Integrated Systems Europe: Leuchtdioden, KI und Immersion
Riesendisplays aus winzigen Leuchtdioden beherrschten die Hallen der Integrated Systems Europe. In Konferenzen soll KI künftig für echte Teilhabe sorgen.
Samsungs "The Wall" besteht aus unzähligen kleinen Leuchtdioden.
In den Messehallen der diesjährigen Integrated Systems Europe (ISE) in Barcelona wurde der Trend zu den Direct-View-LED-Displays überdeutlich. Diese werden aus handlichen LED-Modulen rand- und nahtlos zusammengesetzt. Sie sind dadurch sehr flexibel bei den Zielformaten und haben trotzdem keine Stege im Bild.
Auch hier streben die Hersteller kleinere Pixel-Pitches im Bereich 1 bis 1,5 Millimeter an, die trotzdem halbwegs bezahlbar sein müssen. Daran scheitern derzeit noch LED-Displays für Fernseher. Neben großformatigen Eyecatchern sah man auf der ISE auch All-in-One-Displays mit Mini-LED- oder sogar Mikro-LED-Technik. Die taugen nicht für die Wandinstallation, sondern eignen sich mit rollbarer Halterung und Formaten von 120 bis 180 Zoll, also Diagonalen von 3 bis 4,65 Metern, auch für Konferenzräume.
(Bild: Dieter Michel)
LED-Display statt Projektion
Als Ersatz für klassische Projekoren erzeugen die LED-Displays selbst in hellen Räumen ein vergleichsweise tiefes Schwarz. Projektionswände reagieren sehr stark auf Umgebungslicht, da ihr Reflexionsfaktor bestimmungsgemäß eher bei 95 Prozent liegt – sie sollen das Licht des Projektors ja zum Betrachter reflektieren. Der Reflexionsfaktor einer LED-Display-Oberfläche liegt dagegen nur bei etwa 5 Prozent, weshalb sich an ihr viel weniger Umgebungslicht spiegelt. Das verbessert die Bildkontraste in heller Umgebung merklich.
Da bei LED-Displays die bildgebenden RGB-LEDs deutlich kleiner sein können als die jedem Pixel zugeordnete Fläche, kann man mit der Technik auch nahezu transparente Displays herstellen. Die können auf einem entsprechenden Träger (transparente Folie oder Netz) auch gekrümmt oder flexibel biegsam sein. Damit werden sie zu echten Hinguckern.
(Bild: Dieter Michel)
Display-Blindheit
Apropos Eyecatcher: Im Bereich Digital Signage geht es darum, die Aufmerksamkeit der Passanten möglichst lange zu binden. Ein Problem ist der Effekt der sogenannten "Display-Blindheit": Da viele Inhalte nicht auf die Betrachtenden zugeschnitten sind, neigen diese dazu, nur einen kurzen Blick auf den Bildschirm zu werfen, den Inhalt dabei aber gar nicht zur Kenntnis zu nehmen.
Knallige Farben und starke Bewegungsreize im Bild könnten das ändern, sie werden jedoch oft als Kommunikationszwang und damit als unangenehm empfunden. Das kann sich auf das beworbene Produkt übertragen, was aus Sicht der Werbetreibenden natürlich unerwünscht ist. Ausnahme sind hier Installationen aus der Medienkunst, wie sie etwa LG mit seinen Kinetic-LED-Modulen verfolgt.
Stattdessen versuchen die Werbetreibenden, durch individuelle Inhalte und/oder Interaktionsmöglichkeiten Mehrwert zu schaffen. Dies soll künftig mit Large-Language-Modellen und generativer KI gelingen, die man mit Sensoren verknüpft. Mit generativer KI lassen sich in einem ersten Schritt zudem preiswert Stand- und Bewegtbilder produzieren, ohne mit realen Akteuren arbeiten zu müssen.
Videos by heise
Digitale Menschen
Pantheon Lab aus Hongkong geht beim Einsatz von KI noch deutlich weiter. Die Firma arbeitet mit Unternehmenskunden in Asien und den USA zusammen, beispielsweise KFC in Taiwan oder der Hongkonger Metro. Pantheon konzentriert sich dabei vor allem auf den Bereich digitale Menschen und deren Integration in Signage-Systeme. So bietet das Unternehmen ein SAAS-Tool an, mit dem Kunden eigene Videoclips mit vorab definierten digitalen Menschen generieren können.
Digitale Menschen, als fast fotorealistische, interaktive Animation auf den Displays dargestellt, können klassische Informationsdisplays in interaktive Anlaufstellen verwandeln. In Flughäfen, Bahnhöfen oder Einkaufszentren können sie Fragen beantworten, Empfehlungen aussprechen, aber auch Bestellungen aufnehmen und Bezahlvorgänge umsetzen. Interaktive Touchpoints stellen nur dann eine Verbindung zu Servicemitarbeitern her, wenn eine menschliche Interaktion unbedingt nötig ist.
Voraussetzung für solche Anwendungen sind ein stabiles Betriebssystem und eine Kombination aus Cloud-KI und Edge-Computing, also die Verarbeitung nahe am Entstehungsort, um die Latenzen zu verkürzen. Außerdem braucht es hochauflösende Kameras und Noise-Cancelling-Algorithmen, damit natürlichsprachliche Interaktion auch im öffentlichen Raum zuverlässig funktioniert. Wenn zum Beispiel der virtuelle Barista seine Kunden erst einmal einige Sekunden wortlos ansieht, bis er eine gesprochene Bestellung umsetzt, fühlen sich diese schnell unbehaglich.
