Secure Coding: Risiken einschätzen mit dem Exploit Prediction Scoring System

Das Exploit Prediction Scoring System bewertet mit Maschine Learning, mit welcher Wahrscheinlichkeit Angreifer eine Schwachstelle ausnutzen können.

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Mann mit Daumen hoch vor Kreisdiagramm

(Bild: erstellt mit Chat-GPT / DALL-E)

Lesezeit: 13 Min.
Von
  • Sven Ruppert
Inhaltsverzeichnis

Das Exploit Prediction Scoring System (EPSS) ist ein wichtiges Werkzeug für IT-Sicherheit. Es wurde entwickelt, um Sicherheitsteams und Organisationen dabei zu helfen, ihre Ressourcen gezielter und effektiver einzusetzen. Dazu bewertet EPSS die Wahrscheinlichkeit, mit der eine spezifische Schwachstelle aktiv ausgenutzt werden könnte. Diese Information hilft Security-Verantwortlichen dabei, ihre Prioritäten im Kampf gegen Sicherheitslücken gezielter zu setzen – insbesondere, solange keine oder nicht ausreichend reale Daten zur Ausnutzung einer Schwachstelle vorliegen.

Secure Coding – Sven Ruppert
Sven Ruppert

Seit 1996 programmiert Sven Java in Industrieprojekten und seit über 15 Jahren weltweit in Branchen wie Automobil, Raumfahrt, Versicherungen, Banken, UN und Weltbank. Seit über 10 Jahren ist er von Amerika bis nach Neuseeland als Speaker auf Konferenzen und Community Events, arbeitete als Developer Advocate für JFrog und Vaadin und schreibt regelmäßig Beiträge für IT-Zeitschriften und Technologieportale. Neben seinem Hauptthema Core Java beschäftigt er sich mit TDD und Secure Coding Practices.

EPSS basiert auf einem datengetriebenen Modell, das mithilfe von maschinellem Lernen (ML) und statistischen Methoden entwickelt wurde. Die Beschreibung der Funktionsweise gliedert sich unter anderem in die Bereiche Datenquellen, Analysefaktoren und Score-Berechnung:

Datenquellen: EPSS greift auf eine breite Palette an Datenquellen zurück, um eine möglichst präzise Einschätzung der Exploit-Wahrscheinlichkeit zu ermöglichen. Zu den zentralen Quellen zählen Informationen über bekannte Schwachstellen, die beispielsweise aus der CVE-Datenbank entnommen werden. Darüber hinaus spielen Telemetriedaten eine entscheidende Rolle, da sie Einblick in potenzielle Angriffsmuster und Aktivitäten erlauben, wie sie in realen Umgebungen beobachtet werden. Ergänzend fließen auch historische Daten zu bereits bekannten Exploits und deren Verbreitung in die Analyse ein. Diese umfassende Datengrundlage bildet das Fundament, auf dem die Vorhersagemodelle aufgebaut werden. Sie stellt zudem sicher, dass die Bewertungen auf aktuellen und relevanten Informationen basieren.

Analysefaktoren: Das EPSS-Modell berücksichtigt eine Vielzahl von Faktoren, die entscheidend sind, um die Wahrscheinlichkeit eines Exploits präzise einschätzen zu können. Ein zentraler Aspekt ist dabei die Popularität der betroffenen Software, da Programme oder Systeme mit einer weiten Verbreitung oft ein attraktiveres Ziel für Angreifer darstellen. Ebenso spielt der Schweregrad der Schwachstelle eine wichtige Rolle, der häufig mithilfe von CVSS-Scores (Common Vulnerability Scoring System) beschrieben wird und Aufschluss über die potenzielle Gefährdung gibt.

Ein weiterer Faktor ist die Verfügbarkeit von Exploits, also spezifischer Angriffswerkzeuge, die entweder in öffentlichen Foren oder auf privaten Plattformen zugänglich sind. Die Existenz solcher Werkzeuge kann die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs drastisch erhöhen. Zudem wird die technische Komplexität der Schwachstelle berücksichtigt. Schwachstellen, die ohne großen technischen Aufwand ausnutzbar sind, stellen ein höheres Risiko dar, da sie auch weniger versierten Angreifern Attacken ermöglichen. Auf Basis der genannten Faktoren lässt sich eine umfassende Analyse erstellen, die eine Exploit-Wahrscheinlichkeit fundiert und datenbasiert bewerten kann.

