Interview: "Bisherige Prüfungsformate werden durch den Einsatz von KI nutzlos"
Schummeln Schüler mittels KI bei Leistungserhebungen? Einen Hase-und-Igel-Wettlauf sollte man sich in dem Fall sparen und umdenken, erklärt Bernhard Gmeiner.
(Bild: The American Explorer/Shutterstock.com)
Seit KI-Tools wie ChatGPT ohne große Hürden auch für Kinder und Jugendliche verfügbar sind, nutzen sie diese zum Teil auch zur Erledigung ihrer Schulaufgaben. Was tatsächlich eine Schülerleistung ist, wird dadurch immer schwieriger zu erkennen.
Der österreichische Lehrer Bernhard Gmeiner vertritt die Auffassung, dass bisher genutzte Prüfungsformate dieser Entwicklung nicht mehr gerecht werden. Er beschäftigt sich seit Jahren mit den Auswirkungen von digitalen Angeboten und KI-Tools auf das Schulsystem und hat nun ein kostenloses Handbuch zum Thema KI-resistente Prüfungsformate erstellt. Warum er das gemacht hat, welche Probleme etablierte Prüfungsformate aus seiner Sicht mittlerweile haben und was er sich für die Zukunft wünscht, konnte heise online in einem Interview erfragen.
Für standard.at haben Sie schon Anfang Juni einen Blogbeitrag über die Prüfungskultur in Zeiten von KI geschrieben. Darin mahnen Sie an, stärker über dieses Thema nachzudenken und Prüfungen anzupassen. Nun haben Sie ein frei verfügbares Handbuch für KI-resistente Prüfungsformate verfasst. Haben Sie sich diese Aufgabe vor einigen Wochen quasi selbst gestellt?
Ich habe im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland und Österreich gemerkt, dass das die nächste große Herausforderung im Bildungssektor ist, weil wir im Alltag merken, wie bisherige Prüfungsformate durch den Einsatz von KI nutzlos werden. Es gibt hier auch einen großen Veränderungsbedarf, da wir die damit einhergehenden Kompetenz-Simulationen und das Skill-Skipping von Schülerinnen und Schülern beobachten.
Ausgangspunkt für mein Handbuch war ein Leitfaden der deutschen Kollegen Falck und Flick. Deren Ideen finde ich sehr spannend. Für den Standard habe ich versucht, sie darzustellen und zu besprechen. Schon da habe ich gemerkt: Eine fertige Lösung ist das noch nicht. Ich sehe aber die Notwendigkeit von Leitfäden für Lehrkräfte – das wird mir auch immer wieder in den Workshops klar, die ich für Lehrkräfte gebe. Deshalb möchte ich zu dem Thema KI-resistente Prüfungen eine Diskussion starten oder auch voranbringen. Die Veröffentlichung meines Handbuchs ist ein Teil davon.
Wird das Thema von offizieller Seite – also von Schulbehörden und Ministerien – nicht ausreichend adressiert? Gibt es Handlungsempfehlungen oder neue Leitlinien?
Es gibt zwar Leitlinien, aber die bleiben vage und verändern nicht Grundsätzliches. Nach meinem Kenntnisstand sieht das in Deutschland ähnlich aus. Es prallen quasi zwei Welten aufeinander. Wir haben einerseits durch KI eine technologische Revolution – das Wort Revolution finde ich hier sehr passend. Es kommen ständig neue Tools raus; die Geschwindigkeit ist wahnsinnig! Und das verändert die Gesellschaft – schnell! Und dem steht andererseits ein behäbiger, schwerer Dampfer namens Bildungspolitik gegenüber. Es ist in diesem Gefüge sehr schwierig, auf schnelle Veränderungen auch schnell zu reagieren.
Statt Unterricht und Prüfungen in Bezug auf KI-Tools neu zu denken, wird aus meiner Perspektive das Augenmerk derzeit eher darauf gelegt, wie das Schummeln mit KI besser verhindert werden kann. Wie kann man das enttarnen? Es ist also eher eine Abwehrhaltung als ein proaktiver Zugang, der sich die Mehrwerte anschaut und prozessbegleitende Lösungen entwickelt.
Sie haben unter anderem in einem Ihrer Blogbeiträge Stellung zu den Versuchen bezogen, mit KI gemachte Hausaufgaben zu enttarnen. Für Sie ist das vergebene Liebesmüh.
Ich verstehe zwar die erste Reaktion von Kolleginnen und Kollegen, genau herausfinden zu wollen, ob ein Kind eine KI für die Erledigung seiner Aufgaben genutzt hat, aber halte das für einen falschen Ansatz. Manche setzen dafür auf Enttarnungssoftware wie ZeroGPT ein, doch solche Tools liefern unsichere Ergebnisse und erzeugen regelmäßig False Positives, also Fälle, in denen menschlich verfasste Texte fälschlich als KI-generiert markiert werden.
