Kassenärzte fordern Bürokratieabbau und Ende der Zwangsdigitaliserung

Auch von der neuen Bundesregierung fordern die Kassenärzte Bürokratieentlastung. Ebenso ein Ende der Sanktionen bei Nichtnutzung der Telematikinfrastruktur.

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Ein Arzt mit einem Stethoskop um den Hals hält einen Papierstapel. Vom Arzt ist nur der Oberkörper im weißen Kittel und zwei Hände zu sehen, die den Papierstapel tragen.

(Bild: Shutterstock)

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Kassenärzte bekräftigen ihre Forderungen nach dem Ende der Zwangsdigitalisierung, stattdessen müsse eine nutzbringende Digitalisierung erfolgen. "Der weitere Digitalisierungsprozess in der ambulanten Versorgung muss durch gezielte Anreize statt Sanktionen vorangetrieben werden", so Dr. Sibylle Steiner auf der vergangenen Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Aus Sicht der Delegierten sollte es Vorteile für diejenigen geben, die die überwiegend unausgereiften Produkte der staatlichen Digitalisierung testen.

KBV-Vorständin Steiner verlangt zudem eine stabile Telematikinfrastruktur (TI) – die für den sicheren Datenaustausch gedacht ist – und nutzerfreundliche TI-Produkte. Regelmäßig gibt es Kritik an der fehlenden Redundanz und Verfügbarkeit der Telematikinfrastruktur. "Es ist die Zeit gekommen, die Digitalisierung eben nicht nur in Krankenhäusern [...], sondern auch in den Praxen über das neue Sondervermögen voranzutreiben", sagte dazu Dr. Andreas Gassen. Steiner fordert daher ein Praxiszukunftsgesetz.

Als hilfreich für die Digitalisierung hob der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Bremen, Dr. Bernhard Rochell, die KBV-Umfragen zur Güte der Praxisverwaltungssysteme hervor. So könnten sich Ärzte besser für ein gutes Praxisverwaltungssystem entscheiden. Es brauche eine Digitalisierung mit positiven Anreizen und "nicht die Zwangsdigitalisierung aus den abgeschlossenen Cannabiskellern des Bundesministeriums für Gesundheit", so Rochell.

Aktuell laufe die ePA-Testphase in rund 230 Praxen aus den Regionen Hamburg, Franken, Nordrhein und Westfalen-Lippe "allmählich an" und stagniere in der "Warm-up-Phase", so Steiner. Von den Testpraxen hätten "knapp ein Viertel noch nicht einmal ein ePA-Modul" in ihrem Praxisverwaltungssystem und bei etwa der Hälfte der Praxen "weist das ePA-Modul noch schwerwiegende Fehler auf". Nur wenige könnten daher mit der ePA arbeiten. Die Einsicht in die elektronische Medikationsliste bezeichnete Steiner als ein positives Erlebnis. Das sei allerdings keine belastbare Grundlage für einen Rollout im April. Die Testphase müsse auch anderen Delegierten zufolge "deutlich" verlängert werden.

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Zudem hätte die Bundesdatenschutzbeauftragte, Prof. Specht-Riemenschneider, ebenfalls Bedenken geäußert, dass die auf dem 38. Chaos Communication Congress aufgezeigten Sicherheitslücken bis April geschlossen werden könnten. "Erst wenn sich die ePA in den Testregionen im Praxisbetrieb bewährt hat und alle Sicherheitslücken nach Prüfung des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) geschlossen sind, kann die ePA bundesweit starten", so Steiner. Ohne das drohe der Verlust von Akzeptanz und Vertrauen "bei Ärzten, Psychotherapeutinnen und Patienten gleichermaßen. Daher fordert die KBV eine Verlängerung der Testphase.

Dr. Christian Messer, stellvertretender Vorsitzender von MEDI GENO Deutschland, gab zu bedenken, dass die ePA nach der Misere mit den TI-Konnektoren nicht der "nächste Elektroschrott" sein dürfe. Rückblickend bezeichnete Dr. Sebastian Sohrab von der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein den Start des E-Rezepts als "grausam".

Außerdem müsste es für Kinder eine Ausnahmeregelung geben, wie die KBV bereits Ende 2024 vom Bundesgesundheitsministerium gefordert hatte. Demnach sollten Kinder erst auf Antrag eine ePA erhalten. In der Vergangenheit hatten Kinderärzte bereits vor der ePA gewarnt, da sie die Privatsphäre von Heranwachsenden gefährdet. Erst ab 15 Jahren dürfen Kinder ihre ePA selbst verwalten oder ihr widersprechen.

Überdies fordern die Ärzte auch ein Bürokratieentlastungsgesetz, da sie zunehmend mehr Zeit mit teils unnötigen administrativen Tätigkeiten verbringen. Laut Volker Schrage, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL), sei die Bürokratie mittlerweile zum Krebsgeschwür geworden. Massenhaft "formfreie Anfragen" prasseln demnach auf die Praxen ein, teilweise von "wenig intelligenter KI erstellt. Das ist im besten Fall Unbedachtsamkeit, im schlimmsten Fall respektloser Umgang mit den Praxen", so Schrage.

Nach Angaben der KVWL verursachten Formulare im Jahr 2020 bundesweit 55,8 Millionen Nettoarbeitsstunden. Um der Formularflut Herr zu werden, hat die KVWL in Zusammenarbeit mit niedergelassenen Kollegen und in Kooperation mit der Barmer Ersatzkasse 60 Formulare effizienter gestaltet. Dazu hatte die KVWL vor mehr als 10 Jahren das Formularlabor Westfalen-Lippe (FLWL) ins Leben gerufen.

Um unnötige Bürokratie abzubauen, fordert Steiner von der neuen Bundesregierung innerhalb der ersten 100 Tage ein Bürokratieentlastungsgesetz. Damit soll unter anderem geregelt werden, dass Daten nach dem "Once-Only-Prinzip" nur einmal eingereicht und dann innerhalb der Krankenkassen ausgetauscht werden können.

(mack)