Das programmierte Klassenzimmer
Mit digitalen Plattformen wie „Edunex“, die das individuelle Zuschneiden des Lehrstoffs erlauben, zeigen Schüler bessere Lernerfolge. Trotzdem finden diese Systeme in Deutschland kaum Beachtung. Andere Länder sind viel weiter.
- Peter Ilg
Mit digitalen Plattformen wie „Edunex“, die das individuelle Zuschneiden des Lehrstoffs erlauben, zeigen Schüler bessere Lernerfolge. Trotzdem finden diese Systeme in Deutschland kaum Beachtung. Andere Länder sind viel weiter.
Dienstagvormittag, 11 Uhr. Am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium in Fulda beendet die Schulglocke eine kurze Pause. Dann hat die Klasse 11 Englisch-Unterricht bei Dieter Umlauf in einem der Computerräume. Das Thema: „Environmental pollution“, also Umweltverschmutzung. Der Lehrer erklärt die Aufgabe: „Sammelt im Internet Informationen darüber, stellt sie in die Datenbank und schreibt eure eigenen Gedanken dazu auf.“ Umlauf teilt die Schüler in drei Gruppen ein. Die erste recherchiert, wie sich Umweltverschmutzung im Wasser auswirkt, die zweite widmet sich den Schadstoffen in der Luft, und das dritte Team beschäftigt sich mit den Auswirkungen auf das Klima.
Die Gruppen schließen sich über ein Computersystem zu einem Netzwerk zusammen und sammeln eifrig englische Texte, Bilder und Grafiken. Zum Schluss bekommen sie als Hausaufgabe, einen Text darüber zu schreiben, was die Recherchen ergeben haben. Das Schriftstück stellen sie später als Word-Datei in eine Internetplattform namens „Edunex“ ein. Hier liest Umlauf die Aufsätze und bewertet sie. Er kann später auch über die digitale Tafel im Klassenzimmer auf die Texte zugreifen. „Edunex ist eine Allzweckwaffe für den Schulunterricht, die selbstständiges Lernen fördert“, sagt der Lehrer.
Edunex steht für „Education Next Generation“ und ist eine von T-Systems entwickelte multimediale Lernplattform, die Schülern und Lehrern einen individualisierten Unterricht über das Internet ermöglicht. Das System erlaubt Lehrkräften, Aufgaben zu stellen und sie später zu korrigieren, auf Zielgruppen ausgerichtete Lernpläne zu erstellen, hilft beim Organisieren von Kursen und Klassen sowie bei der Vor- und Nachbereitung des Unterrichts. Die Lehrer können darüber hinaus die Aufgaben auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten einzelner Schüler und Gruppen abstimmen, etwa durch Gruppen-, Partner- oder Projektarbeit im Klassenverband.
Lehrer und Schüler kommunizieren über E-Mails, Foren und virtuelle Klassenzimmer mit Chats. Dazu müssen die Schüler nicht persönlich in der Schule sein, sie können sich bei Bedarf auch von zu Hause aus einwählen. Einzige Voraussetzung ist ein Breitband-Internetanschluss. Dies ist insbesondere für erkrankte Schüler von Vorteil, die den Lernstoff nacharbeiten können, um den Anschluss nicht zu verlieren. Auch Schüler von Sportförderschulen profitieren, indem sie die Pausen zwischen den Trainingseinheiten dafür nutzen, ihre Hausaufgaben auf dem Sportplatz mit dem Notebook zu machen – ebenso wie Zirkuskinder, von denen es in Deutschland rund 1200 gibt.
So büffeln in der „Schule für Circuskinder Nordrhein-Westfalen“ 231 Kinder und Jugendliche im Alter von 5 bis 18 Jahren fünf Stunden pro Schultag im sogenannten Schulmobil. Jeder an seinem eigenen Laptop, jeder in seiner eigenen Lernstufe. Möglich macht das ein ausgeklügeltes Modulsystem der Zirkusschule, das vor einigen Jahren implementiert wurde. In der Zeit, in der die Lehrkraft nicht vor Ort ist, lernen sie im virtuellen Klassenzimmer von Edunex. Ausgerüstet mit einem Headset, kommunizieren die Liliput-Stars wie in einem Internet-Forum per Voice- oder Text-Chat.
Ihre Lehrer sitzen wie Oliver Thier oft Hunderte Kilometer entfernt in ihrer Privatwohnung und steuern den Unterricht von einem Dutzend und mehr Heranwachsender, die bei der Gestaltung des Unterrichts mitbestimmen können. „Die älteren Jungen und Mädchen bestimmen, ob sie zwei Wochen lang Bock auf Mathe haben oder eben nicht. Ich schaue nur, dass sie am Ende des Schuljahrs alle für den Abschluss notwendigen Bausteine für ihr Curriculum gesammelt haben“, erklärt die Pädagogin Eva Röthig das offene Lernfeld und die individuellen Lernpläne des Projekts.
In der Datenbank von Edunex sind die Materialien für alle Anwender zugänglich hinterlegt – zum Beispiel Text- und Grafikangebote von Schulbuchverlagen oder Beiträge der öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten in Audio- und Video-Formaten. Darüber hinaus können die Lehrer für ihre virtuelle Klasse eigene Unterrichtsmaterialien in der Datenbank hinterlegen und Schüler ihre Recherche-Ergebnisse speichern. Diese individuellen Unterlagen können sie auch anderen Edunex-Anwendern zugänglich machen, den Zugriff auf personalisierte Bereiche der Plattform regelt ein Berechtigungskonzept.
Die Schüler melden sich über einen USB-Stick mit integriertem Fingerabdruckscanner bei Edunex an. Dieser „Edukey“ genannte Schlüssel speichert gleichzeitig auch alle persönlichen Einstellungen. Der Vorteil: Die Schüler müssen nicht zwingend über einen eigenen Laptop oder PC verfügen, sie können von überall... (kd)