Neue Kritik an Urteil zur Vorratsdatenspeicherung

Führende Köpfe hinter der Sammelbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung haben das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung in einer Stellungnahme als unzureichend kritisiert.

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Führende Köpfe hinter der Sammelbeschwerde gegen die verdachtsunabhängige Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten haben das Urteil des Bundesverfassungsgericht vom März als unzureichend kritisiert. So reibt sich der damalige Bevollmächtigte der Beschwerdeführer, Meinhard Starostik, in einer Stellungnahme (PDF-Datei) vor allem an der Ansicht des Gerichts, dass eine anlasslose Aufzeichnung von Nutzerspuren nicht an sich unvereinbar mit dem Grundgesetz und internationalen Rechtsnormen sei. Der Berliner Rechtsanwalt sieht im Gegensatz dazu bereits mit dem Prinzip einer flächendeckenden Vorratsdatenspeicherung "das Gebot der Verhältnismäßigkeit" verletzt.

In dem Schriftsatz geht es konkret um ein neues Plädoyer in der noch laufenden Verfassungsbeschwerde gegen Datenspeicherpflichten im Telekommunikationsgesetz (TKG), über die in Karlsruhe voraussichtlich noch in diesem Jahr entschieden wird. Die Klage richtet sich vor allem gegen den Identifizierungszwang für SIM-Karten und den staatlichen Zugriff auf personenbezogene Informationen von Telekommunikationskunden.

Das Urteil, so moniert Starostik, setze sich nicht "mit den empirischen Nachweisen des eklatanten Missverhältnisses zwischen Tragweite der Vorratsdatenspeicherung auf der einen und ihrem Ertrag auf der anderen Seite" auseinander. Auch vermisst der Anwalt die Würdigung der Belege einer hohen strafrechtlichen Aufklärungsrate auch ohne die pauschale Maßnahme. Nicht zuletzt sei das Urteil nicht mit früheren Beschlüssen des eigenen Hauses in Einklang zu bringen, wonach eine "allumfassende, permanente Vorratsdatenspeicherung" mit dem Grundgesetz unvereinbar sei.

Im Einzelnen moniert Starostik etwa die Auffassung des Verfassungsgerichts, dass eine Vorratsdatenspeicherung verhältnismäßig sein könne, weil der Staat ihre Durchführung Privatunternehmen übertrage. Eine solche Haltung führe zu einer "massiven Absenkung der rechtsstaatlichen Anforderungen an die staatliche Datenverarbeitung". Nicht gelten lassen will der Jurist auch das Argument der Verfassungshüter, dass die Telekommunikation ein spezifisches Gefahrenpotenzial aufweise und daher in besonderer Weise zu überwachen sein müsse.

Der Schriftsatz lehnt zudem die Ansicht des Verfassungsgerichts ab, dass die Identifizierung von Internetnutzern anhand von Verbindungsdaten unter sehr viel geringeren Voraussetzungen und zum Teil schon zur Verfolgung bestimmter Ordnungswidrigkeiten zulässig sei als die etwa von Telefongesprächspartnern. Eine solche "Diskriminierung von Internetverbindungen" führe zu "unauflösbaren Wertungswidersprüchen". Rufe etwa jemand mit unterdrückter Rufnummer einen Anschluss an, so dürfe er anhand der bekannten Verbindungsdaten nach Auffassung des Gerichts nur mit richterlicher Anordnung namentlich ausfindig gemacht werden. Erfolge der Anruf dagegen unter Verwendung eines Online-Dienstes wie Skype, solle die Identifizierung des Anrufers anhand der IP-Adresse ohne Richtergenehmigung und bereits zur Aufklärung des Verdachts von Bagatellstraftaten zulässig sein.

Starostik gibt zu bedenken, dass die Zuordnung einer dynamischen IP-Adresse die inhaltliche Rekonstruktion der gesamten Internetsitzung anhand von Nutzungsdaten wie URLs und somit "die Erstellung tiefgreifender Persönlichkeitsprofile" ermögliche, wie auf Basis von Telefon-Verbindungsdaten ausgeschlossen sei. Weiter gestatte Paragraph 113 TKG den Zugriff auf elektronische Adressbücher und sogar auf Schlüssel zum Abruf von Kommunikationsinhalten. Solche Informationen erlaubten ebenfalls "tiefgreifende Einblicke in die persönliche Lebenssituation sowie die Erstellung von Persönlichkeitsprofilen".

Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung geht derweil davon aus, dass in Anbetracht der unterschiedlichen Meinungen des rumänischen Verfassungsgerichtshofs und des deutschen Bundesverfassungsgerichts wohl erst die anstehende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) Klarheit über die Verhältnismäßigkeit einer sechsmonatigen Vorratsdatenspeicherung bringe. Diese habe dann eventuell noch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zu überprüfen. Bis dahin sei alles daran zu setzen, dass die EU-Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung politisch aufgehoben würden und es hierzulande nicht vorher zu einer Wiedereinführung der "unmäßigen" Nutzerprotokollierung komme. (vbr)