Offshore-Öl in der Sackgasse

Die Katastrophe der "Deepwater Horizon" erschüttert auch die Ölindustrie. Weil sie die Entwicklung neuer Sicherheitstechnologien sträflich vernachlässigt hat, könnte sich das Offshore-Moratorium von US-Präsident Obama ganz von selbst auf Jahre ausdehnen.

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Von
  • Peter Fairley

Die Katastrophe der "Deepwater Horizon" erschüttert auch die Ölindustrie. Weil sie die Entwicklung neuer Sicherheitstechnologien sträflich vernachlässigt hat, könnte sich das Offshore-Moratorium von US-Präsident Obama ganz von selbst auf Jahre ausdehnen.

Die Ölpest im Golf von Mexiko, hervorgerufen durch die Explosion der Bohrinsel „Deepwater Horizon“ vor sieben Wochen, erschüttert nicht nur die Öffentlichkeit. Auch die Offshore-Ölindustrie ist sichtlich angeschlagen. Denn um das Risiko eines solchen Desasters bei künftigen Tiefsee-Förderprojekten zu minimieren, sind nach Ansicht vieler Branchenkenner neue Sicherheitstechnologien nötig. Die aber könnten die Ausbeutung von Lagerstätten in großer Meerestiefe unrentabel machen – und das von US-Präsident Obama verhängte Offshore-Moratorium ganz von selbst verlängern.

„Ich glaube, die Chancen stehen 50 zu 50, dass das gegenwärtige Moratorium länger dauert“, orakelt Paul Bommer, Ingenieur an der Universität von Texas in Austin. Denn es sind nicht nur Fehlentscheidungen des Ölkonzerns BP, die zur Katastrophe führten. Die Ölindustrie selbst bekommt mit der Katastrophe die Quittung für falsche Prioritäten.

Einen exemplarischen Fehler sehen Ingenieure darin, dass sich BP dafür entschied, eine durchgängige Kette von Stahlrohren zwischen Bohrkopf und dem Grund der Ölquelle einzuziehen. „Ich kann mir das nur damit erklären, dass BP sich davon eine Kostensenkung versprach“, sagt Bommer.

Unter den hohen Drücken, die in derart tiefen Quellen herrschen, bringt diese Konstruktion ein gravierendes Problem mit sich. Denn zwischen der Stahlhülle des Bohrgestänges und der Wand des Bohrlochs kann ein hauchdünner Zwischenraum offen bleiben. Öl, das durch Spalt leckt, bleibt dann unbemerkt. Im Falle von Deepwater Horizon deutet einiges darauf hin, dass genau dies der Fall war.

Die bessere Alternative für die Tiefseeförderung wäre eine so genannte „Liner“-Konstruktion. Hierbei wird bei jeder Bohretappe eine Auskleidung (englisch: Liner) aus Zement am unteren Ende des Bohrschachts eingezogen. Während der Zement trocknet, kann der „Driller“ – der Inspekteur der Bohrung – beobachten, ob irgendwo Lecks auftreten. „Das dauert länger, kostet auch mehr, ist aber viel sicherer“, sagt Geoff Kimbrough, Tiefsee-Experte der Ölbohr-Beratung New Tech Engineering aus Houston.

Es werde aber einige Zeit dauern, bis sich in den Unternehmen der Ölindustrie ein umsichtigeres Vorgehen etabliere, vermutet Kimbrough. Denn die Vorsicht hat ihren Preis: pro Quelle schätzungsweise 10 bis 20 Millionen Dollar Mehrkosten. Nicht alle Firmenbosse würden dies sofort unterstützen, sagt Kimbrough: „Dazu gehört Mut, und der kommt nicht über Nacht.“

Eine Sicherheitsanalyse für das US-Innenministerium hat kürzlich auch Vorschläge formuliert, wie eine behördliche Regulierung eine neue Sicherheitskultur in der Ölindustrie unterstützen könnte. Dazu gehören neue Richtlinien für Bohrungen, Zertifizierungen für die Anlagenführer und strengere Inspektionen der Bohrplattformen. Zugleich müsse aber auch das Innenministerium seine Mitarbeiter schulen, damit sie überhaupt in der Lage sind, Bohrpläne kritisch zu überprüfen, fordert Kimbrough.