Gleichzeitig bauen manche Schülerinnen und Schüler gezielt kleine Fehler oder Stilbrüche in ihre KI-Texte ein, um deren Herkunft zusätzlich zu verschleiern. Diesen Kampf zu führen, halte ich nicht für sinnvoll. Zudem halte ich dieses Wechselspiel zwischen Lehrkräften und Schülern auch für ein Symptom einer Prüfungskultur, die nicht mehr zeitgemäß ist.
Wie meinen Sie das?
Für mich ist der Abwehrkampf gegen KI-Tools in der Schule ein Symptom, wie wir Schule in den vergangenen Jahrzehnten gestaltet haben – wie wir Leistungen prüfen, welche Formate wir dafür einsetzen und wie unsere Bewertungsschemata aussehen. Was halten wir überhaupt für eine Leistung?
Für mich ist beispielsweise die Interaktion ein Hauptfokus – die Schüler-Lehrerbeziehung. Und das ist eine riesige Herausforderung, da ich circa 150 Schülerinnen und Schüler direkt unterrichte. Für mich beruht diese Beziehung auf Ehrlichkeit und sie ist idealerweise prozessorientiert. Das bildet sich aber nicht darin ab, wie wir in Schulen prüfen sollen. Die Leistungsnachweise sind auf einen bestimmten Punkt, in einem bestimmten Format zu erbringen – zumeist Klassenarbeiten. Alles, was darüber hinausgeht, lässt sich im Schulalltag schwieriger bewerten und in die bestehenden Abläufe integrieren – genau darauf müsste aber der Schwerpunkt liegen.
In Ihrem Handbuch schlagen Sie genau diesen Weg zum prozessorientierten Arbeiten und Prüfen vor. Sie wollen KI nicht ausschließen, sondern werben für eine Kultur der Einbeziehung und Transparenz. Einige Formate kommen weiterhin völlig ohne KI aus, andere erlauben KI explizit. Geprüft beziehungsweise bewertet wird dann, wie KI eingesetzt, reflektiert und dokumentiert wird. Das ist aber ein Prozess, der nicht mit einer Klassenarbeit im Rahmen von beispielsweise zwei Schulstunden abgeschlossen ist.
Ja, davon bewegt sich das weg. Von den vier Säulen, die ich in meinem Handbuch beschrieben habe – Mündlichkeit, Prozess, Kontext und Kollaboration – ist der Prozess die größte Veränderung. Die Mündlichkeit ist jetzt schon ein Teil von Prüfungskultur, sie gewinnt durch KI-Tools aber an Bedeutung. Sie wird in meinem Modell einer Verteidigung einer schriftlichen Arbeit wie im Studium ähnlicher und erfordert den Einbezug von KI nicht. "Kontext" bedeutet, dass der Einsatz von KI auch dadurch begrenzt werden kann, indem Schülerinnen und Schüler Aufgabenstellungen erhalten, die mehr auf ihre Lebensrealität, Biografie und konkreter Verortung eingeht – das sind Erfahrungsräume oder auch Bezugspunkte, die eine KI nicht einfach generieren kann. Kollaboratives Arbeiten ist Teil vom prozesshaftigen Arbeiten, aber in Gemeinschaft. Hierbei werden mehrere moderne Kompetenzen verlangt, auch der Einsatz von KI. Wie kollaboriere ich mit dieser?
Für Lehrkräfte wäre der Switch zum Prüfen von Arbeitsprozessen ein genauerer Blick auf individuelle Lernwege. Lehrkräfte werden mehr zu Begleitenden. Und Schülerinnen und Schüler zeigen, wie gut sie mit neuen Tools umgehen, wie gut sie Informationen einordnen und weiterverarbeiten können.
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Diese Form des prozessorientierten, transparenten Arbeitens ist eigentlich das, was jeher vom wissenschaftlichen Arbeiten erwartet wird. Themen werden eingegrenzt, Thesen aufgestellt, Vorannahmen deutlich gemacht, Quellen- und Tool-Verzeichnisse erstellt.
Ja, und damit ich als Lehrkraft nachvollziehen kann, wie die Schülerinnen und Schüler arbeiten, kann ich sogar selbst Tools nutzen, die direkt eine Dokumentation über Prompts und Quellen anlegen. Das prozessorientierte und KI-begleitende Schreiben mit Funktionen, wie sie Fellofish und Fobizz anbieten, geht zum Beispiel in diese Richtung.
Wenn die Arbeitsprozesse transparent gemacht und auch entlang des Wegs reflektiert werden, ist das Teil der Leistung – oder für mich als Lehrkraft auch die Möglichkeit, den Prozess zu verstehen und Verbesserungen zu besprechen.
Im Leitfaden des österreichischen Bildungsministeriums ist das so grob beschrieben, dass das nicht ausreicht. Es ist wichtig, nicht nur einen Prompt zu kennen, der geschrieben wurde, sondern wie dieser immer weiter angepasst wird. Mit der KI wird ein mehrstufiges Gespräch geführt, und das ist relevant für eine Leistungsbeurteilung, aber auch die Begleitung von Kompetenzentwicklung. Damit Kinder und Jugendliche souverän mit KI-Tools umgehen können, ist die genaue Auseinandersetzung erforderlich.