Industrie fordert EU-Kommission zu "Buy European"-Initiative auf
Fast 90 europäische Unternehmen und Verbände fordern von Ursula von der Leyen klare Zusagen, um mehr digitale Souveränität zu erreichen.
(Bild: Svetlana Turchenick/Shutterstock.com)
Mit einem Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und die für Digitales zuständige Vizepräsidentin Henna Virkkunen wenden sich fast 90 Unternehmen, darunter ganz große wie Airbus, mittelgroße wie Dassault, Ionos, OVH und kleinere wie Nextcloud. Die Absender fordern von der EU angesichts der transatlantischen Entwicklung ein klares Bekenntnis zu europäischen Digitallösungen.
"Europa muss die Initiative übernehmen und über alle Schichten der kritischen digitalen Infrastruktur hinweg technologisch unabhängig werden", heißt es in dem Brief, der heise online vorliegt. Europas Abhängigkeit von Dritten sei für Sicherheits- und Verlässlichkeitsrisiken verantwortlich, kompromittiere die Souveränität und verhindere Wirtschaftswachstum. Handelt Europa nicht, würde die Abhängigkeit von nicht-europäischen Technologien in weniger als zehn Jahren fast komplett sein, warnen die Firmen und Verbände.
Vor allem Hardware-Autonomie, Cloud-Angebote und Plattformen müssten im Zentrum der EU-Bemühungen stehen, allerdings ausdrücklich offen. Vor allem Dienste mit direktem Einfluss auf Cybersicherheit sollten priorisiert werden, so die Unterzeichner. Eine weitere Kernforderung an die EU: Eine gemeinsame Beschaffung zu organisieren, die föderierte Angebote über Industriestandards hinweg ermögliche. Die Wahl dafür seien interoperable Open-Source-Lösungen. Europa müsse sich dabei im ersten Schritt auf Lösungen für konkrete Anwendungsfälle fokussieren.
Hochsichere Cloud soll EU-Ankerpunkt werden
Um "Buy European" zu unterstützen, wollen die Unternehmen daher Änderungen am "EU Cloud Services Cybersecurity Certification Scheme" erreichen – indem ein Vertrauenslevel "Hoch+" technisch definiert wird, in dem auch sensibelste Daten gespeichert werden könnten. Eine Forderung, die einige der nun an von der Leyen schreibenden Unternehmen bereits seit einiger Zeit erheben, und die neben dem Betrieb durch vertrauenswürdige EU-Anbieter auch eine Datenlokalisierung und Verschlüsselung erfordern soll. Die Initiatoren sehen das als einzige Möglichkeit, von lokaler Speicherung hin zu vertrauenswürdigen Cloudlösungen zu kommen – und manche davon auch ein potenziell gutes Geschäft oder zumindest notwendigen Schutz gegen übermächtige, transatlantische Konkurrenz.
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Einen Schwerpunkt legt die Initiative zudem auf die Finanzierung: Die EU, die Fördermittel für Forschung und strategische Wirtschaftsansiedlung in Milliardenhöhe verwaltet, solle einen "Souveränen Infrastruktur-Fonds" auflegen, mit dem öffentliche, kapitalintensive Investitionen wie Quantencomputer oder ein Chip-Ökosystem unterstützt werden sollten. Die Unternehmen und Verbände fordern dabei auch eine Überarbeitung der bisherigen Förderpläne der EU. Europa könne sich aus der aktuellen Situation nicht herausregulieren, argumentieren sie.
"Buy European" noch nicht im EU-Recht verankert
Eine Sprecherin der EU-Kommission betonte am Mittag, dass die EU-Beschaffungsregeln derzeit überarbeitet würden. Allerdings sei es noch zu früh in diesem Prozess, um zu sagen, welche Sektoren als strategisch betrachtet und damit womöglich anders behandelt würden. Die EU-Kommission erarbeitet derzeit unter dem Stichwort "Clean Industrial Deal" einen gesetzlichen Rahmen, der etwa eine Quote für europäische Angebote für strategisch relevante Güter und Dienstleistungen enthalten könnte. Das Gesetzesvorhaben soll zusammen mit dem "Industrial Decarbonisation Accelerator Act", bei dem es um klimaneutrale Produkte und Dienstleistungen geht, bis spätestens Ende des Jahres 2025 vorgestellt werden.
(olb)