Hoffnung für Krebspatienten: Heilung dank neuer OP-Technik an der MHH

Nach einer palliativen Krebsdiagnose gilt eine Patientin als geheilt. Möglich wurde das durch einen weltweit bisher einzigartigen Eingriff an der MHH.

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Op-Saal mit vielen Ärzten und einer ECMO an der MHH

Ärzte operieren eine Patientin in einem OP-Saal der Medizinischen Hochschule Hannover.

(Bild: Karin Kaiser/MHH)

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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Nach einer zunächst palliativen Krebsdiagnose erhält Susanne Viehmeyer, 62, eine zweite Chance – dank interdisziplinärer Zusammenarbeit an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und einer weltweit wohl erstmalig in dieser Form eingesetzten Operationstechnik. Bei Viehmeyer wurde Gallengangskrebs festgestellt – nach mehreren Untersuchungen in verschiedenen Kliniken galt der Tumor als inoperabel, eine Heilung schien ausgeschlossen. "Mir wurde gesagt, es sei nur noch eine palliative, also lebensverlängernde Chemotherapie möglich", berichtet die Patientin, die anderen Betroffenen Mut machen möchte.

"Dank eines Kollegen aus dem Klinikum Wolfsburg wurde die Patientin im Molekularen Tumorboard (MTB) Ende 2023 an der MHH vorgestellt", erklärt dazu Privatdozentin Dr. Anna Saborowski, Oberärztin in der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie, Infektiologie und Endokrinologie. Dadurch habe die Patientin eine personalisierte und zielgerichtete Krebsbehandlung erhalten. Sie konnte zudem in eine innovative Therapie im Rahmen einer Studie eingeschlossen werden, die den Tumor erheblich verkleinerte. Möglich wurde die Operation auch durch ein neues Medikament.

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Das Besondere an Viehmeyers Fall: Der Tumor hatte alle drei großen Lebervenen infiltriert, was bislang als inoperabel galt. Verschiedene Therapien hatte sie bereits ausprobiert, jedoch erfolglos. Bei der feingeweblichen Untersuchung zeigte sich, dass der Tumor größtenteils zerstört war, aber noch einzelne vitale Zellen enthielt. Die Entscheidung, ob eine Operation doch möglich wäre, fiel an der MHH zusammen mit Gastroenterologen, Onkologen, Radiologen, Strahlentherapeuten, Pathologen und Chirurgen. Für die Behandlung griff das Team der MHH auf Techniken zurück, die ursprünglich aus der Transplantationschirurgie stammen. Zunächst wurde die Leber geteilt und der Blutkreislauf umgelegt, sodass der gesunde Leberlappen wachsen konnte, bevor der tumorbefallene Bereich entfernt wurde.

Ein ECMO-Gerät (für die extrakorporale Membranoxygenierung) kann zeitweise die Aufgabe der Sauerstoffanreicherung des Blutes sowie die Entfernung von Kohlendioxid außerhalb des Körpers übernehmen.

(Bild: heise online)

Acht Tage später wurde der Tumor samt krankem Leberlappen dann entfernt und dazu ein Vorgehen angewandt, das laut MHH weltweit in dieser Form zum ersten Mal angewendet wurde. Dabei wurden zwei getrennte Kreisläufe geschaffen: Mit der ECMO (extrakorporale Membranoxygenierung) wurde die im Körper der Patientin verbleibende Leber vom Blutkreislauf des Körpers "abgeklemmt". Ein weiteres Team kümmert sich währenddessen um die Kreislauf- und Sauerstoffversorgung der Patientin.

Die Leber selbst wurde mit einer kalten, sauerstoffreichen Lösung durchspült. Diese Technik – die Organperfusion – stammt aus der Transplantationsmedizin, wurde aber hier erstmals im Körper einer Patientin angewendet.

Dieses Gerät wird für die sogenannte maschinelle Organperfusion eingesetzt. Organe, die für eine Transplantation vorgesehen sind, werden außerhalb des Körpers (ex vivo) mit einer speziellen, sauerstoffreichen Lösung durchspült und versorgt. Dadurch bleibt das Organ länger funktionsfähig und kann besser auf die Transplantation vorbereitet werden.

(Bild: heise online)

Dadurch, dass die Leber blutleer blieb und dank der Organperfusion konnte das empfindliche Lebergewebe geschützt werden und es blieb mehr Zeit für die Tumorentfernung und die Rekonstruktion der Blutgefäße. Nicht nur die rechte und mittlere Lebervene, sondern auch ein großer Teil der linken Lebervene wurden entfernt und anschließend wieder an die große Hohlvene angenäht. "Auf diese Weise konnte der bösartige von den Gallengängen ausgehende Tumor entfernt werden, obwohl er alle drei Lebervenen betroffen hatte", heißt es von der MHH. "Nur weil die Leber blutleer war, konnten wir in der OP eine Lebervene rekonstruieren. Dank der kontrollierten Kühlung und kontinuierlichen Sauerstoffzufuhr hatten wir dazu genug Zeit. Es lief alles glatt", erklärte Prof. Dr. Moritz Schmelzle, Direktor der MHH-Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie und Leiter des Transplantationszentrums.

Nach der zweiten Operation musste die Patientin noch sieben Tage auf der Station bleiben. Danach konnte sie nach Hause gehen, ohne weitere Medikamente einzunehmen. Laut Schmelzle seien die meisten Teilschritte bereits durchgeführt worden, aber nicht in dieser Kombination.

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Die Idee, ein krankes Organ außerhalb des Körpers zu operieren, gab es schon länger, wurde aber im Körper umgesetzt, indem der Blutkreislauf abgetrennt wurde. Sie geht laut MHH auf Prof. Rudolf Pichlmayr zurück, unter dessen Leitung die MHH in den 80er Jahren zu einem der weltweit führenden Forschungszentren der Transplantationsmedizin wurde. "Die Behandlung von Frau Viehmeier zeigt, welche Fortschritte wir in der systemischen und operativen Tumortherapie gemacht haben", sagt Schmelzle. "Als zertifiziertes Leberzentrum können wir auch bei vermeintlich hoffnungslosen Fällen noch eine Chance auf Heilung bieten." Viehmeier empfiehlt anderen Patienten, nicht aufzugeben und sich nicht mit der ersten Meinung zufriedenzugeben.

(mack)