Google und Verizon für Netzneutralität - mit einigen Hintertüren

Der Suchmaschinenkonzern und der US-Telekommunikationsanbieter wollen die Netzneutralität im herkömmlichen Internet stärken, zugleich aber den Weg für unregulierte Zusatzdienste öffnen und auch das mobile Netz außen vor lassen.

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Von
  • Jürgen Kuri

Google und Verizon haben am gestrigen Montagabend ihren Vorschlag (PDF-Datei) für ein gesetzliches Rahmenwerk zur Netzneutralität vorgelegt, über den es vergangene Woche bereits heftige Spekulationen gab. Der Suchmaschinenkonzern und der US-Telekommunikationsanbieter wollen demnach das Prinzip der Offenheit im herkömmlichen Internet stärken, zugleich aber den Weg für unregulierte Zusatzdienste öffnen und auch den Betreibern des mobilen Netzes weitgehend freie Hand lassen. Vor dem vielfach befürchteten Zwei-Klassen-Netz und Mautstellen im Datenraum bietet der Vorstoß trotz aller Versicherungen von Google-Chef Eric Schmidt, "das öffentliche Internet zu lieben", also keine Sicherheit.

Es sei nicht einfach gewesen, einen Kompromiss bei dem heftig umkämpften Thema zu finden, schreiben die für die öffentlichen Beziehungen der beiden Internetgrößen zuständigen Manager, Alan Davidson von Google und Verizon-Vertreter Tom Tauke, nach rund zehnmonatigen Verhandlungen in einem Blogeintrag zur Erläuterung. Das beidseitige Interesse an einem gesunden und starken Internet, das weiter als Innovationslabor dienen könne, habe die Gespräche aber vorangetrieben. Nun liege der Ball beim US-Kongress und bei der nationalen Regulierungsbehörde, der Federal Communications Commission (FCC). Letztere sucht selbst nach einem "dritten Weg" zur Aufrechterhaltung des offenen Internets und hat dabei einen nicht-öffentlichen Dialog mit Netzbetreibern gerade abgebrochen.

Der Entwurf für eine Art Netzneutralität 2.0 will die Sanktionsmacht der FCC über das traditionelle Internet anerkennen, nachdem diese ein Urteil in einem Rechtsstreit der Verwaltungsorganisation mit dem US-Kabelnetzbetreiber Comcast in Frage gestellt hat. Darüber hinaus sollen für das gute alte Netz die zwei zusätzlichen Neutralitätsprinzipien gelten, die die Regulierungsbehörde im vergangenen Herbst ins Spiel brachte. Demnach müssten Breitbandanbieter Inhalte oder Anwendungen ohne Unterscheidung nach verwendeten Protokollen oder Diensttypen oder nach Herkunft und Ziel durch ihre Netze leiten. Provider dürften so "rechtmäßigen Verkehr" (wie ausdrücklich betont wird) nicht blockieren oder herabstufen. Ferner sei ein Transparenz-Prinzip zu verankern. Sollten Zugangsanbieter Techniken für ein "vernünftiges Netzwerkmanagement" etwa zur Gewährleistung einer speziellen Servicequalität oder zum Verhindern von Staus auf der Datenautobahn einsetzen, müssten sie ihre Kunden detailliert darüber in Kenntnis setzen.

Für den Mobilfunkbereich, in dem Google und Verizon etwa mit dem Droid-Smartphone kooperieren, ist nur die Transparenz-Verpflichtung vorgesehen. Weitere Anforderungen für ein offenes Netz sollen dort nicht gelten, weil der drahtlose Marktplatz wettbewerbsstärker sei und sich rascher wandle. Darüber hinaus sollen Breitbandanbieter "Zusatzdienste" anbieten dürfen, bei denen die Netzneutralitätsprinzipien keine Gültigkeit hätten. Als Beispiele nennen Davidson und Tauke Angebote aus den Sektoren Unterhaltung, Telemedizin oder E-Learning. Diese müssten klar von bisherigen Breitband-Leistungen unterscheidbar sein. Die FCC solle zudem darauf achten, dass "bedeutsame" Breitbanddienste auch übers normale Netz Internet weiter verfügbar seien.

Verbraucherschützer und Bürgerrechtler beäugen die Initiative kritisch, während eine Sprecherin des Telco-Riesen AT&T vorsichtig Zustimmung signalisierte. Die "Privatabsprache zwischen zwei Internetgiganten aus dem Unternehmensbereich" stelle die Zukunft des mobilen Internet als zentrale Plattform für alle US-Amerikaner aufs Spiel, rügt etwa die Vereinigung Public Knowledge. Ein Breitbandanbieter könne zudem 90 Prozent seiner Ressourcen neuen, mit Priorität behandelten Diensten widmen und nur noch zehn Prozent für das allgemeine Netz.

Auch die Organisation Free Press, die sich seit Jahren für das offene Internet stark macht, sieht dieses mit dem Rahmenwerk auf dem Weg in eine geschlossene Plattform wie das Kabelfernsehen. Sollte es beim Gesetzgeber auf Gegenliebe stoßen, würde es zu Mauthäusern auf dem Daten-Highway führen. Zudem könnten Applikationen und Inhalte im drahtlosen Internet beliebig blockiert werden und den Netzbetreibern so eine große Selektionsmacht an die Hand geben. Zugleich sei das Internet dann keine Plattform mehr für Innovationen, die von kleinen Firmen vorangetrieben werde. Vielmehr werde die Marktmacht dominanter Akteure wie Google zementiert. Für einen Blogger der "Huffington Post" ist der Suchmaschinenkonzern gar endgültig dabei, "böse" zu werden. (jk)