Piratenpartei auf der Gratwanderung zwischen Transparenz und Datenschutz

Der Bundesvorstand der Partei hat am Donnerstagabend gegen den Start einer Plattform gestimmt, bei der nach Art eines Sozialen Netzwerks die Willensbildung online neu organisiert werden sollte.

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Von
  • Torsten Kleinz

Der Bundesvorstand der Piratenpartei hat am Donnerstagabend über die Einführung der Plattform LiquidFeedback abgestimmt, die die parteiinterne Demokratie revolutionieren sollte – und zog dabei die Notbremse. Die mit der Umsetzung beauftragten Administratoren werden ausgetauscht, ein Mitglied des Bundesvorstandes trat zurück.

"Die Medien hatten durch Vorschusslorbeeren zwar einigen Druck aufgebaut, doch wir als Parteivorstand haben uns dennoch gegen den aus unserer Sicht noch verfrühten Start der Software entschieden" erklärte Bundesvorstands-Mitglied Wolfgang Dudda in einer offiziellen Mitteilung. "Nur wenn LiquidFeedback mit ausreichend großer Akzeptanz unserer Mitglieder eingeführt werden kann, wird es den erwünschten Erfolg und die direkte Demokratie bei den Piraten bringen." Starten soll das Projekt erst nach "Feinabstimmungen", die ungefähr zwei bis drei Wochen dauern sollen. In dieser Zeit sollen die Nutzungsbedingungen überarbeitet werden, um die Nutzerdaten besser zu schützen.

Vorangegangen war erbitterter Streit unter den Piraten. Vorstandsmitglied Benjamin Stöcker war bereits vor der Sitzung zurückgetreten. In einer persönlichen Erklärung kritisierte er die Gruppe, die mit der Umsetzung des LiquidFeedback-Systems beauftragt war: "Dieses Team hat den Bundesvorstand mehrfach als Abnickhanseln ihrer Wünsche behandelt." Parteivorsitzender Jens Seipenbusch erklärte gegenüber heise online: "Einige der beauftragten Admins haben sich in der Diskussion sehr negativ und spaltend eingebracht, so dass viel Vertrauen verloren gegangen ist, was wiederum die notwendige Akzeptanz des Systems bei vielen Mitgliedern zerstört hat."

Die Einführung des LiquidFeedback-Systems war auf dem Bundesparteitag im Mai mit breiter Mehrheit beschlossen worden. Die Plattform sollte als konstruktiver Diskussionsraum einen Kontrast zu den teilweise destruktiven Auseinandersetzungen auf den Mailinglisten der Partei bilden. Ein weiterer Aspekt war die Mobilisierung der Parteimitglieder. Nach einer anfänglichen Mitgliedsschwemme haben sich nämlich viele Piraten aus der aktiven Arbeit zurückgezogen.

Doch wie genau die Plattform genutzt werden sollte, war vielen Mitgliedern trotz positiver Erfahrungen in Landesverbänden nicht klar. Die direktdemokratische Evolution geriet zur Gratwanderung zwischen zwei zentralen Forderungen der Piratenpartei: Transparenz und Datenschutz. So beklagte der Datenschutzbeauftragte der Bundespartei, dass das System den datenschutzrechtlichen Anforderungen in Deutschland nicht genüge. Aus den Diskussionen entwickelte sich recht bald ein Grundsatzstreit um die Frage, ob das Abstimmungsverhalten einfacher Partei-Mitglieder dauerhaft dokumentiert werden soll. Zwischenzeitlich stoppte das Bundesschiedsgericht der Partei die Umsetzung des Projekts mit einer Einstweiligen Verfügung, die aber bald darauf wieder aufgehoben wurde.

Parteimitglied Jan Behrens bewertet die Vorkommnisse anders als der Parteivorstand. Entwickler und Administratoren hätten die Software für den überfälligen Start vorbereitet und den Vorstand rechtzeitig informiert, unter welchen Bedingungen dieser ablaufen könne: "Da unseren Informationen nach Jens Seipenbusch keine konkreten Umlaufbeschlüsse zur Änderung von Nutzungsbedingungen oder Betriebsparametern angestoßen hatte, gingen wir davon aus, wie geplant am 5. August 2010 online gehen zu können." Erst kurzfristig habe Beisitzer Stöcker Bedingungen eingebracht, die aus der Sicht von Behrens "inakzeptabel" seien.

Streitpunkt ist zum Beispiel die Frage, ob die Mitgliedsdaten in LiquidFeedback nach der Durchführung des nächsten Bundesparteitags gelöscht werden sollen: "Für verlässliche Abstimmungen ist LiquidFeedback also nach dem Parteitag nicht mehr zu gebrauchen. Selbst der Parteitag wird daran nichts ändern können", kritisiert Behrens. Zudem sei die Erfassung der Zahlungseingänge von Mitgliedern in einem "desolaten Zustand", was die Beschränkung des Systems auf stimmberechtigte Mitglieder erschwere. (anw)