Energiewende: Noch wenig Dynamik bei dynamischen Stromtarifen

Variable Tarife gelten als Hebel, um Flexibilität im Stromnetz zu schaffen und Verbraucher in die Energiewende einzubinden. Viele Versorger ignorieren sie.

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Strommasten in Bremen

(Bild: heise online / anw)

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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Seit Beginn 2025 sind Energieversorger in Deutschland verpflichtet, Kunden dynamische Stromtarife anzubieten. Zumindest, soweit ihnen das "technisch machbar und wirtschaftlich zumutbar" ist. Dass diese gesetzliche Vorgabe kommen würde, ist prinzipiell seit dem Auftakt zur Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes im Sommer 2021 bekannt. Das Schweizer Startup Exnaton, das eine KI-basierte Abrechnungsplattform anbietet, beklagt nun, dass sich hier trotzdem wenig getan hat. Gerade große Energieversorger haben ihm zufolge erst im Sommer 2024 begonnen, sich ernsthaft mit der Umsetzung zu befassen. Die Folge? "Viele Anbieter konnten die Frist nicht einhalten und stehen auch nach dem Stichtag ohne tragfähige Lösungen da."

Im Mai 2023 billigte der Bundesrat das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) initiierte Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende final. Hauptziel ist es, den Smart-Meter-Einbau deutschlandweit zu beschleunigen. Bis 2032 sollen solche intelligenten Stromzähler flächendeckend in Haushalten und Unternehmen zum Einsatz kommen. Alle Stromversorger müssen laut dem Gesetz seit drei Wochen auch dynamische Tarife anbieten. Dadurch sollen Kunden den Stromverbrauch in kostengünstigere Zeiten mit hoher Erzeugung verlagern können.

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Mit einem Smart Meter wird es Konsumenten dem Plan nach möglich, dafür ihr eigenes Verbrauchsverhalten zu analysieren. Dies soll es ihnen im nächsten Schritt erleichtern, einen zur Stromnutzung passenden Tarif zu finden. Das BMWK zeigt sich zuversichtlich: "Letztlich lassen sich dadurch in erheblichem Maße Kosten sparen."

Experten sehen in einem flexiblen Energiemarkt mit Optionen für Bürger und Unternehmen, selbst unbegrenzt Strom aus Photovoltaik- und Windanlagen ins Netz einzuspeisen, seit Langem einen wichtigen Baustein im Netzumbau. Als wichtige Treiber gelten auch ihnen dabei dynamische Tarife gekoppelt mit intelligenten Stromzählern, virtuellen Kraftwerken sowie Batterie-Pooling etwa über Elektrofahrzeuge und Smart Grids.

Bei Branchengrößen hat sich trotzdem wenig getan. "Die scheinbaren Gründe dafür sind vielfältig", erläutert Exnaton-Chefin Liliane Ableitner. Sie reichten von "Herausforderungen in der technischen Umsetzung über strategische Hürden bis hin zur fehlenden Infrastruktur – Stichwort Smart-Meter-Rollout." Es werde deutlich, dass die Einführung flexibler Tarife zur Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben "tiefgreifende Anpassungen in den Prozessen und Strukturen der Energieversorger erfordert". Vor allem aber deren "zögerliches Handeln" werfe "ein kritisches Licht auf die Prioritätensetzung der Branche".

Während bei herkömmlichen Tarifen nur ein Fixpreis mit dem Gesamtverbrauch des Jahres multipliziert werde, verlangten dynamische "eine feingranulare Verbrauchserfassung in 15-Minuten-Intervallen", führt Ableitner aus. "Pro Haushalt entstehen also statt einer einzigen jährlichen Ablesung des Stromzählers rund 35.000 Verbrauchsdatenpunkte pro Jahr, die erfasst und abgerechnet werden müssen." Das sei "eine gewaltige technische Umstellung", der bestehende Systeme für Enterprise Resource Planning (ERP) nicht gewachsen seien. So mancher ERP-Anbieter rate Energieversorgern sogar, zeitabhängige Tarife "als wirtschaftlich unzumutbar einzustufen". So werde Innovation im Keim erstickt.

Zudem spielten "transparente, intuitive und benutzerfreundliche Visualisierungen, Echtzeit-Benachrichtigungen und die Integration mit Stromgeräten eine wesentliche Rolle für die Akzeptanz und das Vertrauen gegenüber dynamischen Tarifen" weiß Ableitner. Ohne gezielte Aufklärungsarbeit bleibe das Konzept auch schwer zugänglich und die Bereitschaft zur Nutzung gering. Fehlende Smart Meter verhinderten dagegen zumindest Übergangslösungen via Standardlastprofilen (SLP) nicht. Wie sich alternative Lösungen verwirklichen ließen, zeigten Neueinsteiger wie Tibber, 1Komma5, Enpal, Octopus, Rabot Energy und Sonnen.

Eine begleitende Studie zum BMWK-Förderprogramm Elektro-Mobil zeigte 2021: Dynamische Tarife können E-Auto-Fahrer dazu animieren, in verbrauchsarmen Zeiten zu laden oder ihnen die Freiheit geben, zu Spitzenzeiten mit voller Leistung – aber einem höheren Preis – zu tanken. Beispiel: Die Berliner Stadtreinigung (BSR) habe im Rahmen der Initiative ihre E-Nutzfahrzeuge an fünf Standorten vernetzt und die Ladetechnik so ans Stromnetz angebunden, dass mögliche Ladezeiträume automatisiert an den Stromversorger übermittelt würden. Dieser melde dann anhand von Strommarktprognosen die kostengünstigsten Ladezeitpunkte zurück. So habe die BSR – ohne die Bereitschaft ihrer zunehmend elektrifizierten Flotte einzuschränken – eine Netzüberlastung verhindern und zugleich die Beschaffungskosten je Kilowattstunde um rund 16 Prozent senken können.

(ndi)