(Bild: Dieter Michel)
KI-Agenten
Dies alles behandelt Anwendungen, die rein reaktiv arbeiten: Die Passanten können Fragen stellen, etwa an einem Infodisplay in der Metro, oder im Schnellrestaurant etwas bestellen und gleich bezahlen – das Digital Signage System reagiert jedoch erst auf die Kundenanfrage.
Anders arbeiten dagegen proaktive KI-Agenten. Hier liegt laut Christina Tse von Pantheon Lab die Zukunft, die nach ihrer Einschätzung sehr schnell kommen wird. Solche mit KI-Power ausgestatteten Digital Signage-Geräte werden in der Lage sein, selbst Schritte zu unternehmen.
Beispiel: Jemand geht zu einer U-Bahn-Station und fragt nach der Verbindung. Daraufhin könnte die KI etwa angesichts der Uhrzeit fragen, ob man zum Abendessen unterwegs ist und schon einen Tisch reserviert hat? Wenn nicht, könnte das Infosystem helfen, einen Tisch zu reservieren. Das Ganze passiert nahtlos, man muss nur eine Frage stellen, die KI im Hintergrund erledigt den Rest. Aktuell testet Pantheon Lab proaktive Agenten und hofft, diese im Laufe des Jahres im Produktivbetrieb einsetzen zu können.
Distanzlos
Immersion war auf der ISE sowohl für Veranstaltungen als auch im Bereich Videokonferenzen gefragt. Dort soll sie den räumlich getrennten Teilnehmenden das Gefühl vermitteln, nahe beisammen zu sein. Cisco nennt das eine „Zero Distance“ Erfahrung.
Typischerweise wird das jeweilige Gegenüber auf einem Display abgebildet und dabei zum Beispiel eine Personengruppe als Totale dargestellen, was aber eigentlich nicht der menschlichen Wahrnehmung entspricht. Menschen scannen stets ihre Umgebung und nehmen diejenige Person in den Fokus, der sie gerade Aufmerksamkeit schenken. Konferenzsysteme versuchen, dies mit Hilfe von KI-Algorithmen nachzubilden. Sie nehmen dazu mit mehreren Kameras unterschiedliche Perspektiven auf, erfassen automatisch die jeweils sprechenden Personen mit einer der Kameras und verfolgen diese automatisch auf ihrem Weg durch den Raum.
Cisco bietet mit „Spatial Meetings“ eine Firmware-Erweiterung an, durch die Cisco Videobars auch ein 3D-Stereobild weiterleiten können. Die zugeschaltete Person kann die Raumansicht dann mit einer Apple Vision Pro dreidimensional erleben. Sie erscheint dabei als Teil einer virtuellen Benutzeroberfläche in einem Fenster, das sich auf beliebige Größe aufziehen lässt. Soll die zugeschaltete Person selbst sichtbar sein, muss sie wegen des VR-Headsets durch einen fotorealistischen Avatar ersetzt werden.
3D ohne Brille
Ein immersives und im Idealfall ein 3D-Display macht solche Avatare überflüssig. Google bewies dies auf der ISE mit der Demo des Projekts Starline. Sie fand ein bisschen unter dem Radar statt, war aber trotzdem schnell für alle Tage ausgebucht. Bei der darin realisierten One-to-One Videokonferenz bekamen die beiden Personen sehr überzeugend den Eindruck, einander leibhaftig gegenüber zu sitzen.
Das Starline-System besteht aus mehreren Kameras und einem autostereoskopischen 3D-Display, das eine dreidimensionale Darstellung der Person am anderen Ende produziert. Obwohl sich keine Kamera direkt in Blickrichtung befindet, kann man sich gegenseitig in die Augen schauen und hat einen gewissen Bewegungsspielraum, der auch zu einer realistischen Bewegungsparallaxe führt. Ist das Display groß genug ist und besitzt genügend Auflösung, wird diese Illusion nicht durch die Grenzen der Wiedergabetechnik zerstört.
Sparsame E-Paper
In vielen Anwendungen sind farbstarke, energiehungrige Displays eigentlich nicht nötig, stattdessen täte es auch ein Papierplakat. Diesem Wunsch kommt ein E-Paper-Display am nächsten: Es benötigt nur für den Inhaltswechsel Strom und man braucht nicht zwingend einen Netzanschluss, sondern kommt auch mit Akkus aus. Auf der ISE konnte man unter anderem reflektive E-Paper-Displays mit 32 Zoll Diagonale und E-Paper-Walls im 75-Zoll-Format bestaunen.
(Bild: Dieter Michel)
Solche elektrophoretischen E-Paper-Displays können nicht so viele Farben erzeugen wie ein modernes LCD, weshalb Fotos per Diffusion-Dither aufgerastert werden müssen. Ihre Bildauflösung reicht aber für die typischen Anwendungen wie Werbeflächen aus. Nur schnelle Bewegtbilder gelingen den E-Paper-Displays noch nicht.
(uk)