Gitex Europe: EU-Staaten werkeln an der quelloffenen "Hyper-Cloud" 8ra

Aufbauend auf Gaia-X und dem EU-Programm für eine industrielle Cloud IPCEI-CIS wollen 12 EU-Länder mit 8ra ein Open-Source-Ökosystem für Datenräume schaffen.

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Mehrere Personen auf einer BĂĽhne, dahinter ihre Namen

(Bild: Stefan Krempl/heise online)

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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Die Begriffsvielfalt bei europäischen Cloud-Projekten nimmt weiter zu. Nach dem bereits wiederholt totgesagten, aber weiter laufenden Gaia-X und dem "wichtigen Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse" (IPCEI) für Cloud-Infrastrukturen und -Services (CIS) versucht nun die aus dem gleichen Umfeld kommende Initiative 8ra aus dem Schatten ihrer Vorgänger zu treten. Ernst Stöckl-Pukall, Leiter des Referats Digitalisierung und Industrie 4.0 im Bundeswirtschaftsministerium, bezeichnete das Vorhaben am Mittwoch auf der IT-Messe Gitex Europe in Berlin als eine "föderierte Infrastruktur für eine neue Datenökonomie".

Einen potenziellen Anwendungsfall für 8ra hat Stöckl-Pukall auch gleich dabei: Mit dem Projekt lasse sich prinzipiell etwa "autonomes Fahren in ganz Europa ermöglichen". Dafür seien Skaleneffekte und ein "Cloud-Edge-Kontinuum" nötig. Das Wirtschaftsressort sieht darin eine nahtlose Integration zentraler Datenspeicher und dem Verfügbarmachen von Rechenleistung näher an den Datenquellen. Dies erlaube eine dynamische Verteilung von Datenverarbeitungsaufgaben je nach Bedarf. Ein solches Kontinuum biete sowohl die niedrige Latenzzeit und Echtzeitverarbeitung der Edge-Technologie als auch die Skalierbarkeit und Ressourcenvielfalt der Cloud.

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Experten setzen gerade im Verkehrsbereich schon seit Längerem auf die massenhafte Verarbeitung großer Datenmengen aus vernetzten Autos und der Straßeninfrastruktur möglichst nah am Ort des Geschehens in kleinen, bestenfalls portablen Rechenzentren am Netzwerkrand. Es sei kaum mehr möglich, alle relevanten Messwerte über die Cloud an große, weiter entfernte Datenzentren zu übertragen und erst dort auszuwerten, lautet die Begründung. Die Knoten vor Ort könnten aber über die Rechnerwolken smarter werden durch "föderiertes Lernen": Sie tauschten dabei nur das extrahierte Know-how aus, also etwa neue KI-Trainingsprogramme.

In diesem Sinne erhofft sich Stöckl-Pukall von 8ra auch das Potenzial für einen europäischen Durchbruch bei leistungsfähigen KI-Modellen, die als Basis für viele smarte Anwendungen dienen. Dafür seien viele Ressourcen erforderlich, die am besten in einer föderierten, distribuierten Umgebung gebündelt würden. Er habe nichts gegen Hyperscaler wie AWS, Google oder Microsoft, betont der Regierungsvertreter. "Aber wir brauchen Alternativen." Europa dürfe nicht von ein oder zwei großen Anbietern abhängig sein. Der Paradigmenwechsel bei 8ra sei nun, dass sich jeder einbringen und die Infrastruktur gemeinsam nutzen könne.

8ra baut direkt auf dem IPCEI-CIS auf. An dem auch als "Industrial Cloud" bekannten Förderprogramm sind zwölf EU-Länder beteiligt, darunter neben den Ideengebern Deutschland und Frankreich etwa Ungarn, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Polen und Spanien. Die EU-Kommission gab 2023 dafür 1,2 Milliarden Euro an nationalen Beihilfen frei. Federführend entwickelt SAP in diesem Rahmen eine offene Referenzarchitektur für die vorgesehene Cloud-Edge-Infrastruktur, deren ursprüngliche Abkürzung ORA genauso ausgesprochen wird wie 8ra. Die Open-Source-ORA soll bis Ende 2027 stehen.

Laut dem Wirtschaftsministerium fungiert die 8ra-Initiative als übergeordnete Struktur, die gewährleisten soll, "dass die Ergebnisse des IPCEI-CIS über den Programmhorizont hinaus weiterentwickelt werden und einen bleibenden Mehrwert bieten". Es gehe um einen langfristigen Rahmen, "der die fortlaufende Relevanz und Akzeptanz der erzielten Ergebnisse" unterstütze. Zudem ermögliche 8ra die Einbindung zusätzlicher Partner und Initiativen. Im Kern handelt es sich also um eine neue Dachmarke, die Stöckl-Pukall zufolge auch mit Gaia-X-Ausgeburten wie Manufacturing X oder Catena X verknüpft werden solle. So müssten die Beteiligten bei Datenräumen nicht alles neu machen, sondern könnten sich auf das Bauen von Lösungen konzentrieren.

Die vorgesehene Referenzarchitektur bezeichnet Oliver Nyderle, der bei der Deutschen Telekom für digitales Vertrauen und Web3 zuständig ist, als Kernkomponente. Diese treibe SAP mittlerweile innerhalb der Linux Foundation voran. Eines der ersten konkreten Open-Source-Ergebnisse des IPCEI-CIS ist parallel die vor Kurzem ins Leben gerufene Initiative NeoNephos, an der unter dem Dach der Linux Foundation Firmen wie die Telekom, SAP und Stackit (Schwarz Digits) beteiligt sind. Deren eng mit 8ra verbundenes Ziel ist es, offene Cloud-Architekturen, digitale Souveränität und Technologien wie Kubernetes in Europa zu fördern. Als Tech-Stack dient hier ApeiroRA, eine ebenfalls mit IPCEI-Mitteln entstandene Technik.

Für Nyderle ist 8ra eine "Hyper-Cloud", die sich über mehrere Anbieter von Diensten zum Datenspeichern in Rechnerwolken hinweg spannt. Der Fokus liege nicht auf der Infrastruktur, sondern auf der Ebene von Applikationen wie Datenräumen. Da es dafür Konnektivität brauche, seien fast alle größeren europäischen Netzbetreiber dabei, also auch Telefónica, Telecom Italia Mobile und Orange. Vodafone nähere sich dem Ganzen gerade an.

Die Provider brächten – genauso wie Betreiber von Rechenzentren – Ressourcen wie Hardware und Datenleitungen ein, erläuterte der Experte gegenüber heise online. Ein Nutzer könne dann künftig anhand verschiedener Parameter Bedürfnisse seines Workflows etwa zur Latenz oder zum Datendurchfluss beschreiben. Auf der anderen Seite finde er Angebote, die sich nach Konstanten wie "besonders grünes Rechenzentrum" oder "nutzt nur Windenergie" auswählen ließen.

Größere Rechenoperationen könnten so ins Ökosystem ausgelagert werden, die Daten aber im eigenen Beritt gehalten werden, verdeutlicht Nyderle. Neben föderierten Arbeitsweisen, bei denen nur die Ergebnisse nach außen flössen, könnte dafür die Sicherheit einzelner Datencontainer mithilfe von Confidential Computing gewährleistet werden. Dabei ist die exklusive Kontrolle über die Chiffrierschlüssel gegeben und Daten werden auch während der Verarbeitung geschützt.

(mho)