Forscher warnt vor "Googlesierung" der Ausbildung

Ohne eine "kopernikanische Wende" im Umgang mit dem Wissen droht dem Informationswissenschaftler Rainer Kuhlen zufolge eine wachsende Kluft zwischen kaufkräftigen und von der Wirtschaft abgeschriebenen Bildungsbürgern.

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Ohne eine "kopernikanische Wende" im Umgang mit dem Wissen entsteht eine wachsende Kluft zwischen kaufkräftigen und von der Wirtschaft bereits abgeschriebenen Bildungsbürgern. Dies führte der Konstanzer Informationswissenschaftler Rainer Kuhlen bei der Eröffnung der Konferenz "Open Innovation!" der Heinrich-Böll-Stiftung aus. "Es droht Googlesierung der Ausbildung", brachte Kuhlen seine Sorgen auf den Punkt. Studierende seien in diesem Fall weitgehend auf die Suchergebnisse der bislang gebührenfreien Suchmaschinen angewiesen, während ihnen der Zugang zur höherwertigen wissenschaftlicher Literatur aus Kostengründen verwehrt wird. Konkret wandte sich der Forscher damit beispielsweise gegen die Kommerzialisierungsbestrebungen von digitalen Fachpublikationen durch die Lobby der führenden technischen Wissenschaftsverlage und brach eine Lanze für deutlich kostengünstigere Versanddienste, wie sie etwa Bibliotheken mit ihrem Subito-Angebot aufbauen.

Der gegenwärtige Streit um die Versorgung der Wissenschaft und der Bürger mit Fachinformationen ist für Kuhlen nur ein Beispiel für die schädlichen Auswirkungen, die Monopole seiner Ansicht nach auf die Innovation haben. Für ihn ist die fortschreitende "Intensivierung" der Rechte an geistigem Eigentum im Bereich Urheber- und Patentrecht eine der entscheidenden Barrieren für ein verstärktes kollaboratives Wissensmanagement, das der Forscher wiederum als Voraussetzung von Innovation ansieht. Kuhlen fordert daher ein Umdenken: Nicht mehr die immer kostspieliger werdende Sicherung von Information könne als Voraussetzung für Erfindungen angesetzt werden, sondern der freie Austausch von Informationen und Wissen. In diesem Zusammenhang würden die "Napsterisier" durchaus als "Vorbild für Innovatoren" dienen.

Ein erstes Umdenken hin zu diesem Modell offener Innovation sieht Kuhlen etwa in den Schriften Henry Chesbroughs zu "Open Innovation". Der an der Berkeley-Universität lehrende Wissenschaftler habe gezeigt, dass Hochtechnologiefirmen wie Cisco nur noch einen relativ geringen Anteil Grundlagenforschung haben. Stattdessen würden sie mehr Ideen von außen über eingekaufte Professoren oder Studenten importieren und ihre Unternehmensgrenzen insgesamt offen halten, um Innovationen für ihren Markt zu kreieren. Auch im Marketing gebe es unter dem Stichwort "Mass Customization" verschiedene Ansätze, das Wissen und Wollen der Kunden stärker zu berücksichtigen für Produktinnovationen wie im Fall Adidas. Aber diese Beispiele seien noch am klassischen Verwertungs- und Innovationsmodell orientiert. Für Kuhlen ist daher auch der Staat gefordert, akzeptable Benutzungsbedingungen für Wissen und Informationsinfrastrukturen zu schaffen. Dass sein offenes Innovationsmodell an den Open-Access-Bestrebungen aus dem Wissenschaftsbereich inspiriert ist, verheimlicht der Informationswissenschaftler nicht. Aber es könne nicht schaden, es beispielsweise auf die Wirtschaft zu übertragen. Dort könnten die meisten Künstler generell nicht von ihren Einkommen über ihre kreativen Werke leben, während das System gleichzeitig auf die "Überkompensation" der Verwerter und das hohe Einkommen einiger Spitzenstars setze.

Damit lieferte Kuhlen das Stichwort für Franz-Josef Radermacher, Gründer des Forschungsinstitutes für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung) an der Universität Ulm. Er richtete den Blick auf allgemeine Verteilungsfragen in der Weltwirtschaft: "Bei 20 Prozent der Menschen landen generell 80 Prozent des Kuchens", erklärt der Wissenschaftler. Und die Reichen an der Spitze würden alles daran setzen, ihre Position von der Mehrheit abzuschotten. Als Beispiel nannte Radermacher unter anderem den Kampf von Bill Gates gegen das freie Betriebssystem Linux. Ein immer wichtiger werdendes -- weil noch nicht von der Allgemeinheit verstandenes -- Mittel zur Sicherung der Verhältnisse sind ihm zufolge die intellektuellen Eigentumsrechte. Am Beispiel von Patenten führte Radermacher aus: "Sie haben eine einzige Hauptfunktion bei großen Firmen, nämlich die, vorhandenen Portfolios mit den anderen Haupt-Akteuren zu tauschen. Es geht darum, eine Hürde aufzubauen und einen Bereich zu schaffen, wo Dritte nie hinkönnen." (Stefan Krempl) / (jk)