KI-Agenten Teil 2: Von der Produktentwicklung zur Prozessoptimierung

KI-Agenten können die Teamkoordination und digitale Prozesse durch Scrum und andere agile Ansätze grundlegend verändern.

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Roboter mit Finger am Kopf

(Bild: Tatiana Shepeleva/Shutterstock.com)

Lesezeit: 16 Min.
Von
  • Thomas Immich
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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

So mancher Tech-Guru glaubt, dass KI-Agenten schon bald die Rolle des Mid-Level Software Engineers obsolet machen können. Selbst wenn man das übertrieben findet, sind Agenten doch auf dem besten Weg, die Softwareentwicklung zu revolutionieren, wie der erste Teil unserer Artikel-Serie gezeigt hat. Dort wurde auch der Trend hin zu "Multi-Agenten KIs" angerissen, also den Verbund mehrerer KI-Agenten zu einem Team. Doch gerade der systemische Aspekt von KI-Agenten in Bezug auf Kollaboration und Automatisierung ist komplex und verlangt nach einer genaueren Analyse.

Wie im Mannschaftssport dürfte der Erfolg eines Teams von KI-Agenten wohl davon abhängen, wer es koordiniert und welche Schwerpunkte dieser jemand setzt. Es kommt also auf den Coach oder das Coachingteam und deren Strategie und Taktik an.

Im übertragenen Sinne bedeutet das: Ein Coach, der eher auf eine defensive Taktik setzt, dürfte seine Mannschaft in Richtung Abwendung von Cybersecurity-Attacken und IT-Risiken einschwören. Ein Coach, der eher auf einen guten Aufbau und viele (Ball-) Abgaben setzt, dürfte an der Adaptivität und Transparenz seiner KI-Agenten interessiert sein. Und ein Coach, der in die Offensive geht, möchte sicherlich mit seiner Software glänzen und die Konkurrenz mit einem messbaren Punktsieg in den Schatten stellen.

Letztlich geht es um das Team und jeder KI-Agent muss seinen Beitrag zum Gesamterfolg leisten. Das Skizzieren einer Strategie, die Umsetzung einer Taktik, das agile Reagieren auf neue Rahmenbedingungen, aber auch das iterative Abstellen von Schwächen nach der Analyse – all das sind Aspekte, die sich genau wie im Teamsport auch in der digitalen Produktentwicklung wiederfinden. Und ähnlich wie im Teamsport gilt inzwischen bei der digitalen Produktentwicklung: während eines Sprints kann und sollte der Product Owner nur noch bedingt eingreifen, denn das Entwicklerteam muss es während des "Spiels" (bzw. Sprints) in eigener Verantwortung richten. Die eigentlichen Weichenstellungen passieren also vor und nach dem Spiel. Das Vorgehen ähnelt dem UX Therapy AI Experiment aus dem ersten Teil der Artikelreihe, es werden demnach nur Rahmenbedingungen gesetzt, innerhalb derer die KI-Agenten autonom handeln.

Thomas Immich
Thomas Immich

Thomas Immich ist Unternehmer, Trainer und Berater und unterstĂĽtzt Unternehmen bei der menschzentrierten Automatisierung ihrer Prozesse mittels KI-Agenten.

Wenn KI-Agenten im Verbund mit ihren menschlichen Development-Teammitgliedern weitgehend eigenständig Software entwickeln, so muss sich ein menschlicher Product Owner darauf verlassen können, dass alle wichtigen Informationen vor der Umsetzung geflossen sind, und dass während der Umsetzung freie Sicht auf jeden Spieler existiert, damit das Team nach der Umsetzung auch kleinste Schwächen gemeinsam ansprechen und abstellen kann.

Nicht zufällig erhielt Scrum als eines der bekanntesten agilen Softwareentwicklungs-Frameworks seinen Namen aus dem Mannschaftssport: Erfolgreiche Produktentwicklung ähnelt einem Rugby-Spiel, bei dem das Team den Ball als Einheit kontinuierlich vorwärtsbewegt – im Gegensatz zu einem sequenziellen Staffellauf. Das Wort Scrum bezeichnet dabei das “Gedränge” bei Fortsetzung des Spiels, etwa nach unbeabsichtigtem Ballverlust.