Ein weiterer Ansatzpunkt ist der Bohrlochschieber („Blowout Preventer“, kurz BOP), der im Notfall automatisch das Förderrohr mit Rammen („Shear rams“) abklemmen soll. Am 22. April versagten die Rammen der Deepwater Horizon, und das Unglück nahm seinen Lauf. Das US-Innenministerium hält deshalb eine regelmäßige Nachrüstung der BOPs für notwendig. Das könnten zum Beispiel zusätzliche Rammen sein.

Einige Ölingenieure plädieren hingegen dafür, an der Oberfläche noch einen zweiten BOP zu installieren. Im Unterschied zu dem am Meeresgrund sei er für Inspektionen und Tests leicht zugänglich. Dafür müsste aber auch das Förderrohr, das den Bohrkopf mit dem Bohrturm verbindet, neu konstruiert werden.

Kimbrough hält diesen Vorschlag für ungeeignet. „Das Ganze ist eigentlich unbezahlbar. Allein die Kosten für die Entwicklung des Systems wären schon astronomisch hoch.“ Sollte ein solches System vorgeschrieben werden, kämen neue Offshore-Förderungen wohl für einige Jahre zum Erliegen. „Schließlich dauert es Jahre, bis Sie so etwas entwickelt und getestet haben“, sagt Kimbrough.

Diese Kosten seien immer noch gering im Vergleich zu dem Schaden, der jetzt der Golfregion entsteht, wendet Paul Bommer ein. Sollte eine solche „brutalstmögliche“ Sicherheit Ölfirmen zum Rückzug aus dem Geschäft bewegen, sei das eben so. „Kosten sind das letzte, worüber man sich gerade den Kopf zerbrechen sollte“, sagt Bommer.

Auch beim Umgang mit bereits aufgetretenen Lecks ist technisch noch mehr machbar. Die überhasteten Versuche von BP, den Ölaustritt am Meeresgrund zu verhindern, waren technisch nicht gerade anspruchsvoll – man denke nur an das gescheiterte Schlammbombardement des abgerissenen Förderrohrs in der Operation „Top Kill“. So musste denn auch BP-Chef Tony Hayward vergangene Woche kleinlaut eingestehen, dass BP entgegen dem, was in der Bohrgenehmigung stehe, „nicht über die Werkzeuge“ verfüge, ein Leck zu stopfen.

Dass die Ölindustrie hier nicht viel zu bieten hat, ist für Branchenkenner keine Überraschung. Zu einem fehlerhaften Blowout-Preventer gibt es derzeit nur eine Alternative, die nachweislich funktioniert: Entlastungsbohrungen neben dem eigentlich Bohrloch. Die aber dauern Monate. Bereits 2003 kamen Ingenieure der Texas A&M University zu dem Schluss, dass es von einer „geradezu fatalistischen Haltung der Ölindustrie“ zeuge, wenn sie sich nur auf Entlastungsbohrungen als letzte Hilfe verlasse.

Seitdem hat bei den Sicherheitskonzepten kaum Fortschritte gegeben. Die Tiefseeforschung wurde 2005 vom US-Kongress dem Ölindustrie-Konsortium „Research Partnership to Secure Energy for America“ (RPSEA) übertragen. Von den 17 Millionen Dollar, die die RPSEA jährlich vom US-Energieministerium bekommt, ging der Löwenanteil in die Produktionsforschung.

Die BP-Havarie könnte nun der Startschuss sein, auch die Sicherheits- und Notfallforschung voranzubringen. Laut Experten könnten die hilflosen Versuche von BP einen eigenen Industriezweig anschieben – analog zu den Inspektionsdienstleistern, die heute die Sicherheit hunderter Ölfelder an Land beaufsichtigen.

RPSEA-Vizepräsident James Pappas bestätigt, dass das Konsortium seine Forschungsagenda bereits auf Sicherheitsfragen neu ausrichtet. Vorstellbar sei, Bohrlöcher künftig mit besseren Sensoren auszustatten, die vermessen, was im Inneren tatsächlich vor sich geht. „Das ist ein blinder Fleck, den wir als Industrie bisher kaum angepackt haben“, gibt Pappas zu.

Er und andere Ölingenieure sind aber skeptisch, ob all diese Maßnahmen eine wütende Öffentlichkeit davon überzeugen können, dass ein zweites „Deepwater Horizon“ unmöglich ist. Um das gegenwärtige Moratorium zu beenden, seien eigentlich wirklich radikale Verbesserungen bei der Offshore-Fördertechnik nötig. „Wir müssen wieder zurück auf Los und beweisen, dass wir als Industrie verlässlich und verantwortungsbewusst genug sind“, sagt Pappas. (nbo)