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Score-Berechnung: Die Berechnung des EPSS-Scores basiert auf einem datengetriebenen Ansatz, der die Wahrscheinlichkeit quantifiziert, mit der eine spezifische Schwachstelle in naher Zukunft ausgenutzt werden wird. Der Score ist ein numerischer Wert zwischen 0 und 1, wobei die Wahrscheinlichkeit für einen Angriff umso höher ist, je näher der Wert bei 1 liegt. Diese Bewertung berücksichtigt zahlreiche Einflussfaktoren, darunter die Verfügbarkeit öffentlicher Exploits, die Popularität der betroffenen Software sowie die allgemeine Verbreitung der Schwachstelle. Ein hoher EPSS-Score liefert Sicherheitsteams somit eine klare Handlungsanweisung, welche Schwachstellen zuerst adressiert werden sollten.

Kontinuierliche Verbesserung: Das Exploit Prediction Scoring System gilt nicht als starres Modell, sondern als eine dynamische und fortlaufend optimierte Lösung. Die kontinuierliche Verbesserung des Modells erfolgt durch regelmäßige Updates mit neuen Daten und Erkenntnissen aus der sich stetig wandelnden Bedrohungslandschaft. Diese Aktualisierungen beinhalten sowohl technische Informationen zu neu entdeckten Schwachstellen als auch Daten über aktuelle Angriffsmethoden, die durch globale Telemetriesysteme erfasst werden. Darüber hinaus fließen Rückmeldungen aus der praktischen Anwendung des Modells ein, mit denen die Gewichtung der einzelnen Einflussfaktoren verfeinert wird. Ziel dieser iterativen Weiterentwicklung ist es, die Präzision der Vorhersagen dauerhaft zu erhöhen und Anwendern stets aktuelle verlässliche und relevante Informationen zu bieten. Der Ansatz stellt sicher, dass das EPSS auch langfristig ein effektives Werkzeug für das Risikomanagement bleibt.

Die primäre Zielsetzung von EPSS ist es, die für IT-Sicherheit bereitgestellten Ressourcen effizienter einzusetzen und Risiken besser zu managen. Die Vorteile im Detail:

Priorisieren von Schwachstellen: In modernen IT-Sicherheitslandschaft stehen Unternehmen vor der Herausforderung, eine Vielzahl von Schwachstellen in den Griff zu bekommen. Oftmals sind die Sicherheitslücken so zahlreich, dass es nahezu unmöglich erscheint, alle gleichermaßen zu behandeln. EPSS bietet hier eine wegweisende Lösung, indem es hilft, gezielt jene Schwachstellen zu identifizieren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit von Angreifern ausgenutzt werden könnten. Durch die Analyse der Exploit-Wahrscheinlichkeit können Sicherheitsteams ihre Patch-Strategien fokussierter gestalten und sich auf die kritischsten Sicherheitslücken konzentrieren. Diese priorisierte Herangehensweise reduziert das Risiko erfolgreicher Angriffe.

Effektiver Ressourceneinsatz: Durch das Priorisieren profitieren Unternehmen von einem systematischen Ansatz, der Sicherheitsmaßnahmen auf die drängendsten Bedrohungen ausrichtet. Darüber hinaus hilft diese strategische Vorgehensweise auch, vorhandene Ressourcen effizienter einzusetzen, in dem stets gezielt die schwerwiegendsten Schwachstellen zuerst behandelt werden. Das spart nicht nur Zeit und Kosten, sondern trägt auch dazu bei, die allgemeine Sicherheit des Systems deutlich zu verbessern.

Verbesserte Risikobewertung: Anstatt sich ausschließlich auf technische Merkmale von Schwachstellen zu konzentrieren, wie es beim CVSS (Common Vulnerability Scoring System) der Fall ist, erweitert EPSS den Ansatz, indem es die tatsächliche Wahrscheinlichkeit eines Angriffs in den Fokus rückt. Diese Perspektive ermöglicht es, Sicherheitsentscheidungen nicht nur auf Grundlage von theoretischen Schweregraden zu treffen, sondern konkrete Handlungsempfehlungen zu geben, die auf realen Bedrohungsszenarien basieren. Das hilft insbesondere dabei, Ressourcen auf die Schwachstellen zu lenken, die ein akutes Risiko darstellen. Dadurch verbessern sich Effizienz und Effektivität der Sicherheitsstrategie.

Frühwarnsystem: Das Exploit Prediction Scoring System ermöglicht es, Schwachstellen frühzeitig zu identifizieren, die ein hohes Risiko für einen Exploit darstellen. Durch diese präventive Analyse können Organisationen ihre Sicherheitsmaßnahmen gezielt und rechtzeitig planen, bevor eine Schwachstelle aktiv ausgenutzt wird. Das EPSS trägt dazu bei, Angriffsvektoren effektiv zu reduzieren und kritische Infrastrukturen vor möglichen Schäden zu schützen. Es fungiert als ein essenzielles Frühwarnsystem, das Sicherheitsteams dabei unterstützt, proaktiv auf potenzielle Bedrohungen zu reagieren und somit die Sicherheitslage insgesamt zu stabilisieren.

