Buchkritik: Digitaler Kolonialismus
Offiziell ist die Ära des Kolonialismus längst vorbei. Doch Staaten und große Unternehmen setzen die Ausbeutung des globalen Südens auf digitale Weise fort.
- Maik Schmidt
Ingo Dachwitz arbeitet unter anderem als Tech-Journalist für netzpolitik.org. Sven Hilbig ist Experte für Digitalisierung bei Brot für die Welt. Das Autorenduo belegt in seinem Buch, dass Industriestaaten und mächtige Konzerne, gerade auch im IT-Sektor, Entwicklungs- und Schwellenländer in immer neue Abhängigkeiten verstricken. Auf diese Weise, so die Autoren, lebe der alte Kolonialismus in neuer, digitaler Form weiter.
Dabei spannen Dachwitz und Hilbig einen weiten Bogen. Palantir, Predator und FinFisher greifen selbst den übelsten Regimen gern unter die despotischen Arme. Tech-Konzerne erheben Unmengen an Daten in Afrika und Südamerika, während die Menschen dort das Material nur unter unwürdigen Bedingungen moderieren dürfen. Wertschöpfung findet woanders statt. Länder wie China sowie Unternehmen wie Google und Meta verlegen Unterseekabel und bauen Mobilfunknetze. Schnelles Internet treibt zwar die Entwicklung in Ländern des globalen Südens voran, aber gewaltige Datenmengen fließen zurück in den Norden, der vorrangig profitiert. Auch Satelliten-Internet, etwa durch Starlink, zeigt seine Kehrseite in Form erheblicher Umweltbelastungen.
Europäischer Politik wiederum, so die Autoren, gehe es gerade in Bezug auf Afrika primär nicht darum, zu helfen und partnerschaftlich zusammenzuarbeiten, sondern darum, Migration zu bekämpfen. Die Grenzschutzagentur Frontex verfüge über Drohnen, die selbst weit draußen auf dem Meer Mobiltelefone orten könnten, um Geflüchtete zu finden. Dachwitz und Hilbig werfen der EU vor, in biometrische Datenbanken in Afrika zu investieren, um so Abschiebungen zu erleichtern, anstatt europäisches IT-Know-how in den Ländern des Südens beispielsweise für bessere Bildung fruchtbar zu machen. Gleichzeitig versuchen die Mitgliedsstaaten, möglichst billig an Rohstoffe zu gelangen.
Die Mechanismen dessen, was sie digitalen Kolonialismus nennen, analysieren die Autoren detailliert; sie belegen ihre Ausführungen mit Quellenangaben und Abbildungen. Lösungen liefern sie nicht. Im Nachwort legt Renata Ávila Pinto, Leiterin der Open Knowledge Foundation, lediglich ihre Vision einer erstrebenswerten Zukunft dar – eine freundliche Utopie angesichts einer unfreundlichen Weltsituation.
Ingo Dachwitz, Sven Hilbig
Digitaler Kolonialismus
Wie Tech-Konzerne und Großmächte die Welt unter sich aufteilen
- C.H. Beck, München 2025
- ISBN 978-3406823022
- 351 Seiten, 28 €
- (PDF-/Epub-E-Book: 22 €)
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(psz)