Charme-Offensive: OpenAI-Büro in München eröffnet

Privatnutzer sind gut, Unternehmen bringen Geld: OpenAI baut ein kleines Team in Deutschland auf, um Unternehmenskunden und Entwickler zu betreuen.

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(Bild: HILLWIRED)

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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Deutschland ist gar nicht so KI- und technikfeindlich, wie gerne kolportiert wird. Das behauptet kein geringerer als ChatGPT-Entwickler OpenAI und eröffnet angesichts der Möglichkeiten, die sich daraus ergeben könnten, gleich ein Büro in München. Diese Woche wurde das Büro eingeweiht – allerdings fand die Feier nicht am geheimgehaltenen Standort selbst statt, sondern im Deutschen Museum.

Interne Auswertungen des kalifornischen Tech-Unternehmens wecken offenbar Hoffnungen auf florierende Geschäfte: Nicht nur kommen die meisten zahlenden europäischen ChatGPT-Abonnenten aus Deutschland. Auch bei den zahlenden Unternehmenskunden außerhalb der USA rangiere Deutschland weltweit unter den besten drei und bei der Anzahl der Entwickler, die die API nutzen, belegt Deutschland Rang zwei hinter den USA. Konkrete Zahlen, die einen unabhängigen Vergleich oder eine Einordnung ermöglichen würden, bleibt das Unternehmen schuldig.

Deutschland könne dank seiner Talente sogar europäischer KI-Vorreiter werden und eine Führungsrolle übernehmen, umwirbt der Chief Operating Officer Brad Lightcap die geladenen Gäste: „Deutschland ist weltweit für technische Exzellenz und industrielle Innovation bekannt – es ist daher nur folgerichtig, dass das Land eine führende Rolle bei der Einführung von KI einnimmt.“ Vor allem die Zusammenarbeit mit hiesigen Entwicklern sowie Unternehmens- und Industriekunden sieht OpenAI als enormes Potenzial, ebenso wie die Nähe zu den Exzellenz-Clustern der TU München.

Bei der Eröffnungsfeier anlässlich der OpenAI-Büroeröffnung in München preist COO Brad Lightcap den KI-Standort Deutschland.

(Bild: HILLWIRE)

Weltweit beschäftigt OpenAI 2.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in 12 Büros. Mehr als 650 davon arbeiten in der Forschung. Europäische Büros gibt es bereits in Paris, Brüssel, Dublin, London und Zürich. Die Münchener Depandance besteht momentan aus zehn Mitarbeitern, die als Ansprechpartner für Business-Kunden fungieren und Hilfestellung bei der Umsetzung konkreter Projekte geben sollen. Die Experten vor Ort sollen vor allem bei konzeptionellen oder grundsätzlichen Fragen helfen; beispielsweise ob und wie eine Idee realisiert werden könnte oder wie man in der Praxis die (unvermeidlichen) Fehler des statistischen Systems abfängt, um Schadensbegrenzung zu betreiben. Als Forschungs- und Entwicklungsstandort ist München nicht vorgesehen. Diesbezüglich scheint die KI-Schmiede Zürich zu bevorzugen; für die dortige Niederlassung hatte sie die Machine-Learning-Experten Lucas Beyer, Alexander Kolesnikov und Xiaohua Zhai von Google Deepmind abgeworben.

Der Zeitpunkt dafür, kleine lokale Teams zu etablieren und darüber auch auszuloten, wie die Kunden auf den unterschiedlichen Märkten so ticken, ist in zweierlei Hinsicht günstig. 2025 soll für OpenAI das Jahr der KI-Agenten werden, die Abläufe in Unternehmen automatisieren sollen. Einen Vorgeschmack gibt die bereits vorhandene ChatGPT-Funktion Deep Research, die Themen eigenständig recherchiert, indem sie Internetquellen analysiert, mit diesen interagiert und bei Bedarf zusätzliche benötigte Informationen vom Nutzer einholt oder Python-Skripte schreibt. Momentan setzen Unternehmen ChatGPT vor allem für einfachere Aufgaben wie im Kunden-Support ein. Mit der Einführung der Agenten bringen die KI-Entwickler ihre Modelle für komplexere Prozesse in Stellung.

Auch die EU ebnet den Weg. Im vergangenen Jahr trat die europäische KI-Verordnung (AI Act) in Kraft. Sie regelt den Umgang mit Machine-Learning-Systemen und insbesondere mit den Grundlagenmodellen (General Purpose AI, GPAI), zu denen die Sprach- und Bildgeneratoren – ChatGPT, Gemini, Claude, Perplexity et cetera – sowie ihre multimodalen und agentischen Weiterentwicklungen zählen. Derzeit entsteht die finale Version des Code of Practice für ebendiese GPAIs, in dem verpflichtende Guidelines für die Implementierung solcher Systeme festgelegt sind. Ende Mai erscheint der Verhaltenskodex, ab 2. August ist er verbindlich.

Diese Anleitungen sind vor allem für kleinere und mittlere Unternehmen ohne große Compliance-Abteilung wichtig, um mit KI-gesteuerten Prozessen rechtlich auf der sicheren Seite zu bleiben. Steht die finale Version, könnten wohl einige deutsche Firmen, die sich bislang zurückgehalten haben, auch aufwendigere KI-Projekte anstoßen. Gegenüber heise online bekannte sich Produktmanager Nick Turley denn auch zur Einhaltung der europäischen Regeln. Firmenkunden können explizit Server mit deutschem oder europäischem Standort wählen und ihre Firmendaten so verarbeiten lassen, dass sie nicht zu Trainings- oder anderen Zwecken ins System zurückfließen; momentan in Microsoft-Rechenzentren, wie Turley erläutert.

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Doch das Unternehmen muss auch Vertrauen aufbauen, und dafür wird es sich mehr an Taten als an Worten messen lassen müssen. Eine „allgemeine künstliche Intelligenz zum Wohle der Menschheit“ zu entwickeln – dieses Leitmotiv trägt OpenAI weiterhin vor sich her. Der versprochene gute Zweck heiligte in der Vergangenheit allerdings einige Mittel, die vielleicht in Ordnung waren, solange OpenAI ein Forschungs-Start-Up war, und seine Nutzer ChatGPT nicht kommerziell einsetzen: unter anderem das Training der Netze mit urheberrechtlich geschütztem Material. Zudem befördern die üblichen, auf Wachstum und Verdrängung bauenden Geschäftsmodelle der US-amerikanischen Tech-Konzerne die Bildung von Monopolen beziehungsweise Oligopolen, wirken dem gesellschaftlichen Wohl also eher entgegen. Das "Wohl der Menschheit" stellt sich eben nicht automatisch ein. Es will immer wieder aufs Neue erkämpft, gestaltet und gegen Begehrlichkeiten verteidigt werden – mal mithilfe von KI, mal gegen sie.

(atr)