Zahlen, bitte! Solomon W. Golomb und eine Oktillion IT-Systeme
Der Mathematiker Solomon W. Golomb schuf mit seiner Arbeit zu linear rückgekoppelten Schieberegistern die Basis, mit der heute unzählige IT-Systeme arbeiten.
Was ist der meistgenutzte Algorithmus, den Computer, Smartphones, die Dinge im Internet der Dinge und viele andere Geräte verwenden? Diese Frage stellte sich der Informatiker und Physiker Stephen Wolfram im Jahre 2016. Er tat dies nicht in einem seiner vielen Bücher, die er regelmäßig veröffentlicht, sondern in einer Art Nachruf auf einen Freund, den Mathematiker Solomon Wolf Golomb.
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Nach seinem Studium hatte Golomb im Juli 1955 eine Arbeit über linear rückgekoppelte Schieberegister (englisch: LFSR) veröffentlicht, jene nützlichen Schaltungen, mit denen Pseudozufallszahlenfolgen erzeugt werden können. Wolfram berechnete, wie häufig solche LFSR in Computer, in der Kommunikation mittels RFID, WiFi, Bluetooth oder im GPS-Verfahren eingesetzt werden und kam auf die beachtliche Zahl von einer Oktillion – oder 1048. Seit dem Tode von Golomb dürften inzwischen weitere Zillionen hinzugekommen sein.
Zunächst Forschung an sicherer Satellitenkommunikation
Mit seiner Überschlagsrechnung wollte Stephen Wolfram darauf aufmerksam machen, dass die "reine" Mathematik, mit der sich Sol Golomb in den 50er Jahren in Harvard beschäftigte, sehr wohl praktische Nutzen hat. Golomb arbeitete bereits als fortgeschrittener Student in den Semesterferien bei der Martin Company, die Weltraumraketen für das Projekt Vanguard entwickelte. In diesem Rahmen tauchte die Frage, wie eine Kommunikation mit der Rakete und später mit den transportierten Satelliten abgesichert werden kann.
1955 veröffentlichte Colomb den Bericht "Sequences with Randomness Properties", den Wolfram als Gründungsdokument der Theorien zu rückgekoppelten Schieberegistern bezeichnet. Als nach dem Sputnik-Schock im Jahre 1957 sich ein Jahr später der US-Satellit Explorer 1 aus dem All meldete, war dies auch ein Triumph für Sol Golomb. Er war damals als Wissenschaftler bei dem Jet Propulsion Laboratory (JPL) als Mathematiker angestellt und kümmerte sich um die sichere Kommunikation.
(Bild:Â National Science Foundation)
Nach der erfolgreichen Satellitenmission wurde er am JPL Leiter einer neuen Abteilung, der Information Processing Group. Er leitete und berechnete das radioastronomische Venus-Experiment, mit dem am JPL die Entfernung zwischen der Erde und unserer nächsten Nachbarin genauer bestimmt wurde. Das JPL hatte in der Mojave-Wüste Antennen zur Weltraumbeobachtung installiert, deren Anordnung Golomb mithilfe seines Golomb-Lineals berechnet hatte.
Launige Ăśberlegungen zu Kontakt mit AuĂźerirdischen
Nebenher machte sich Golomb Gedanken darüber, was passiert, wenn die Menschheit in Kontakt mit anderen Lebensformen tritt. Der fließend neun Sprachen (darunter chinesisch und japanisch) sprechende Wissenschaftler veröffentlichte seine Ideen unter dem Titel "Extraterrestrial Linguistics" und spöttelte, dass die US-Regierung sicher eine Cosmic Intelligence Agency (CIA) aufbauen werde, um die Außerirdischen zu beobachten. Er schrieb: "Um der Menschheit zu dienen, müssen wir uns bemühen, herauszufinden, ob sie uns gebacken oder gebraten serviert haben möchten." ("'to serve mankind', we must endeavor to ascertain whether they wish to serve us baked or fried.")
1967 erschien die erste Ausgabe seines Werkes Shift Register Sequences. Zu diesem Zeitpunkt war Sol Golomb wieder an die Universität zurückgekehrt und zwar an die Universität von Südkalifornien (USC), mit der er zeit seines Lebens eng verbunden blieb. Mit seinem Freund Edwyn Berlekamp gründete er zwar die Firma Cyclotomics, die der NASA Kommunikationsprogramme zulieferte, doch war er nicht an wirtschaftlichen Unternehmungen interessiert.
Das gilt auch für die von ihm mitgegründete Linkabit Company, aus der etwas später Qualcomm entstehen sollte. Als die schwedische Firma Ericsson Mitte der 90er Jahre Qualcomm mit einer Serie von Patentklagen überzog und eine Vielzahl von schwedischen Dokumenten einreichte, war es Sol Golomb derjenige, der als Sachverständiger erreichte, dass Ericsson einlenken musste: Er hatte 1955 die Schwedin Bodil Rygaard geheiratet und sprach natürlich schwedisch und norwegisch -- und war ganz nebenbei ein Experte für die Interpretation von Runenzeichen.
An der USC lebte und engagierte sich Sol Golomb von 1963 bis 2016 auf vielfältige Weise. Mit seinem Aufsatz Forty Years After Sputnik machte er sich um die Wissenschaftler lustig, die die "eine" Mathematik von der angewandten Mathematik trennen wollten. International war es ihm als gläubigen Juden, der regelmäßig die Tora in der Synagoge las, vor allem um den Austausch mit Wissenschaftlern aus Israel gegangen, wie es die Zusammenarbeit mit seinen Schülern Abraham Lempel und Jacob Ziv zeigte.
Zeit seines Lebens war Golomb ein groĂźer Fan von Brettspielen und Puzzles aller Art. Mit seinen Untersuchungen zu Tetraminos und Pentaminos gilt er mitunter als Erfinder von Tetris, doch das ist wiederum eine eigene Geschichte fĂĽr sich.
(mawi)