Es gibt keinen vorgezeichneten Entwicklungspfad

Manuela Veloso, Professorin für Informatik an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh und amtierende Präsidentin der International RoboCup Federation, über das Fernziel des RoboCup, die Magie des Anfangs und den schwierigen Weg dazwischen

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Von
  • Hans-Arthur Marsiske

Manuela Veloso, Professorin für Informatik an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh und amtierende Präsidentin der International RoboCup Federation, über das Fernziel des RoboCup, die Magie des Anfangs und den schwierigen Weg dazwischen.

Manuela Veloso, Präsidentin der International RoboCup Federation, bei der Eröffnung der diesjährigen Weltmeisterschaft.

heise online: Frau Veloso, in diesem Jahr findet die RoboCup-WM zum ersten Mal nicht in dem Land statt, in dem auch die FIFA-Fußballweltmeisterschaft oder ein anderes großes Sportereignis ausgetragen wird. Hat das nur damit zu tun, dass der RoboCup in Südafrika noch keine ausreichend starke Basis hat, oder ist es vielleicht auch ein Zeichen dafür, dass der RoboCup inzwischen stark genug geworden ist, um aus eigener Kraft Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen?

Veloso: Tatsächlich hat sich Südafrika darum beworben, die RoboCup-WM zu organisieren. Aber wie Sie richtig bemerkt haben, reichen die dortigen Ressourcen und Erfahrungen noch nicht aus. Zugleich ist der RoboCup gewachsen und steht inzwischen für sich. Es haben sich hier in Singapur fast hundert Medienvertreter angemeldet.

heise online: Der RoboCup ist zur gleichen Zeit eine wissenschaftliche Veranstaltung und ein unterhaltsamer, sportlicher Wettkampf. Wie finden Sie die richtige Balance zwischen diesen beiden Aspekten?

Veloso: Das raubt mir immer wieder den Schlaf. Das Problem ist weniger der Unterhaltungsaspekt, als der Wunsch der Teams, den Wettbewerb zu gewinnen. Damit die Wissenschaft dabei nicht in den Hintergrund tritt, gehört es zu den Bedingungen der Qualifikation, die verwendeten Algorithmen zu veröffentlichen und mit den anderen Teams zu teilen. Die RoboCup-Gemeinde soll gemeinsam wachsen. So hat zum Beispiel das Team der Universität Bremen, das im vergangenen Jahr den Wettbewerb in der Standard Platform League dominiert hat, seinen kompletten Code zugänglich gemacht, sodass alle darauf aufbauen können. Ich möchte diesen Aspekt im nächsten Jahr durch die Einrichtung von regelmäßigen Workshops in allen Ligen weiter voranbringen. Viele Menschen glauben, hier seien Hacker am Werk, aber das stimmt nicht. Ich besuche viele große Robotik-Konferenzen und weiß daher, dass die brillanten wissenschaftlichen Ideen, die beim RoboCup entwickelt werden, vieles, was dort präsentiert wird, in den Schatten stellen.

heise online: Wie strikt wird der Open-Source-Charakter des RoboCup durchgesetzt?

Veloso: Wir ermutigen dazu, aber wir verlangen es nicht. Die Veröffentlichung der Codes nach dem Turnier erfolgt auf freiwilliger Basis. Das hat zum Beispiel dazu geführt, dass wir in der Small Size League in diesem Jahr zum ersten Mal ein gemeinsames "Vision System" verwenden, hervorgegangen aus den Erfahrungen der Teams mit ihren jeweiligen Systemen in den vergangenen Jahren. Dadurch können sich die Teilnehmer jetzt auf andere Fragen wie Lernen oder Strategieentwicklung konzentrieren.

heise online: Der RoboCup bringt Wissenschaft und Technologie voran. Zur gleichen Zeit soll der Wettbewerb aber offen bleiben für neue Teilnehmer. Ist das eine Schere, die sich immer weiter öffnet?

Veloso: Der Abstand zwischen RoboCup-Veteranen und Neulingen wird in der Tat immer größer, weswegen wir darüber nachgedacht haben, verschiedene Wettbewerbsklassen einzuführen. Aber auch neue Teams sollen am erreichten Stand anknüpfen können. Es macht keinen Sinn, sich mit Problemen herumzuschlagen, die andere bereits gelöst haben. Und derzeit kommen immer noch jedes Jahr in allen Ligen neue Teams dazu. Häufig kommt das dadurch zustande, dass Studenten ihren Abschluss machen, zu einer anderen Universität wechseln und dort ein neues RoboCup-Team aufbauen.

heise online: Was den RoboCup einzigartig macht, ist das langfristige Ziel, bis zum Jahr 2050 mit humanoiden Robotern gegen den menschlichen Fußballweltmeister zu gewinnen. Sehen Sie die Gefahr, dass dieses Ziel durch die Einführung und den Erfolg anwendungsorientierter Ligen wie RoboCup@home an Bedeutung verliert?

Veloso: Ich muss zunächst gestehen, dass dieses ferne Ziel niemanden hier unmittelbar antreibt. Es geht in erster Linie darum, Roboter effektiver zu machen und sie dazu zu bringen, sinnvolle Aufgaben zu erfüllen. RoboCup@home und RoboCup Rescue haben allerdings eine Komponente, die auch für die langfristige Zielsetzung wichtig ist: die Präsenz von Menschen. Die Fußballroboter sollen ja eines Tages gegen Menschen spielen. Auf den Fußballfeldern ist es dafür noch zu früh, die Interaktion von Menschen und Robotern erproben wir daher in diesen anderen Ligen. Auch sie dienen also dem großen Ziel des RoboCup.

heise online: Gilt das auch für die Festo Logistics League oder den neu vorgeschlagenen Wettbewerb RoboCup@work?

