EU steckt Justiz- und Innenpolitik im Zeichen des Terrors neu ab

Erstmals können auch interessierte Bürger und Institutionen ihre Haltung zu umstrittenen Fragen wie Biometrie in den Pässen, Datenschutz oder dem Ausbau von Europol in einer Online-Umfrage kundtun.

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Die Europäische Union muss ihre Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres neu ausrichten. Dazu holt sie erstmals mit Hilfe einer Online-Konsultation die Meinung der Bürger ein. Die Betroffenen können sich im Rahmen der noch bis zum 31. August laufenden Umfrage nicht nur zu Themen der allgemeinen Asyl-, Drogen- oder Strafrechtspolitik äußern. Abgefragt wird beispielsweise auch, ob die Bürger den Aufbau weiterer Computersysteme und Datenbanken sowie die Einführung biometrischer Merkmale wie Fingerabdrücke in Reisedokumenten als sinnvoll erachten. Darüber hinaus will Brüssel auch wissen, ob Europol zu einer Art Euro-FBI mit der Lizenz zu eigenständigen Ermittlungen ausgebaut und die Trennung zwischen Geheimdiensten und Polizeien weiter aufgeweicht werden soll. Interesse herrscht zudem an der heiklen Frage, welchen Datenschutz personenbezogene Informationen in den Händen von Strafverfolgern genießen sollen.

Hintergrund der Fragebogenaktion ist der Ablauf des Fünfjahresprogramms zur EU-weiten Kooperation von Justiz- und Ermittlungsbehörden, auf das sich der Europäische Rat 1999 im Rahmen des Vertrags von Amsterdam im finnischen Tampere geeinigt hatte. Bevor die Weichen im Schatten ständig neuer Terrorwarnungen und von bereits nach den Anschlägen von Madrid angelaufenen Bemühungen zur verstärkten Terrorismusbekämpfung nun neu gestellt werden, soll die Bevölkerung zu Wort kommen. "Es muss eine öffentliche Debatte über Themen stattfinden, die grundlegende Fragen unserer Gesellschaft betreffen und sich unmittelbar auf das alltägliche Leben der Bürger auswirken", heißt es bei der EU-Kommission. Der Aufbau eines Raums "der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" sei ein "wichtiges politisches Ziel der Union und eine der großen Aufgaben, die gemeinsam in Angriff genommen werden müssen."

Mit der Bilanz des Tampere-Programm gibt sich die Kommission zufrieden. So lobt sie in einer Mitteilung an den Rat und an das Europäische Parlament, dass seit 1999 "in nahezu allen Bereichen" des Handlungsfelds "substanzielle Fortschritte" erzielt wurden. Trotz "unvorhersehbarer dramatischer Ereignisse" wie den Anschlägen am 11. September 2001 in den USA und am 11. März 2004 in Madrid habe sich das europäische Aufbauwerk bei der Gefahrenabwehr und -verfolgung "rigoros auf die Grundrechte" gestützt. Anliegen der Kommission sei es stets gewesen, eine balancierte Politik in diesem Bereich zu fahren. Der Eindruck, dass in Brüssel unausgewogene sicherheitsbezogenene Maßnahmen vorbereitet worden seien, möge höchstens "durch die Darstellung der Politik in den Medien entstanden sein".

Noch vor dem Ende der Volksbefragung scheint die Kommission zudem bereits ein recht genaues Bild davon zu haben, wohin die Reise in der gemeinsamen Innen- und Rechtspolitik gehen soll. Entsprechende Prioritäten hat sie in der Mitteilung als "Grundlage für Überlegungen über ein künftiges Maßnahmenprogramm" jedenfalls bereits abgesteckt. Neben der Befürwortung der Aufnahme der Grundrechtecharta in den Verfassungsvertrag geht es darin vor allem um die Verbesserung der Grenzkontrollen in der erweiterten EU. Dazu soll etwa die Einrichtung des umstrittenen Schengener Informationssystem der zweiten Generation (SIS II) dienen. Damit auch die neuen Mitgliedsstaaten die EU-Außengrenzen besser in den Griff bekommen, müsse SIS II möglichst rasch in Betrieb gehen, heißt es.

Zur Verbesserung polizeilicher und zollbehördlicher Maßnahmen schlägt die Kommission ferner vor, einen Rechtsrahmen zur Verbesserung des Informationsaustauschs zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten zu schaffen und den Zugang der Ermittler zu verschiedenen Informationsquellen zu regeln. Man müsse zudem nachdenken über einen Rechtsrahmen für Europol, damit diese Einrichtung in eine Agentur der Union umgewandelt "und ihr somit zu tatsächlicher Operativität verholfen wird". Um angesichts dieser weitgehenden Forderungen Bedenken gegen eine übermächtige europaweite Polizeibehörde erst gar nicht aufkommen zu lassen, ergänzt die Kommission noch, dass die "Erhöhung der Effizienz von Europol" mit einer "besseren demokratischen und gerichtlichen Kontrolle" einherzugehen habe. Die Linie ist aber klar: Neue "EDV-Großsysteme" wie auch das geplante Visa-Informationssystems sollen, wie in dem Papier zu lesen ist, "vor allem zum Zwecke der Terrorismusbekämpfung" aufgebaut werden. (Stefan Krempl) / (jk)