40 Jahre Amiga: Die Musik-Maschine fĂĽr den Schreibtisch

Erstmals konnte man am Computer eigene, echt klingende Songs erstellen – der Amiga machte es möglich. Zudem war er die Keimzelle der Tracker-Kultur.

vorlesen Druckansicht 192 Kommentare lesen
Lesezeit: 14 Min.
Inhaltsverzeichnis
close notice

This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Dieser Artikel bildet den Abschluss unserer dreiteiligen Serie ĂĽber 40 Jahre Amiga. Zuvor erschienen Artikel zur Geschichte und Architektur des Amiga sowie zum Amiga als Gaming-Maschine.

Der Commodore Amiga bot eine für die damalige Zeit leistungsfähige Sound-Hardware und durch die richtigen Programme war auch der Zugang zum Komponieren von eigenen Songs niedrigschwellig. Während der Atari ST sich mit seiner Midi-Schnittstelle als eine günstige Computerlösung fürs Musikstudio anbot, war der Amiga die Keimzelle vieler Musiker daheim. Und das rein über Bordmittel: Man brauchte nur das richtige Tool zum Komponieren. Wir werfen einen Blick auf die Tracker und wie sie bis heute die Musikszene beeinflussen.

Videos by heise

1985 war Musik am Computer – wie sie heute allgegenwärtig ist – völlig undenkbar. Leistungsfähige Kompressionen wie MP3 waren noch Zukunftsmusik und selbst deren Speicherbedarf war noch jenseitig des damals üblichen Speicherplatzes einer Diskette. Dennoch gab es eine Möglichkeit hochwertiger Tracks bei geringem Speicherverbrauchs: die Tracker-Module. Mit dem richtigen Programm hingen gute Musikstücke nur noch vom eigenen Können ab. Gespeichert als sogenannte "MODs" ermöglichten die Musikstücke eine hochwertige Musik einerseits und geringen Speicherbedarf andererseits. Der typische Sound der Mods, wie "Modules", ist bis heute beliebt und beeinflusste auch die Demoszene maßgeblich. Auf dem Amiga hatten die Tracker ihr Debut.

Als Teil der Custom-Chips war am Amiga Paula für die Soundausgabe zuständig. Er bot vier Tonkanäle, die jeweils Samples in 8-Bit-Auflösung und in 28 Kilohertz ausgeben konnten. Das war nicht wirklich CD-Qualität, aber mehr als die meiste Computer-Konkurrenz bieten konnte. Und zum Vergleich: Nur ein paar Jahre zuvor musste man für den digitalen Synthesizer Fairlight CMI II mit einer ähnlichen Sampling-Leistung noch 25.000 US-Dollar hinlegen.

Der Paula-Chip (MOS Technology 8364 R4) im Detail.

(Bild: CC BY-SA 4.0, Seanriddle)

Im Gespräch mit dem Autor äußerte Amiga-Soundguru Chris Hülsbeck zur Relevanz des Paula-Chips einmal sinngemäß, dass der SID-Chip des C64 zwar immer einen großen Platz in seinem Herzen habe, aber sich mit dem Amiga-Chip ganz neue kreative Möglichkeiten boten. Hülsbeck programmierte auf dem Amiga sein eigenes Musikprogramm namens TFMX, mit dem auch die legendären Turrican-Soundtracks entstanden. Den Durchbruch des Tracker-Standards schuf allerdings der Programmierer Karsten Obarski, wenn auch nicht ganz freiwillig.

Obarski steuerte im Jahr 1987 für den Breakout-Klon Amegas die Musik bei. Dazu schrieb er ein eigenes Trackerprogramm, bei dem er sich an ähnlichen Konzepten wie etwa Chris Hülsbecks "Soundmonitor" auf dem C64 orientierte.

Der große Vorteil von Tracker-Songs war, dass man nur einzelne kurze Samples benötigte, die man in zeitlich rasterte und in der Tonhöhe variierte. Die legte man in Patterns, für jeden Tonkanal einen, und konnte damit unter wenig Aufwand und Speicherplatzbedarf hochwertige Songs erstellen. Daraus entstand "The Ultimate Soundtracker." In vier Pattern oder virtuellen Tonspuren namens "Melody," "Accompany," "Bass," and "Percussions," konnte man die einzelnen Samples hinzufügen und über viele Parameter bearbeiten. Die Namen der Tracks waren nur Platzhalter, man konnte dort verwenden, was man wollte. Damit schuf man ohne viel Musik- oder Programmierwissen eigene Songs, die zudem problemlos in Demos oder Spielen eingebunden werden konnten. Der Trick für wenig Speicherplatz auf Diskette und im Hauptspeicher: Die Noten benötigen kaum Raum, und jedes Sample wird nur einmal gespeichert.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmung wird hier ein externes YouTube-Video (Google Ireland Limited) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Google Ireland Limited) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Der Soundtracker wurde allerdings kein kommerzieller Erfolg: Zum einen war das Programm nicht fehlerfrei und zunächst gewöhnungsbedürftig – die Fachpresse bevorzugte lieber Programme wie "Aegis Sonix" oder das "Deluxe Music Construction Set", die aber ein Grundwissen über Noten voraussetzten. Zum anderen sprach sich in der Szene das neue revolutionäre Konzept schnell herum. Demogruppen bauten durch Reverse Engineering den Ultimate Soundtracker nach, verbesserten ihn und brachten ihn unter eigenem Namen neu heraus. Dadurch entstanden Programme wie Protracker, Noisetracker, Startracker und viele weitere Varianten, die zumeist gratis verteilt wurden – ohne dabei den ursprünglichen Erfinder Karsten Obarski zu erwähnen.

Damit fing alles an: Der Ulitmate Sound Tracker, programmiert und 1987 veröffentlicht von Karsten Obarski.

(Bild: CC BY-SA 4.0, Javier Perez Montes)

Die Samples erhielt man ĂĽber mit den Trackern verteilte Disketten, die mit ST-01, ST-02 und so weiter nummeriert waren. Darin befanden sich digitalisierte Samples verschiedener Musikinstrumente. Mit der entsprechenden Zusatzhardware konnte man sie sich auch selbst digitalisieren, oder man fand sie im Speicher oder in den Spieldateien.

Das fĂĽhrte dazu, dass das MOD-Format sich mit der Zeit zum Standard sowohl in der Spieleindustrie als auch in der Demoszene entwickelte. Das MOD-Format war so einfach aufgebaut und flexibel, dass es auch auf dem PC zum Einsatz kam. FĂĽr Demos wurden PCs Anfang der 1990er-Jahre durch bessere Grafik- und Soundkarten immer interessanter.

MODs lassen sich nicht nur von Anfang bis Ende abspielen, sondern auch in Schleifen, welche das Programm immer wieder ändern kann. Das ist ideal, um den Ton der Darstellung auf dem Bildschirm anzupassen. Ein besonders gutes Beispiel ist die Demo "Second Reality" der Future Crew, die 1993 für Staunen sorgte: Das sah aus, wie gute Megademos auf dem Amiga, und klang auch so. Dahinter steckt ein weiterentwickeltes Tracker-Format (S3M) des Programms Scream Tracker, das Future Crew ebenfalls entwickelt hatte.