Austausch ohne Zensur: ARD und ZDF zeigen "digitale Heimat" für die Gesellschaft
Ihr gemeinsames Streaming OS sehen ARD und ZDF auch als Plattform, um sich Apple, Google, Netflix & Co. zu "erwehren". An diese sei zu viel outgesourct worden.
(Bild: Haris Mm/Shutterstock.com)
Das im vorigen Jahr angekündigte und in Teilen vor allem beim Zweiten seit März schon umgesetzte Streaming OS ist für ARD und ZDF ein wichtiger Baustein für mehr Unabhängigkeit von großen Internetkonzernen aus den USA und so für digitale Souveränität. Matthias Hölscher, Leiter des strategischen Distributionsnetzwerks beim ZDF, bezeichnete die Initiative am Montag auf der Internetkonferenz re:publica in Berlin als gutes Mittel, um sich gegen Big Tech und die "global agierenden Streamer" zu "erwehren".
(Bild: Stefan Krempl/heise online)
Der gemeinsame technische Unterbau der öffentlich-rechtlichen Sender soll neben einem Streaming-Player, das Login-System inklusive Nutzerdaten, ein Empfehlungssystem sowie Design-Kernelemente umfassen. Es gehe nicht darum, eine "riesige Plattform" von vornherein für alle potenziellen Partner etwa auch aus der Europäischen Rundfunkunion (EBU) zu bauen, erklärte der Leiter von ARD Online, Benjamin Fischer. Nutzer bekämen von allen Beteiligten vielmehr einen "personalisierten Feed". Wer etwa Podcasts oder Nachrichtensendungen abonniert habe, könne diese alle durch diese fortlaufende Content-Übersicht wiederfinden. Es bleibe aber bei der ARD zunächst weiterhin bei zwei separaten Apps für die Media- und die Audiothek, da letztere viel im Auto genutzt werde und darauf zugeschnitten sei.
Videos by heise
"Wir haben zu lange outgesourct an amerikanische Big-Tech-Plattformen" wie Apple, Google mit YouTube, Meta oder Netflix, geht Fischer konform mit Hölscher in der Stoßrichtung. "Das müssen wir wieder zurückholen." Um die Dialog- und Beteiligungsmöglichkeiten zu erhöhen, setzen ARD und ZDF auf das internationale Projekt Public Spaces Incubator. Das zielt auch darauf ab, einen digitalen Raum für konstruktiven Austausch zu schaffen. Der erste Schritt dabei sei es, die Bindung der Zuschauer wiederherzustellen und die eigenen Plattformen zu stärken, betonte Fischer. Im Anschluss stehe die Frage an, wie sich das Ökosystem für Dritte wie Content-Creator oder Institutionen öffnen lasse. Auch eine Kompatibilität mit dezentralen Social-Media-Plattformen wie dem Fediverse werde geprüft, darüber sind etwa Mastodon, PeerTube und andere Dienste verknüpft.
Nukleus für europäisches Netzwerk
Die Öffentlich-Rechtlichen stünden in direkter Konkurrenz zu Social-Media-, Video- und Streaming-Plattformen, verdeutlichte Hölscher. Alle kämpften um die begrenzte Zeit der Verbraucher für den Medienkonsum. Ein direkter Wettbewerb mit Instagram, Facebook, X & Co. ginge aber an die Grenze des Auftrags der gebührenfinanzierten Rundfunkanstalten. Dieser enthalte nicht die Maßgabe, ein soziales Netzwerk zu bauen. Ein Gutachten werfe zwar die Frage eines Alternativangebots und Gegengewichts auch hier auf, doch dessen Umsetzung hätte auch etwas mit Ressourcen zu tun.
Mit Streaming OS wollen ARD und ZDF laut Hölscher Nutzern eine "digitale Heimat" bieten und eine mit öffentlichen Geldern finanzierte Technologie der Gesellschaft wieder zurückgeben. Der Name stehe nicht nur für Operating System, sondern auch für Open Source. Habe heute etwa ein Theater die Idee, einen Trailer auf die eigene Webseite zu stellen, sei es auf Drittplattformen wie YouTube angewiesen. Künftig könnte so eine Einrichtung "unseren Player" nehmen. Das mache "souveräner von den Big-Tech-Konzernen". Die Streaming-Plattform baue zudem beim Feed und dem Empfehlungssystem auf "transparente öffentlich-rechtliche Algorithmen" in Form von Eigenentwicklungen. Netflix würde Interessierten den Vogel zeigen, wenn sie nach diesen Programmroutinen fragten.
Das gemeinsame technische System unter der Motorhaube bauten ARD und ZDF idealerweise auch mit dem Deutschlandradio auf, führte Fischer aus. Ansatz sei es, immer auch Europa mitzudenken und etwa zunächst die deutschsprachigen Inhalte von Arte einzubeziehen. Plan sei es, in Richtung Mehrsprachigkeit zu gehen und "die ganze Diversität von Europa" widerzuspiegeln. Hölscher sprach von einem "Nukleus für europäisches Netzwerk". So gebe es etwa auch Gespräche mit dem ORF, der über 3sat prinzipiell auch schon eingebunden sei. Aus eigenständigen Online-Auftritten solle "ein großer Inhalte-Kosmos" entstehen. Weitere Funktionalitäten sollen am Freitag freigeschaltet werden.
(mho)