Kabinett beschließt Gesetzesentwurf zum Großen Lauschangriff

"Berufsgeheimnisträger" sollen von der akustischen Wohnraumüberwachung ausgenommen sein. Es bleiben noch Knackpunkte bei der Umsetzung des Verfassungsgerichturteils; ein erster Bericht gibt Auskunft über die bisherigen Überwachungsmaßnahmen.

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Die Bundesregierung hat sich in ihrer Kabinettssitzung am heutigen Mittwoch auf den vom Bundesjustizministerium vorgelegten Entwurf (PDF-Datei) zur Neuregelung des Großen Lauschangriffs geeinigt. Demnach soll das Abhören von Gesprächen mit Berufsgeheimnisträgern wie Rechtsanwälten, Notaren, Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern, Ärzten, Abgeordnete oder Medienmitarbeitern unzulässig sein. Vor allem um diesen Punkt hatte sich nach der Vorlage des Referentenentwurfs zur Reform der "akustischen Wohnraumüberwachung" im Juli ein heftiger Streit entwickelt. Justizministerin Brigitte Zypries ruderte rasch zurück und versprach umfassende Änderungen, die in den jetzt vorgelegten Kabinettsentwurf Eingang gefunden haben.

Die Überarbeitung der umstrittenen Ermittlungsmaßnahme erforderlich gemacht hat ein Grundsatzurteil aus Karlsruhe. Es hat den Großen Lauschangriff zwar nicht prinzipiell, aber dennoch in weiten Teilen für verfassungswidrig erklärt. Dementsprechend dürfen Ermittler die Wanzen bei vertraulichen Gespräche zwischen sich nahestehenden Personen, die keinen Bezug zu Straftaten aufweisen, nicht anschalten. Die akustische Wohnraumüberwachung soll nur noch angeordnet werden dürfen, wenn auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass keine Äußerungen aus der absolut geschützten Privatsphäre erfasst werden. Das Bundesjustizministerium geht daher davon aus, dass künftig "beim Abhören von Gesprächen in Privatwohnungen deshalb in der Regel live mitgehört werden muss". Nur so könne der Lauschangriff unverzüglich unterbrochen werden, sobald die Kommunikationspartner auf Persönliches zu sprechen kommen. Werden im Einzelfall solche Konversationen dennoch versehentlich erfasst, so sind die Aufzeichnungen gemäß dem Gesetzesentwurf zu löschen. Die erlangten Informationen sollen in keiner Weise verwertet werden dürfen.

Mit diesen einschneidenden neuen Schwellen für die Lauscher hofft Zypries, das Gebot des Bundesverfassungsgerichts zum absoluten Schutz des "Kernbereichs privater Lebensgestaltung" umzusetzen. Dem Einzelnen soll das Recht, "in Ruhe gelassen zu werden", gemäß Karlsruhe gerade in seinen Wohnräumen als "letztem Refugium" gesichert werden. In der Praxis dürfte der Große Lauschangriff aber auf Grund der erhöhten Anforderungen in vielen Fällen gar nicht mehr machbar sein, sorgen sich Vertreter der Ermittler. Datenschützer haben daher konsequenterweise die vollständige Abschaffung des Großen Lauschangriffs gefordert.

Diesen Schritt will die Justizministerin aber nicht vollziehen. "Die akustische Wohnraumüberwachung ist ein unverzichtbares Mittel zur Bekämpfung von organisierter und terroristischer Kriminalität", glaubt die SPD-Politikerin. Gerade in der Bekämpfung der konspirativen Täterstrukturen im Bereich des Drogenhandels habe sich das Instrument bewährt. In dem Entwurf, der mitsamt Begründung knapp 50 Seiten umfasst, heißt es weiter: Angesichts eines "wachsenden Raums der Freizügigkeit in Europa und der damit auch einhergehenden Schwierigkeiten bei der Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität sowie angesichts einer ernst zu nehmenden auch internationalen Bedrohung durch Straftaten mit terroristischem Hintergrund" erscheine die akustische Wohnraumüberwachung als "Maßnahme zur Gewährleistung individueller und kollektiver Freiheit auch heute" erforderlich.

In Anschlag gebracht werden dürfen die Lauschwerkzeuge dem Entwurf nach beim Verdacht auf besonders schwere Straftaten, für die das Gesetz eine Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren vorsieht. Die richterliche und parlamentarische Kontrolle sowie die Pflicht zur nachträglichen Information der Betroffenen sollen deutlich verschärft werden. In einer ersten Reaktion zeigte sich Jerzy Montag, rechtspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, zufrieden mit dem neuen Entwurf. Burkhard Hirsch, ehemaliger Vizepräsident des Bundestags und Mitkläger gegen den Großen Lauschangriff vor dem Bundesverfassungsgericht, sieht den Kampf dagegen noch nicht beendet und hofft auf Nachbesserungen durch das Parlament. Er hält beispielsweise die Information des Bundestags über erfolgte Abhörmaßnahmen für lückenhaft und die Regelung der einzulegenden Rechtsmittel für mehrdeutig.

Die Kritik Hirschs scheint in Berlin nicht vollkommen ungehört zu bleiben, denn zumindest legte die Bundesregierung gerade auch einen Bericht zur Thematik vor. Demnach sind im Jahr 2003 insgesamt 52 Wohnungen in neun Bundesländern akustisch überwacht worden. Die längsten Überwachungszeiten hat es mit 325 Tagen in Bayern, mit 84 Tagen in Niedersachsen und mit 72 Tagen in Hessen gegeben. Anlass zur Anordnung einer Überwachung waren in 14 Fällen Ermittlungen wegen Mordes und in sieben Fällen Verfahren gegen Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz -- davon einmal in Verbindung mit der Bildung einer terroristischen Vereinigung und einmal in Verbindung mit "räuberischer Erpressung". Relevanz für das gerichtliche Verfahren hatte die Überwachung in 21 Fällen. Die Gesamtkosten der Wohnraumüberwachungen betrugen rund 200.000 Euro. Die Anzahl von der Überwachung betroffenen Personen wird mit insgesamt 141 beziffert, die Zahl dabei abgehörter Nichtbeschuldigter wird mit 49 Personen angegeben. In 15 Fällen gab es keine Benachrichtigung der Betroffenen, um die Ermittlungen nicht zu gefährden. (Stefan Krempl) / (jk)