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Doch neben dem Mannschaftssport gibt es relevantere Analogien. Denn die Einführung von KI-Agenten ist hinsichtlich der systemischen Aspekte von Softwareentwicklung offensichtlich gar nicht so disruptiv: MetaGPT beschreibt bei seinen KI-Agenten ähnliche Rollen und Aufgaben und nutzt ähnliche Kommunikationsabläufe, die auch in einem menschlichen Entwicklungsteam in einem agilen Framework wie Scrum relevant wären.

Disruptiv ist an dieser Stelle vielmehr, dass KI-Agenten, im Gegensatz zu ihren menschlichen Teammitgliedern, unbegrenzt kopierbar sind und sich auf allen Entwicklungsebenen zur Automatisierung einsetzen lassen. Die Entwicklung digitaler Produkte wird zukünftig also in unvorstellbarem Maße skalierbarer und effizienter als bislang. Oder anders gesagt: KI-Agenten im Development-Team ermöglichen nicht nur die Automatisierung von digitalen Aufgaben im Allgemeinen, sondern der gesamten Softwareproduktion im Speziellen. In Zukunft geht es primär nicht mehr darum, das digitale Produkt zu planen und zu bauen, sondern die digitale Produktionsstraße (die Pipeline), auf der sich dann wiederum das digitale Produkt automatisiert fertigen lässt. Und das ändert so einiges!

Herstellungsprozesse zu beschleunigen, indem man sie mit Produktionsstraßen automatisiert, ist in Bezug auf physische Güter ein ebenso alter wie erfolgreicher Hut und Teil der (einst) wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte Deutschlands und anderer Industrienationen. In dem unter dem Stichwort "Industrialisierung" bekannten Wandel wurden manuelle Abläufe systematisch automatisiert oder teilautomatisiert, um der hohen Nachfrage gerecht zu werden.

Ein ähnlicher Wandel wird sich mit dem Einzug von KI-Agenten meiner Ansicht nach auch in der Softwareentwicklung einstellen, denn die Nachfrage nach funktionaler, emotional ansprechender und intuitiv bedienbarer Software wird seit Jahren immer höher und ein Ende ist nicht abzusehen. Aber der Mangel an kompetenten Fachkräften und die begrenzte Entwicklungsgeschwindigkeit menschlicher Entwicklungsteams verhindern es, dieser Nachfrage gerecht zu werden.

Deutschland ist im negativen Sinne ein Paradebeispiel hierfĂĽr: Der Digitalisierungsstau ist inzwischen so weit gediehen, dass die Zeichen sowohl in der Industrie als auch in der Gesellschaft bereits auf Zynismus, Resignation oder RĂĽckzug zu stehen scheinen. Wir sind in allem zu langsam und in Teilen wird jenseits der Zuversicht bereits von Deindustrialisierung gesprochen.

heise Konferenz zu Digital Design und User Experience

Die Konferenz Digital Design & UX 2025 (DDUX) findet am 25. und 26. Juni 2025 in Dortmund statt. Interessierte können sich an zwei Tagen und 24 Vorträgen über die Gestaltung digitaler Produkte und Lösungen informieren. Das Programm, zusammengestellt von dpunkt.verlag und iX in Kooperation mit MaibornWolff, bietet Vorträge zu den unterschiedlichsten Aspekten von Digital Design. Dieses Jahr stehen die Themen Barrierefreiheit, Bildung und KI für Digital Design besonders im Fokus. Der Autor dieses Artikels hält dort den Vortrag "Produktdesign Automatisierung mit KI-Agenten – Gestaltungsraum oder Kontrollverlust?"

Tickets sind über den Ticketshop auf der offiziellen Konferenz-Website erhältlich.