Veloso: Bei diesen Ligen steht der Planungsaspekt im Vordergrund. Anders als beim Fußball geht es darum, Aufgaben innerhalb eines vorgegebenen Zeitrahmens zu erfüllen. Sie sind aber noch nicht als neue Ligen akzeptiert, wir diskutieren noch darüber.

heise online: In den vergangenen Jahren sind viele neue Roboterwettbewerbe entstanden. Spüren Sie einen Konkurrenzdruck?

Veloso: Der RoboCup hat viele dieser Wettbewerbe inspiriert. Ich werde immer wieder um Rat gefragt, wenn es darum geht, einen neuen Wettbewerb zu entwickeln. Aber es gibt kaum welche, bei denen es wie bei uns um Teams mit mehreren, kooperierenden Robotern geht.

heise online: Die Industrie und das Militär haben in den letzten Jahren Roadmaps für die Robotik-Entwicklung entwickelt. Vom RoboCup gibt es so etwas noch nicht, obwohl die langfristige Zielsetzung es eigentlich nahelegt.

Veloso: Wir diskutieren jedes Jahr darüber bei unserem Symposium. Aber Sie haben Recht, wir sind meistens nicht in der Lage, die Verbindung zwischen dem Fernziel und unserem gegenwärtigen Stand herzustellen. Wir achten darauf, den Wettbewerb von Jahr zu Jahr schwieriger zu gestalten und gehen davon aus, dass wir uns auf diese Weise dem Ziel nähern. Aber es gibt keinen klaren, vorgezeichneten Entwicklungspfad. Natürlich gibt es einige Meilensteine, die wir auf jeden Fall erreichen müssen. Das Spiel elf gegen elf ist so ein Meilenstein, ebenso das Zusammenwirken von Menschen und Robotern oder auch die Kooperation von Robotern unterschiedlicher Herkunft.

heise online: Roboter, die springen und rennen können, werden auch häufig genannt.

Veloso: Ja, natürlich. Vielleicht erinnern Sie sich, dass die vierbeinigen Aibos anfangs nicht von selbst aufstehen konnten, wenn sie hingefallen waren. Es war alles andere als trivial, ihnen das zu ermöglichen. In der ursprünglichen Konzeption von Sony war nicht vorgesehen, dass der Roboter einen Ball kickt oder die Beine spreizt, um das Tor zu verteidigen. Das wurde erst beim RoboCup entwickelt.

heise online: Wie finanziert sich der RoboCup?

Veloso: Wir haben zwei Einnahmequellen. Das sind zum einen die Sponsoren, die von den Organisatoren der Turniere angeworben werden. Die zweite Quelle sind die Registrierungsgebühren der Teams. Damit können wir die Kosten der Veranstaltungen derzeit gut abdecken.

heise online: Es wird immer wieder vorgeschlagen, dass der RoboCup eine professionellere Organisation bräuchte. Stimmen Sie dem zu?

Veloso: Nein, der RoboCup soll eine akademische Veranstaltung bleiben, getragen von Freiwilligen, mit einem möglichst kleinen Verwaltungsapparat. Gegenwärtig haben wir zwei Büros in Japan und in den USA, die sich um die Buchhaltung kümmern. Dabei soll es bleiben. Andere große wissenschaftliche Gemeinschaften, etwa die IEEE mit 50.000 Mitgliedern, funktionieren auf die gleiche Weise. Der RoboCup soll von wissenschaftlichen Fragen vorangetrieben werden, nicht von einem Generaldirektor.

heise online: Sie sind von Anfang an beim RoboCup dabei, haben ihn mit ins Leben gerufen. Welches sind Ihre stärksten Erinnerungen aus dieser Zeit?

Veloso: Da denke ich vor allem an den Workshop im Jahr 1996, den wir zur Vorbereitung des RoboCup durchführten. Es war eine sehr freundschaftliche Zusammenarbeit, voller Enthusiasmus. Wir saßen in einem Restaurant in Japan und dachten darüber nach, wie wir das Feld der Small Size League gestalten sollten. Es musste etwas sein, was jeder hatte oder ohne großen Aufwand beschaffen konnte. Auf einmal kam mir die Idee: "Lasst uns eine Tischtennisplatte nehmen." Alle waren sofort begeistert, das Problem war gelöst. Die Small Size League spielte auf einer Platte, die Middle Size League auf neun. So fing es an. Die Begeisterung hatte viel mit der Idee zu tun, Fußball zu spielen. Es hatte aber auch etwas Magisches, dass da eine Gruppe von Personen zusammenkam, die sich blind verstanden.

heise online: Welche Ziele möchten Sie in Ihrer verbleibenden Zeit als Präsidentin der RoboCup Federation noch erreichen?

Veloso: Mir bleibt zunächst ein Jahr als Präsidentin. Ich denke noch darüber nach, ob ich mich für weitere drei Jahre zur Wahl stellen soll. Aber im kommenden Jahr soll es um die Gemeinschaft gehen. Darum möchte ich nach Möglichkeit alle Open-Turniere, die regionalen RoboCup-Wettbewerbe in Europa, Asien, Süd- und Nordamerika, besuchen. Ich möchte, dass die vielen tausend Menschen, die sich mittlerweile am RoboCup beteiligen, das gleiche Gemeinschaftserlebnis haben, wie die kleine Gruppe am Anfang. In meinem ersten Jahr als Präsidentin ging es um die Finanzen, im zweiten um die Infrastruktur, im dritten wird es um die Menschen gehen, um die Gemeinschaft, damit der ursprüngliche Geist des RoboCup erhalten bleibt. (pmz)