Buchhandelslobby trägt Streit um wissenschaftlichen Kopierdienst nach Brüssel

Der Börsenverein des deutschen Buchhandels will die Zulässigkeit des wissenschaftlichen Kopierdienstes subito mit einer Beschwerde bei der EU-Kommission klären lassen, hat aber auch Klage in Deutschland erhoben.

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Der Streit zwischen dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels und dem in Berlin ansässigen wissenschaftlichen Dokumentenlieferdienst subito eskaliert: Die Buchhandelslobby hat einerseits gemeinsam mit Stichting STM, dem internationalen Verband der Verleger im Bereich Science, Technology und Medizin, eine Klage (PDF) gegen den Kopienversand der Bibliotheken beim Landgericht München I eingereicht. In einem Musterverfahren wollen die Verleger subito den "weltweiten" Artikelversand untersagen. Darüber hinaus haben die beiden Verbände aber auch eine Beschwerde bei der EU-Kommission eingelegt. Die Verlage fühlen sich demnach durch die Versanddienste der Bibliotheken, die sie als "ruinöse Wettbewerbshandlungen" bezeichnen, "rechtswidrig geschädigt".

Die seit längerem vor sich hin köchelnde Auseinandersetzung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft ist damit ganz oben auf der politischen Agenda angekommen. "Höher kann man die Sache nicht mehr aufhängen", kommentierte der subito-Vorsitzende Uwe Rosemann den Schritt der Lobbyverbände gegenüber heise online. Er kann sich vorstellen, dass die großen wissenschaftlichen Verlage den Streit letztlich vor dem Europäischen Gerichtshof ausfechten wollen. Selbst das amerikanische Wirtschaftsministerium habe im Interesse großer einschlägiger US-Verleger in Brüssel und Berlin bereits seine Bedenken gegen die auch elektronisch erfolgende Versorgung von Forschern mit Fachliteratur zum Ausdruck gebracht. Die noch bestehenden Urheberrechtsschranken im deutschen Recht seien gerade den Konzernen aus Übersee ein Dorn im Auge, da sie nicht zu den Verwertungsstrukturen im Rest der Welt passen würden.

Ganz nach diesem Verständnis haben der Börsenverein und Stichting STM in Brüssel den Vorwurf erhoben, dass die Bundesregierung im ersten Schritt der Urheberrechtsnovelle die ihr zu Grunde liegende EU-Richtlinie "fehlerhaft" umgesetzt und nur so den Versand von Artikeln aus Fachzeitschriften und Büchern ohne Genehmigung der Rechtsinhaber überhaupt ermöglicht habe. Damit schießen sie vor allem gegen Paragraph 53 Urheberrechtsgesetz. Er legt fest, dass "einzelne Vervielfältigungsstücke eines Werkes" zum "eigenen wissenschaftlichen Gebrauch" hergestellt werden dürfen -- auch von Dritten. Die Nutzung der Vervielfältigungen darf aber nur "ausschließlich analog" erfolgen. Inwieweit von dieser schwammigen Formulierung digitale Kopien insgesamt betroffen sind, ist noch umstritten.

Weitere Klarstellungen zum Kopienversand durch Bibliotheken hat das Bundesjustizministerium für den so genannten 2. Korb der Urheberrechtsnovelle angekündigt. Forscherverbände wie die Deutsche Initiative für NetzwerkInformation (DINI) drängen hier in aktuellen Stellungnahmen (PDF) auf die Einführung einer Passage, die die Vervielfältigung einzelner Werke "auf Bestellung" generell für zulässig erklärt für den privaten und wissenschaftlichen Gebrauch. Eine Entschädigung der Verleger und Autoren soll über eine "angemessene Vergütung", also pauschal erfolgen.

Ihre Haltung haben die DINI-Vertreter am gestrigen Montag auf einem Koordinierungstreffen zum Thema Urheberrecht noch einmal verdeutlicht. Ihrer Ansicht nach sind Bildung und Wissenschaft "im 1. Korb" der Rechtsreform "unter die Räder der Unterhaltungsindustrie" geraten: Es werde nicht mehr differenziert "zwischen den vor Raubkopien zu schützenden Werken der Unterhaltungsbranche und den für Bildung und Wissenschaft notwendigerweise frei zugänglichen Informationen und Wissensquellen", ärgern sich die Forscher. Mit DRM-Systemen würden technische Kopierschutzmaßnahmen zudem durchgreifend gesetzlich abgesichert, obwohl die ganze Konzeption äußerst problematisch sei.

Von diesen Forderungen ihrer Autoren wollen die Verleger allerdings nichts wissen. In ihrer sehr ausführlichen, sechzigseitigen Klageschrift gegen subito sehen sie sich durch den Kopienversand existenziell bedroht. Gerade die für die Qualitätssicherung der wissenschaftlichen Literatur benötigte Praxis des "Peer Review" sei teuer und könne nur durch eine Sicherung der Primärverwertungsrechte online wie offline aufrechterhalten werden, argumentieren sie. Die Vertriebswege wollen die Verlage daher vollständig selbst in der Hand behalten. Gegen subito macht der Börsenverband -- wie in seiner ersten, von dem Verein nicht akzeptierten Abmahnung -- saftige Schadensersatzforderungen geltend. Der gesamte Streitwert des Verfahrens wird mit einer Million Euro beziffert. (Stefan Krempl) / (jk)