EPSS und CVSS sind zwei Systeme, die in der Bewertung von Schwachstellen eine zentrale Rolle spielen, jedoch unterschiedliche Ansätze und Ziele verfolgen. Das Common Vulnerability Scoring System (CVSS) ist ein weit verbreitetes Bewertungssystem, das den Schweregrad einer Schwachstelle anhand festgelegter technischer Kriterien beschreibt. Dabei fließen Faktoren wie die Zugänglichkeit der Schwachstelle, die erforderlichen Benutzerrechte für einen Angriff und die Auswirkungen auf Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit in die Bewertung ein. Der CVSS-Score bietet somit eine statische Bewertung der potenziellen technischen Auswirkungen einer Schwachstelle, ohne dabei die tatsächliche Wahrscheinlichkeit eines Exploits zu berücksichtigen.

Im Gegensatz dazu legt das Exploit Prediction Scoring System (EPSS) den Schwerpunkt auf die Wahrscheinlichkeit, dass eine Schwachstelle in der realen Welt tatsächlich ausgenutzt wird. Während CVSS primär eine theoretische Grundlage für die Dringlichkeit einer Schwachstelle liefert, ergänzt EPSS diese Perspektive durch eine datenbasierte Einschätzung der aktuellen Bedrohungslage. Vor allem diese dynamische Komponente macht EPSS besonders wertvoll für Organisationen, die ihre Ressourcen gezielt einsetzen und sich auf die kritischsten Schwachstellen konzentrieren möchten.

Die Kombination beider Systeme ermöglicht eine ganzheitliche Sicht auf Schwachstellen: CVSS liefert eine technische Einschätzung des Schweregrades, während EPSS eine realitätsnahe Priorisierung basierend auf Exploit-Wahrscheinlichkeiten bietet.

Neben EPSS und CVSS ist auch die Stakeholder-Specific Vulnerability Categorization (SSVC) ein wichtiges Werkzeug zur Bewertung von Schwachstellen. SSVC unterscheidet sich grundlegend in ihrer Methodik, da sie eine qualitative und entscheidungsorientierte Herangehensweise bietet. Während CVSS technische Schweregrade bewertet und EPSS die Wahrscheinlichkeit eines Exploits analysiert, konzentriert sich SSVC auf die spezifischen Auswirkungen einer Schwachstelle auf verschiedene Interessengruppen (Stakeholder). Hierbei werden Faktoren wie die geschäftliche Kritikalität, die vorhandenen Sicherheitskontrollen und die potenziellen Auswirkungen auf den Betrieb berücksichtigt.

Das Zusammenspiel dieser drei Systeme ermöglicht eine umfassende Bewertung und Priorisierung von Schwachstellen. CVSS liefert eine technische Grundlage, die beschreibt, wie gravierend eine Schwachstelle in einem allgemeinen Kontext ist. EPSS ergänzt dies, indem es die Wahrscheinlichkeit einer Ausnutzung basierend auf realen Daten und Angriffstrends bewertet. SSVC schließlich erweitert die Perspektive um die strategische Bedeutung der Schwachstelle aus der Sicht der Organisation und ihrer spezifischen Bedürfnisse.

Durch die kombinierte Anwendung von EPSS, CVSS und SSVC können Organisationen eine fundierte und kontextbezogene Entscheidungsgrundlage schaffen. Diese dreidimensionale Herangehensweise gewährleistet, dass nicht nur technische, sondern auch operative und risikobasierte Aspekte in die Sicherheitsstrategie einfließen.

Ein weiterer wichtiger Begriff im Kontext von EPSS ist die Common Weakness Enumeration (CWE). Während EPSS, CVSS und SSVC darauf abzielen, spezifische Schwachstellen in Systemen zu bewerten und zu priorisieren, konzentriert sich CWE auf die systematische Kategorisierung und Klassifizierung von Schwachstellentypen. CWE beschreibt allgemeine Muster von Schwachstellen, wie beispielsweise Buffer Overflows oder SQL-Injection, und bietet Entwicklern und Sicherheitsexperten eine Grundlage, um potenzielle Lücken in Software zu identifizieren und zu vermeiden.

Der Unterschied zwischen EPSS und CWE liegt darin, dass EPSS auf die Bewertung der Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen Exploits für spezifische Schwachstellen abzielt, während CWE eine taxonomische Übersicht über bekannte Schwachstellentypen bietet. CWE bildet somit die theoretische Grundlage, auf der Systeme wie EPSS aufbauen können, da es die technischen Details und Merkmale liefert, die in die Datenanalyse einfließen.

