ORF lässt Österreichs 500-Kilowatt-Kurzwellensender sprengen

Die ganze Welt kann mit einer einzigartigen Kurzwellenantenne aus Österreich erreicht werden. Schon am Donnerstag könnte sie gesprengt werden.

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Riesige Antennenanlage mit zwei rot-weißen Metalltürmen

Die Drehantenne in Moosbrunn im Jahr 2007

(Bild: Daniel Csiky)

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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Ein wahres Monster einer Kurzwellenantenne steht seit 1983 bei Moosbrunn südlich Wiens. Die Vorhangantenne ist 320 Tonnen schwer, leistet bis zu 500 Kilowatt und hat zwei je 76 Meter hohe Türme. Die Anlage fährt auf Schienen, sodass sie um 180 Grad gedreht werden kann. Das ist einzigartig, zumindest in Europa, und ermöglicht Sendungen in die entferntesten Winkel der Erde. Dennoch möchte Eigentümer ORS, mehrheitlich eine Tochter des ORF (Österreichischer Rundfunk), die Anlage sprengen.

Vielleicht schon am Donnerstag, bei abträglicher Witterung eine Woche später. Das geht aus einer kurzen Mitteilung des Bürgermeisters der Gemeinde Moosbrunn hervor, wonach "die markante Drehantenne am Prügelweg – je nach Witterung – am 23. oder 30. Januar 2025 gesprengt (wird). Experten der Sprengfirma versichern, dass keine besonderen Vorkehrungen für die Bevölkerung notwendig sind. Es wird ein lauter Knall zu hören sein, und der Verkehr am Prügelweg wird kurz vor der Sprengung für etwa fünf Minuten angehalten werden."

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Die Antennenanlage ist am 29. Jänner durch Sprengung zu Fall gebracht worden. Eine kurzfristig aufgelegte Petition "Rettung der letzten Kurzwellensendeanlage Moosbrunn / Österreich" hat das nicht verhindern können.

Der rasche Tod des Industriedenkmals kommt überraschend. Funkbewegte sind bestürzt. "Die Sprengung ist extrem bedauerlich", sagte Michael Kastelic, Präsident des Österreichischen Versuchssenderverbandes (ÖVSV) und selbst Funkamateur (OE1MCU) zu heise online, "Nur auf Digital und Internet zu setzen macht völlig abhängig von anderen Dienstleistern, Providern und politischen Einflüssen. Die Online-Übertragung kann im Zielgebiet manipuliert oder unterbunden werden. In Russland kann man viele Sender über Internet nicht mehr hören, über Kurzwelle schon. Hier hat auch die Diskussion über Netzneutralität Einfluss."

Moosbrunn ist nicht zufällig Standort dieser einzigartigen Kurzwellensendeanlage: Das Gebiet ist sumpfig, die hohe Bodenleitfähigkeit, ist der Abstrahlcharakteristik der Antenne förderlich.

(Bild: Daniel Csiky)

Von 1959 bis 2024 hat der ORF von Moosbrunn aus internationale Sendungen abgestrahlt. Während des Kalten Krieges produzierte Radio Österreich International (RÖI) täglich 80 Stunden Programm in drei Sprachen, die über unterschiedliche Frequenzen verbreitet wurden. Später wurde der Betrieb Stück um Stück zurückgefahren, bis Österreichs Regierung unter Wolfgang Schüssel (ÖVP) 2003 RÖI schließen ließ.

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Seither hat die ORS ihre Anlage in Moosbrunn vor allem als Relaissender für andere Programmgestalter eingesetzt. Die ORS gehört zu 60 Prozent dem ORF, zu 40 Prozent der österreichischen Raiffeisengruppe, die seit Russlands Angriff auf die Ukraine um ihre Tochterbank in Russland bangen muss. Der aktive Betrieb der riesigen Drehantenne Moosbrunns wurde 2022 eingestellt, das letzte Programm kam von SM-Radio Dessau. Neben der Drehantenne verfügt Moosbrunn über kleinere, aber immer noch stattliche Antennenanlagen. Mit Russlands Überfall auf die Ukraine 2022 hat der ORF Moosbrunn sogar wieder für eigene Kurzwellenausstrahlungen eingesetzt. Mit einer der weniger riesenhaften, steiler abstrahlenden Antennen wurden dreimal täglich Nachrichten in die Ukraine gesendet, zum Ärger Moskaus. Wie der ORF-Radiosender FM4 gemeldet hat, dürften besonders viele Soldaten unter den Hörern gewesen sein, da sie mit Kurzwellengeräten ausgestattet sind.

Doch zum Jahresende 2024 wurde der Betrieb der gesamten Anlage Moosbrunn geschlossen. Der größte Kunde, Trans World Radio, hat den Vertrag im bisherigen Umfang gekündigt. Gerüchteweise wäre der Betrieb weiterhin kostendeckend möglich gewesen. Allerdings werden Wartung und Ersatzteile immer teurer, da es sich um seltene Gerätschaften handelt. Beim Abriss des Kurzwellenzentrums Jülich konnte sich Moosbrunn noch mit Bauteilen eindecken, doch auch die halten nicht ewig. Und steigende Energiekosten erhöhen die Sendetarife, was die Nachfrage dämpft.

Im Tragwerk der Drehstandantenne, in der Bildmitte der zentrale Lagerpunkt

(Bild: Ulrich Eitler CC BY-SA 4.0)

"Gleichzeitig ist der Kurzwellenempfang durch die vielen schlecht gebauten elektronischen Bauteile, die in allen möglichen Geräten stecken, eingeschränkt", weiß Kastelic, "Deren Abstrahlungen stören auf den Kurzwellenfrequenzen. Und Powerline ist ganz schlimm."

Ehemalige Mitarbeiter und Funkamateure haben sich seit der Schließung Moosbrunns um eine Nachnutzung oder wenigstens den Erhalt als Museum bemüht. Doch der Materialwert hunderter Tonnen Stahl und beträchtlicher Mengen Kupferkabel lässt sich nur durch Demontage heben.

Der ehemalige ORF-Redakteur Erich Moechel hält das für kurzsichtig: "In Moosbrunn wird ein Kommunikationsdenkmal gesprengt, das mittlerweile wohl letzte seiner Art weltweit", sagte er zu heise online, "Diese Antenne ist ein Symbol dafür, wie sich die Generaldirektion des ORF über die Jahre von der Welt verabschiedet hat. In den 90ern wurden über diese mächtige Antenne Programme in sechs Sprachen abgestrahlt, die von Australien bis Südamerika gehört wurden." Und Moechel fürchtet bereits den nächsten Einschnitt: "Jetzt steht der einzige englischsprachige Radiosender Österreichs, ORF FM4, zur Disposition in Koalitionsverhandlungen."

(ds)