Schutz von Satelliten und Menschen im All: KI-Modell sagt Sonnenstürme voraus

Sonnenstürme können Satelliten und Menschen im All gefährden. Ein neues KI-Modell von Nasa und IBM soll nun frühzeitig vor gefährlichen Sonneneruptionen warnen.

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Sonnenausschnitt mit Protruberanz

(Bild: Nasa)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Peter Hall
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Die US-Weltraumbehörde Nasa und der IT-Konzern IBM haben ein neues Open-Source-KI-Modell veröffentlicht, das mithilfe von maschinellem Lernen Forschenden dabei helfen soll, die physikalischen Abläufe der Sonne besser zu verstehen und vor allem vorherzusagen. Surya, das auf Grundlage von Solardaten der Nasa aus über einem Jahrzehnt trainiert wurde, soll frühzeitig warnen, bevor eine gefährliche Sonneneruption die Erde erreicht.

Sogenannte Sonnenstürme entstehen, wenn die Sonne Energie und Teilchen ins All ausstößt. Sie können Sonneneruptionen und langsamere koronale Massenauswürfe verursachen, die Funksignale stören, Computersysteme an Bord von Satelliten zusetzen und Astronauten etwa auf der ISS durch hohe Strahlungswerte gefährden. Es gibt keine Möglichkeit, diese Auswirkungen zu verhindern, aber wenn man vorhersagen kann, wann eine große Sonneneruption auftritt, könnte man sich zumindest darauf einstellen, Geräte etwas besser zu schützen. Allerdings, so Louise Harra, Astrophysikerin an der ETH Zürich, "ist der Zeitpunkt einer Eruption immer der Knackpunkt".

Anhand von Sonnenaufnahmen können Forschende leicht erkennen, ob es in naher Zukunft zu einer Sonneneruption kommen wird, sagt Harra, die mit Suryas Entwicklung vertraut ist. Die genaue Zeit und Stärke einer Eruption zu bestimmen, sei jedoch viel schwieriger. Das ist ein Problem, da die Größe einer Eruption unterschiedliche Auswirkungen hat – von regionalen Funkausfällen alle paar Wochen (die dennoch stören) bis hin zu verheerenden Technikkatastrophen. Satelliten könnten schlimmstenfalls aus der Umlaufbahn gebracht werden oder Stromnetze ausfallen. Einige Sonnenforscher glauben gar, dass eine Eruption letzterer Größenordnung längst überfällig ist.

Maschinelles Lernen wurde bereits zuvor zur Untersuchung von Sonnenwetterereignissen eingesetzt. Surya verspricht aber eine höhere Qualität – der schiere Umfang der Daten soll es möglich machen, ein breiteres Spektrum von Ereignissen genauer vorherzusagen. Die Trainingsdaten für das Modell stammen vom Solar Dynamics Observatory der Nasa, das Bilder der Sonne vieler verschiedener Wellenlängen gleichzeitig aufnimmt. Daraus entstand ein Datensatz von insgesamt über 250 Terabyte.

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Erste Tests mit Surya zeigten, dass das Modell manche Sonneneruptionen immerhin zwei Stunden im Voraus vorhersagen konnte. "Es kann die Form der Sonneneruption, ihre Position auf der Sonne und ihre Intensität vorhersagen", sagt Juan Bernabe-Moreno, KI-Forscher bei IBM und Leiter des Surya-Projekts. Zwei Stunden mögen nicht ausreichen, um alle Auswirkungen einer starken Sonneneruption abzuwehren, aber jeder Moment zählt. IBM behauptet in einem Blogbeitrag, dass sich die derzeit mit modernsten Methoden mögliche Vorwarnzeit damit verdoppeln lässt, auch wenn die angegebenen Vorlaufzeiten variieren. Die Prognosegenauigkeit könnte beispielsweise durch Finetuning des Modells oder das Hinzufügen weiterer Daten verbessert werden.

Laut Harra sind die versteckten Muster, die Ereignissen wie Sonneneruptionen zugrunde liegen, von der Erde aus schwer zu verstehen. Sie meint, dass Astrophysiker zwar die Bedingungen kennen, unter denen diese Ereignisse auftreten, aber immer noch nicht verstehen, warum sie auftreten, wenn sie auftreten. "Wir wissen nur, dass winzige Destabilisierungen auftreten, aber wir wissen nicht, wann", sagt sie. Das Versprechen von Surya ist, dass das Modell die Muster, die diesen Destabilisierungen zugrunde liegen, schneller als alle bestehenden Methoden erkennen kann und so zusätzliche Zeit verschafft.

Projektleiter Bernabe-Moreno ist außerdem begeistert von dem Potenzial, das über die Vorhersage von Sonnenstürmen hinausgeht. Er hofft, Surya zusammen mit früheren Modellen, an denen er für IBM und die Nasa gearbeitet hat, einsetzen zu können. Diese dienen eigentlich Wettervorhersagen auf der Erde, doch es gibt Zusammenhänge mit dem, was auf der Sonne passiert. "Es gibt beispielsweise Hinweise darauf, dass das Sonnenwetter Blitze beeinflusst", sagt er. "Was sind die Wechselwirkungen, und wo und wie lässt sich der Einfluss einer Wetterart auf eine andere abbilden?"

Da Surya ein Grundmodell ist, das ohne spezielle Aufgaben trainiert wurde, hoffen Nasa und IBM, dass es viele Muster in der Physik der Sonne erkennen kann, ähnlich wie allgemeine große Sprachmodelle wie ChatGPT viele verschiedene Aufgaben übernehmen können. Die Forschenden glauben, dass Surya sogar neue Erkenntnisse über die Funktion anderer Himmelskörper ermöglichen könnte. "Das Verständnis der Sonne ist Schlüssel zum Verständnis vieler anderer Sterne", sagt Bernabe-Moreno. "Wir betrachten die Sonne hierbei als Labor."

Dieser Beitrag ist zuerst bei t3n.de erschienen.

(jle)