf den Radar der Behörden gebracht haben.

Nun schlagen einzelne Wikipedianer und chinesische Blogschreiber sogar vor, sich kompromissbereit zu zeigen und die zuständigen Behörden um Details zu beanstandeten Seiten -- etwa zur Taiwanfrage -- zu bitten. Andere empfehlen dagegen, in diesem Fall lieber auf die chinesische Ausgabe zu verzichten. Nachfragen bei den Behörden haben inzwischen immerhin einen Teilerfolg gebracht: Abgesehen vom Wörterbuch sind die Seiten von manchen betroffenen Städten aus seit heute Morgen wieder erreichbar.

Bei der kürzlich bei Chinas staatsnaher Internet Society eingerichteten "freiwilligen Selbstkontrolle" für Webinhalte, dem Internet News & Information Service Working Committee (INISWC), werden zwar fast täglich Erfolgsmeldungen zu gesperrten illegalen Seiten verkündet. Wikipedia wird aber dort nicht genannt, eine Stellungnahme gab die Institution nicht ab. Innerhalb der vergangenen zehn Jahre hat China rund 30 Gesetze und Verordnungen zu Telekommunikation und Internet verabschiedet. Derzeit feiert man gerade eine Dekade Telekommunikationsmarkt im Reich der Mitte: Im Juli 1994 wurde mit der Gründung von Unicom der staatlich beschlossene Wettbewerb im Telekommunikationsmarkt gestartet. Internet gehört heute in den Städten zumindest für viele jüngere Menschen zum Alltag, von einer freien Informationsgesellschaft ist das Riesenland aber noch weit entfernt. (Monika Ermert) / (jk)