Echte Gedankensteuerung

Ein neues Prothesensystem, das einen künstlichen Arm und eine Gehirn-Maschine-Schnittstellen vereint, soll Signale direkt vom Gehirn nutzen. Davon könnten auch vom Hals ab gelähmte Menschen profitieren, die einen Arm verloren haben.

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Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler

Ein neues Prothesensystem, das einen künstlichen Arm und eine Gehirn-Maschine-Schnittstellen vereint, soll Signale direkt vom Gehirn nutzen. Davon könnten auch vom Hals ab gelähmte Menschen profitieren, die einen Arm verloren haben.

Das Adjektiv "gedankengesteuert" war bei bisherigen Armprothesen nur als indirekt zu verstehen: Sie enthielten ihre Steuerbefehle nicht unmittelbar vom Gehirn, sondern über die motorischen Nerven im Armstumpf oder über Muskelaktivitätssignale in der Brust. Das will ein Forschungskonsortium in den USA nun ändern und schickt sich an, eine Armprothese namens "Modular Prosthetic Limb" tatsächlich direkt mit demjenigen Teil der Großhirnrinde (Kortex) zu verbinden, der für die Steuerung von Bewegungen zuständig ist.

Das ist aber noch nicht alles: Der Kunstarm soll nämlich auch einige der Sinneseindrücke zum Gehirn zurückleiten, die sonst Rezeptoren in der Haut vermitteln: Druck, Vibrationen und die Struktur von Oberflächen. Dem Konsortium gehören Wissenschaftler der Johns Hopkins University in Boston und Kollegen an den Universitäten von Pittsburgh, Chicago und Utah sowie dem California Institute of Technology an. Industriepartner sind die Unternehmen Blackrock Microsystems und HDT Engineered Technologies. Die Forschungsbehörde des US-Verteidigungsministeriums, die DARPA, fördert mit 34,5 Millionen Dollar.

"Wir haben dabei vor allem auch die vom Hals abwärts gelähmten Patienten im Blick, weil sie am meisten davon profitieren würden", sagt Michael McLoughlin von der Johns Hopkins University in Boston, der das Projekt koordiniert. "Anders als Patienten, denen nur ein Arm amputiert wurde, sind derart Gelähmte bisher vollständig auf die Hilfe anderer angewiesen."

Die Wissenschaftler haben bereits zwei Vorläuferprothesen gebaut, die sie nun ausbauen wollen. Viele Eigenschaften der aktuellen Version kommen laut McLoughlin bereits denen eines natürlichen Arms recht nahe: Sie wiegt nur noch 4,5 Kilogramm, erlaubt mit insgesamt 22 Freiheitsgraden auch das individuelle Bewegen der einzelnen Finger und kann Gewichte von bis zu 25 Kilogramm heben. "Das ist mehr, als die meisten der Entwickler schaffen", lacht McLoughlin. Nun wollen die Forscher in der dritten Entwicklungsetappe implantierbare Schnittstellen entwickeln, die über Kabel die Steuerbefehle vom motorischen Kortex zur Prothese und die Sinneseindrücke wieder zurück zum Gehirn leiten – und das ganze System an fünf querschnittsgelähmten Patienten testen.

Die motorischen und sensorischen Signale sollen über separate Schnittstellen im Gehirn laufen. Jede Schnittstelle ist vier mal vier Millimeter groß und enthält 100 Mini-Elektroden, die den Kontakt zur Gehirnrinde herstellen. "Der motorische Kortex ist bereits recht gut kartiert, wir wissen, wo die Areale für die Hand und für Bewegungen wie das Greifen liegen", erklärt McLoughlin. Zu den Aufgaben, die das Konsortium nun lösen muss, gehört unter anderem, geeignete Elektroden für die Aufnahme der motorischen und die Abgabe der sensorischen Signale zu entwickeln. Darüber hinaus müssen die Forscher Algorithmen zum Übersetzen der elektrischen Aktivitätssignale des Gehirns in Steuersignale für die Prothese entwickeln.

Wenn es so weit ist, sollen die fünf Probanden nacheinander jeweils eine steigende Zahl an Schnittstellen implantiert bekommen. "Dem Ersten wollen wir zunächst zwei motorische Schnittstellen einpflanzen", sagt Professor Andrew Schwartz von der University of Pittsburgh. "Der zweite Proband erhält zusätzlich auch eine sensorische Schnittstelle und der Dritte wird in beiden Gehirn-Hälften mit dieser Zusammenstellung ausgestattet." Ab hier könnte es also möglich sein, dass die Patienten lernen, gleichzeitig zwei Prothesen zu benutzen. Welche Sensoren die erste Prothesenerweiterung enthalten wird und wie viele insgesamt benötigt werden, wollen die Forscher aber noch nicht verraten. Nur so viel sagt Projektleiter McLoughlin: "Unser Ziel ist es, dass sich das System für die Patienten irgendwann ganz natürlich anfühlt." (vsz)