Schweizer Krebsregister: Softwareruine kostete Millionen

Neun Jahre und 16 Millionen Franken versenktes Investment später: Schweizer Bundesbehörden stellen die Entwicklung einer Krebsregistrierungs-Software ein.

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Eine Person sitzt in gebeugter Haltung vor einem Laptop.

(Bild: Me dia/Shutterstock.com)

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Von
  • Tom Sperlich
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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Vor ein paar Jahren war man bei den Schweizer Bundesbehörden noch optimistisch in Bezug auf eine Software-Lösung für die landesweite Datenerfassung der Krebsfälle. Nun aber wurde dem viele Millionen Franken teuren Projekt der Stecker gezogen. Damit ist man zurück auf dem Feld "Los" – da wo vor neun Jahren alles angefangen hatte.

Einheitliche strukturierte Datensätze wollte die Nationale Krebsregistrierungsstelle (NKRS) von den kantonalen Krebsregistern in der Schweiz automatisiert erhalten, um sie dort zentral auswerten zu können. Am Ende hat dies offensichtlich nicht wirklich funktioniert – so schlicht muss man es konstatieren.

Noch 2018 schrieb der Bundesrat: "Im Rahmen der Projektorganisation wurden alle notwendigen Maßnahmen getroffen, um die Qualität der Informatiklösung sicherzustellen." Das war damals zur Halbzeit der Zeitspanne, als ein neues Krebsregistrierungsgesetzes (KRG) 2016 verabschiedet wurde und im Januar 2020 in Kraft trat. Zur Unterstützung der Krebsregistrierung begannen seinerzeit das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und in dessen Auftrag das Bundesamt für Informatik (BIT), zur landesweiten Erfassung die "IT-Architektur KRG" zu entwickeln. Zu dieser Lösung gehört unter anderem die Krebsregistrierungs-Software (RSW). Wie das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) kürzlich berichtete, haben die Bundesbehörden nun die Weiterentwicklung der IT-Architektur KRG eingestellt.

Krebsregister gibt es auf kantonaler Ebene schon seit 1969, die Kantone sind jedoch erst seit 2020 verpflichtet, ein Krebsregister zu führen oder sich einem bestehenden Register anzuschließen. Einmal jährlich werden von dort aus die dezentral registrierten Daten für nationale Auswertungen an die Nationale Krebsregistrierungsstelle (NKRS) weitergeleitet. Derzeit gibt es 13 kantonale beziehungsweise regionale Krebsregister (KKR) sowie das Kinderkrebsregister, welche die Krebsfälle der Schweiz registrieren. Die Daten dafür beziehen die KKR von Spitälern, Praxen und Labors, die aber laut BAG nicht standardisiert vorliegen, sondern etwa als PDF- oder Excel-Dateien. Die KKR digitalisieren diese Daten größtenteils noch einmal manuell nach landesweit einheitlichen Vorgaben, erläutert das BAG.

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Das BAG führte gegenüber heise online aus: "Die Rechtsgrundlag lässt eine Heterogenität unter den Registern zu, und entsprechend heterogen sind die Anforderungen der kantonalen resp. regionalen Register an die Software." Um eine Software-Lösung für die nationale Krebsregistrierung zu entwickeln, "übernahm auch der Bund die Führung im Projekt, an dem verschiedene Stakeholder beteiligt waren", sagte das BAG. Es dauerte aber offensichtlich seine Zeit, bis die versammelten Stakeholder herausfanden, dass "eine nahtlose, medienbruchfreie Erfassung im Sinne einer vollständig digitalisierten Lösung aufgrund der beschriebenen Erfassungsarten nicht möglich ist".

Am Ende des Tages stellte sich nämlich heraus, dass "aufgrund der diversen Unterschiede etwa in der Art der Kodierung und Registrierung", als auch hinsichtlich divergenter Arbeitsweisen oder Umfang der registrierten Daten die heutige Krebsregistrierung entsprechend aufwendig und komplex sei, und "eine durchwegs digitale Erfassung der Daten nur schwer realisierbar ist". Vor allem, weil die angepeilte Software-Lösung laut BAG dem sogenannten "Once-only-Prinzip" hätte entsprechen sollen, damit sichergestellt werden könne, "dass alle Daten nur einmal erfasst werden müssen – und nahtlos in weitere Systeme fliessen". Das ist dem Bundesamt für Informatik aber augenscheinlich nicht gelungen. Der Bund hat deshalb entschieden, auf eine Weiterentwicklung seiner Krebsregistrierungs-Software zu verzichten.

Die bereits darüber laufenden Daten werden im Sinne einer Übergangslösung auf die bestehenden kantonalen Software-Lösungen migriert. So ist sichergestellt, dass weiterhin alle Krebsfälle erfasst werden. Das trifft vor allem auf das Kinderkrebsregister zu, das als einziges Krebsregister Kinderkrebsfälle auf Basis der bis anhin entwickelten neuen Software registrierte. Um die Registrierung der Fälle weiterhin zu gewährleisten, werden die Daten auf die Software NICERStat migriert, die von kantonalen Krebsregistern verwendet wird.

Gegenüber heise online zog Katrin Holenstein, Leiterin der Sektion Kommunikation beim BAG, ein ambivalentes Fazit: "Welche technischen Faktoren dazu geführt haben, dass das System nicht zufriedenstellend funktioniert hat, werden wir nun genau analysieren, um entsprechende Lessons Learned aus dem Projekt ziehen zu können. Für Antworten hierzu ist es noch zu früh."

Doch der Schaden ist angerichtet, findet auch der die Causa zuerst meldende SRF, denn neun Jahre lang hatten Bundesbehörden an der Software gearbeitet – entsprechend groß ist laut SRF der Schaden. Gegenüber dem Sender bestätigt das Bundesamt für Gesundheit: "Die Entwicklungskosten betrugen rund 16 Millionen Franken. Sie beinhalten sämtliche Konzeptions-, Entwicklungs- und Managementleistungen."

(mack)