Das Zusammenspiel zwischen EPSS und CWE konzentriert sich insbesondere auf die Analysephase. EPSS kann die durch CWE identifizierten Schwachstellentypen nutzen, um vorherzusagen, welche dieser Typen in der Praxis am häufigsten ausgenutzt werden. Auf dieser Basis können Organisationen nicht nur gezielt auf spezifische Schwachstellen reagieren, sondern auch präventiv Maßnahmen gegen Schwachstellentypen ergreifen, die besonders anfällig für Angriffe sind. Die Kombination aus EPSS und CWE schafft eine Brücke zwischen der strategischen Planung auf Basis von Schwachstellentypen und der operativen Umsetzung bei der Priorisierung spezifischer Sicherheitslücken.

EPSS ist ein leistungsfähiges Werkzeug, hat aber auch Einschränkungen:

Datenabhängigkeit: Die Qualität der EPSS-Vorhersagen ist maßgeblich davon abhängig, wie umfassend und präzise die zugrunde liegenden Daten sind. Dazu zählen Informationen über bekannte Schwachstellen, deren Eigenschaften und bisherige Angriffe sowie Daten aus Telemetriesystemen, die Angriffsversuche in Echtzeit überwachen. Fehlen wichtige Daten oder sind diese ungenau, schränkt dies die Aussagekraft der Vorhersagen zum Teil erheblich ein. Die Verfügbarkeit der Daten ist zudem häufig von externen Faktoren wie der Qualität der genutzten Datenquellen, deren Aktualität und der Transparenz der Informationslieferanten abhängig. Die Datenabhängigkeit stellt eine zentrale Herausforderung für die kontinuierliche Verbesserung und Effektivität von EPSS dar.

Komplexität des Modells: Für viele Organisationen ist die Interpretation und Anwendung der Ergebnisse des Exploit Prediction Scoring Systems eine Herausforderung, denn EPSS nutzt komplexe Algorithmen und maschinelles Lernen, um Vorhersagen zu treffen, deren Ergebnisse nicht immer leicht zu interpretieren sind. Für Sicherheitsteams ohne tiefgehendes analytisches oder technisches Know-how kann es schwierig sein, die Vorhersagen zu verstehen und die daraus abgeleiteten Maßnahmen in bestehende Prozesse zu integrieren. Oftmals bedarf es zusätzlicher Schulungen oder der Einbindung externer Experten, um sicherzustellen, dass die Ergebnisse effektiv genutzt werden können. Darüber hinaus müssen Organisationen ihre bestehenden Arbeitsabläufe und Entscheidungsprozesse gegebenenfalls anpassen, um die durch EPSS gewonnenen Erkenntnisse optimal zu integrieren. Diese Anpassungen können je nach der Unternehmensstruktur und den vorhandenen Ressourcen zeitaufwendig und kostenträchtig sein.

Nicht-berücksichtigte Faktoren: Trotz der Leistungsfähigkeit von EPSS gibt es externe Einflüsse und unvorhersehbare Ereignisse, die von dem System nicht erfasst werden können. Dazu gehören beispielsweise gezielte Angriffe, die auf spezifische Organisationen oder Einzelpersonen abzielen und oft mit maßgeschneiderten Exploits durchgeführt werden. Solche Angriffe nutzen möglicherweise Schwachstellen aus, die zwar bekannt, aber bisher weder öffentlich dokumentiert noch analysiert wurden. Darüber hinaus können auch Faktoren wie die geopolitische Lage, die Motivation der Angreifer oder auch interne Schwachstellen innerhalb einer Organisation, wie etwa mangelnde Sicherheitskultur oder menschliches Versagen, das Risiko beeinflussen, ohne dass EPSS dies in seine Vorhersagen einbeziehen kann. Die Limitierungen machen deutlich, dass EPSS zwar ein nützliches Werkzeug ist, aber dennoch stets im Kontext einer umfassenden Sicherheitsstrategie genutzt werden sollte.

Zur Risikoanalyse und Priorisierung von Schwachstellen leistet EPSS wertvolle Hilfe, eine Reihe von Open-Source-Tools vereinfachen seinen Einsatz. Es erlaubt Organisationen, sich auf die am wahrscheinlichsten ausnutzbaren Schwachstellen zu konzentrieren und so ihre Sicherheitsstrategie zu optimieren. Trotz einiger Einschränkungen bleibt EPSS ein entscheidender Bestandteil moderner Ansätze gegen Cybersecurity-Bedrohungen und ein wichtiger Schritt in Richtung proaktiver Sicherheitsmaßnahmen.

Happy Coding
Sven

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