Zahlen, bitte! 74 Minuten – Die krumme Abspieldauer der Audio-CD
Geschichten ranken sich um die 74-Minuten-Abspieldauer der CD: offiziell um van Beethovens 9. Symphonie komplett abzuspielen ist der wahre Grund wohl profaner.
Die Compact Disc (CD) beziehungsweise Compact Disc Digital Audio (CD-DA) – als offizieller, aber wenig gebräuchlicher Name – kam am 17. August 1982 auf den Markt: in einem nur 12 Zentimeter großem Tonträger ließen sich fortan bis zu 74 Minuten Musik speichern in einer bis dahin nie gehörten Qualität – auch wenn manche Audio-Enthusiasten sich schwer für den CD-Klang begeistern konnten. Erst die Kooperation von Philips und Sony ermöglichte die CD, wie wir sie heute kennen. Bei aller Zusammenarbeit war es aber auch ein Zweikampf, bis zur Festlegung der Abspiellänge.
1972 begann Lou Ottens, Erfinder der Musikkassette als Chef im NatLab (Natuurkundig Laboratorium) – das wissenschaftliche Forschungslaboratorium des Eindhovener Philips-Konzerns – ein Projekt mit dem Namen Audio Long Play (ALP), was als Audio-Zusatz zu einer Videodisc mit dem Namen Video Long Play (VLP) ihren Entwicklungs-Anfang nahm.
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Videoplayer als Technikflop
Der Videodiscplayer erschien 1975, wurde aber ein grandioser Flop: Kees A. Schouhamer Immink, als Entwickler bei Philips an den Projekten beteiligt, beschrieb in einem Jubiläumstext [PDF], dass der erste Versuch grandios floppte, und von etwa 400 Abspielgeräten die Hälfte zurückgegeben wurden, weil die Käufer dem Irrglauben aufsaßen, dass es auch Programme aufzeichnen könne.
Zwar floppte das System, erst recht als die ersten Videorekorder auf den Markt kamen, aber die Ingenieure sammelten auch einige Erfahrungen in der CD-Technologie. Im November 1977 bekam Ottens grünes Licht für ALP den Status als eigene Produktentwicklung, die nicht mehr im Schatten des VLP entstand.
Eine Scheibe, nicht größer als die Diagonale einer Compact Cassette sollte Musik in hoher Qualität bei gleichzeitig guter Robustheit speichern. Die Idee des analogen Speicherns wurde verworfen, weil sie kaum Vorteile gegen die herkömmlichen Langspielplatten bot. Schwierigkeiten machte Philips die Fehlerkorrektur: Durch mikroskopische Fehler traten Störgeräusche auf wie etwa ein Knacken, was ähnlich dem einer Langspielplatte klang. Das wollte man unbedingt vermeiden.
Suche nach einem Kooperationspartner
Da Philips klar war, dass ein neues Format Weltstandard werden muss, um angesichts vieler Konkurrenzformate Erfolg zu haben, suchte man nach Kooperationspartnern. Mit einem Demonstrationsgerät namens "Pinkeltje" (nach einer niederländischen Märchenfigur benannt) ging Philips auf die Suche nach einem Partner.
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Konosuke Matsushita, Gründer und Seniorchef von Matsushita Electric Industrial Co. (MEI), die unter dem Label JVC selbst an CD-Technik entwickelten, war zu Gast bei einer Vorführung und Ottens war verblüfft über die für einen Japaner sehr emotionale Reaktion: "Er nahm das grüne Tuch von der kleinen Maschine und holte die Scheibe heraus, und der alte Matsushita sagte: ‚Tssssss ssssss!!! ‘. Für einen Japaner ist das das absolute Maximum {...] an Emotionen, das es gibt... Ich sehe ihn noch immer vor mir, wie er das macht. Ich habe noch nie zuvor gesehen, dass ein Japaner... Sie waren völlig sprachlos!“
Sony als erneuter Kooperationspartner
Eine Kooperation kam zwar nicht zustande, aber Ottens ahnte, dass sie mit ihrem Konzept auf dem richtigen Weg waren. Ihnen war klar, dass sie mit einem Partner ihre Exklusivität aufgaben, aber bessere Chancen gegen die Mitbewerber hatten. Somit erhielt Norio Ōga, damals Vize-Präsident von Sony, ein Telex von Ottens: "Wenn Sie nach Europa kommen, besuchen Sie uns bitte."
Aus dem Treffen erwuchs ab 1979 eine erneute Partnerschaft mit Sony. Beide Konzerne kannten sich von der gemeinsamen Vermarktung der Kompaktkassette, die sie zum Welterfolg führten. Das wollten Sony und Philips mit der CD erneut schaffen. In mehreren Treffen in Tokyo und Eindhoven wurden gemeinsam die Spezifikationen beschlossen. Neben den anderen Parametern wie Codierung und Samplingrate war der Durchmesser der CD ein wichtiges Thema, bei dem die Größe die Abspieldauer beeinflusste.
Philips wollte 11,5 Zentimeter und 60 Minuten Abspieldauer. Das sei schließlich die Diagonale der Compact Cassette, sowie eine ihrer Standard-Spieldauern, außerdem wäre es DIN-gerecht. Sony wollte aber mehr: Sie wollten 12 Zentimeter und damit 74 Minuten Abspielzeit.
D. Das Artwork der CD wird im Siebdruckverfahren auf die Oberseite der Scheibe aufgebracht.
C. Die Lackschicht soll vor Oxidation schützen
B. Die Reflexionsschicht wirft den Laserstrahl zurück.
A. Die Polycarbonat-Scheibenschicht enthält die Daten, die mithilfe von Lands und Pits kodiert sind.
E. Ein Laserstrahl tastet die Polycarbonat-Scheibe ab, wird zurück reflektiert und vom Player gelesen.
(Bild: CC BY-SA 3.0, Pbroks13)
Laut Sony soll Norio Ōga als ausgebildeter Musiker das Argument geäußert haben: "So wie ein Vorhang nie auf halbem Weg durch eine Oper abgesenkt wird, sollte eine Scheibe groß genug sein, um die gesamte neunte Symphonie Beethovens zu enthalten." Als Maßstab dafür wurde eine langsamere Version von Beethovens 9. Symphonie gewählt, die 1951 während der Bayreuther Festspiele und unter der Leitung von Wilhelm Furtwängler aufgenommen wurde.
Der wahre Grund, warum die Spieldauer von Sony so vehement auf 74 Minuten erweitert wurde, war aber wohl eher praktischer Natur. Sony und Philips waren eben nicht nur Partner, sondern auch Konkurrenten. Während PolyGram, eine Philips-Tochter in Langenhagen bei Hannover bereits hochmoderne Fertigungsanlagen für CDs bereitstehen hatte, die bei den Scheiben mit 115 mm Durchmesser sofort mit der Produktion hätte starten konnte, hätte Sony die Produktionsstätten für den Markteintritt erst noch aufbauen müssen.
Mit der musikalisch begründeten, aber wohl eher marktorientierten Entscheidung gewann Sony schließlich Zeit, eigene Kapazitäten aufzubauen. Erst am 17. August 1982 begann in Langenhagen die Produktion der ABBA-CD "The Visitors". Von hier nahm der Siegeszug der Compact Disc seinen Anfang, der erst etwa 30 Jahre später mit Aufkommen der Online-Streams und Musik-Downloads dessen Ende auf Raten finden sollte.
(mawi)