Comic-Sachbuch: Gezeichnete Reise durch die Jahrzehnte der Spiele
Der Journalist Jean Zeid hat zusammen mit der Zeichnerin Émilie Rouge ein vergnügliches wie lehrreiches Sach-Comic über die Welt der Spiele veröffentlicht.
(Bild: Carlsen)
Die Geschichte der Videospiele wurde schon oft erzählt. Als Buch, als Doku und als Podcast. Nun sogar als Comic. Dieser Aufgabe haben sich der Spiele-Experte Jean Zeid und die Zeichnerin Émilie Rouge verschrieben. Die französische Originalausgabe erschien im Dezember, die deutsche Übersetzung "Gaming – Eine Pixel-Zeitreise" ist ab sofort erhältlich. Eine englische Version der Graphic Novel ist für Juli angekündigt.
Die Idee: Die Zeichnerin und der Autor selbst sind die Helden einer Zeitreise, die zu zahlreichen Stationen und in die Spiele hinein teleportiert. Sie beginnt mit dem MIT, dem Massachusetts Institute of Technology, in dem 1961/62 an einer PDP-1 mit einem runden Graphik-Bildschirm "Spacewar!" entsteht. Gezeichnet werden Umgebungen, Computer, Personen und die Spiele selbst. Das funktioniert gut und lässt das Buch in einem einheitlichen Stil erscheinen. Den Helden ist bewusst, dass sie ihre Erlebnisse zu einem Buch verarbeiten müssen, was immer wieder zu putzigen Bemerkungen führt. "Das wird ja ein Spaß, das zu zeichnen,"
Durch die Jahrzehnte
Es folgt eine wilde Reise durch die Zeiten. Wie das Tischtennis-Spiel der Magnavox Odyssey erst als "Pong" von Atari ein Erfolg wird. Wie der Automat "Space Invaders" einen Engpass an 100-Yen-Münzen verursacht. Wie das Fairchild Channel F und das Atari 2600 die erste Konsole mit Wechsel-Cartridges werden – und die drei Säulen Entwickler, Publisher und Konsolen-Hersteller entstehen. Wie der Apple II die erste wichtige Spielemaschine unter den Heimcomputern wird, mit Designern wie Jordan Mechner ("Prince of Persia"). Wie in den 90er-Jahren Spiele erwachsen werden, dank der neuen Möglichkeiten durch CD-ROM und 3D. Wie das erzählerische Genre Adventure der Nährboden für Experimente wie "In Memorian" wird.
(Bild:Â Carlsen)
Die Stationen führen zu Smartphones, Online-Abenteuern und zu erwachsenen Spielen für ein erwachsenes Publikum wie "Heavy Rain", mit filmreifen Bildern und mit der Kraft, auch unangenehme Emotionen hervorzurufen. Statt Helden würden nun auch normale Menschen im Mittelpunkt stehen, beispielhaft genannt "Shenmue", das "den Alltag zum Herzstück seiner Erzählung" macht. Das Entwickeln von Spielen sei einerseits eine kreative und erfüllende Tätigkeit, zugleich kann man in den Spielen selbst einen "Sinn" suchen.
Geist und Witz
Trotz der wenigen Zeilen Text pro Seite, die ein Comic bietet, wird eine enorme Fülle an Wissen fachkundig angeboten und richtig eingeordnet. Immer wieder gibt es zusätzliche Informationen, werden Begriffe wie "Gameplay", "Pathfinding", "Portierung" und "Mod" erklärt.
Viele Anekdoten sorgen für Unterhaltung, ohne dass Innovationen außer Acht gelassen werden. Immer im Wechselspiel: Jean der Lehrer, Émelie die (nicht ganz so ahnungslose) Schülerin. "Bushnell hat Baer verraten, und Pong katapultiert das Videospiel von den Labors mitten hinein in die Unterhaltungsbranche." – "Mir tut es vor allem leid für Ralph Baer. Immerhin hat ihm Bushnell sein Spiel geklaut."
(Bild:Â Carlsen)
Nicht sehr überraschend: Regelmäßig wird auf französische Spiele und Entwickler eingegangen. Deutschland kommt hingegen nur in einem Satz vor ("In Deutschland greifen die Gamer eher zu Management-Spielen wie Die Siedler oder Anno.") Ganz zu schweigen von der DDR und dem gesamten Ostblock.
Designerinnen ins Licht gerĂĽckt
Sympathisch ist, dass immer wieder Frauen gewürdigt werden. Auch wenn dabei Männer mit "im Spiel" waren. Beginnend mit Mabel Addis, die 1964 mit der ersten Wirtschaftssimulation "The Sumerian Game" als erste Game Designerin in die Geschichte eingeht. Dona Bailey, die "Centipede" (mit-)entwickelt – und somit als erste Frau ein Arcade-Spiel. Kim Swift, die an "Portal" mitwirkt. Carol Shaw, die unter anderem "River Raid" entwirft.
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Wiederfinden kann man Personen, Spiele und Geräte durch den etwas zu umfangreich geratenen Index über zwei Spalten auf neun Seiten.
Über einige wenige Nachlässigkeiten lässt sich hinwegsehen. Mal wird "Castelvania" (statt "Castlevania") geschrieben, mal das Spiel "Versailles" falsch dem CD-i zugeordnet (es kommt erst Jahre später für PC, Mac und PlayStation). An anderer Stelle wird behauptet, "Dune" setze von Beginn an auf die CD-ROM statt auf die Diskette – tatsächlich ist es eines der ersten Disketten-Spiele, die später für die CD erweitert werden. Und mit "25 Millionen verkauften Konsolen und 20 Millionen veräußerten Modulen" beim Atari 2600 sind sicher 120 Millionen Spiele gemeint.
Es ist ein schönes Büchlein, in dem auch Retro-Liebhaber für sie neue Fakten und Überlegungen finden werden und das weit über einen Zeitstrahl von Pong bis heute hinausgeht. Und das zu einem fairen Preis von 25 Euro für 240 farbige Seiten mit Hardcover-Bindung. Vielleicht hätte das Format größer ausfallen können; es liegt mit 173 mm x 245 mm eher bei A5 als bei A4, so dass die Zeichnungen und Texte recht klein sind. Veröffentlicht hat es in Deutschland Carlsen; die Übersetzung übernommen hat die mit Comics erfahrene Tanja Krämling.
(dahe)