Kontrolliertes Risiko: Apple wagt mit dem iPhone Air was Neues
Fehlenden Mut zu Neuem kann Apple nach dem iPhone-Event am Dienstag diesmal keiner vorwerfen. Oder doch? Eine erste Analyse von Malte Kirchner.
(Bild: Apple, Bearbeitung: ho)
Die fetten Jahre bei Apple sind vorbei. Kritiker und Dauernörgler werden sich beim Lesen dieser Zeile auf die Schulter klopfen: Haben sie es doch immer gesagt. Doch gemeint ist etwas ganz anderes: Apple verpasst seinem iPhone eine Schlankheitskur. Es war schon zu erahnen, als vor eineinhalb Jahren das iPad Pro plötzlich abspecken musste, dass Apple das auch für das iPhone im Sinn haben könnte. Jetzt wird der Metallgürtel nach vielen Jahren, in denen das Design weitgehend gleich blieb, deutlich enger geschnallt. Alleine unter diesem Gesichtspunkt war das diesjährige Event spannender als die der Vorjahre.
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Das iPhone Air, der Star des Apple-Events am Dienstagabend deutscher Zeit, umweht buchstäblich ein Hauch Zukunft. Dünner und leichter kommt auf den ersten Blick immer gut an. Aber ist die Freude daran auch nachhaltig? Das muss sich erst noch zeigen. Das große Fragezeichen steht vor allem hinter der Akkulaufzeit im Alltag.
Plätten, falten, unsichtbar machen
Es ist eine Rückbesinnung auf eine alte Formel: Die perfekte Hardware scheint nach Ansicht der Designer im Silicon Valley die zu sein, die irgendwann den Grad der Unsichtbarkeit touchiert. Apple ist auf diesem Weg nicht alleine unterwegs: Samsung hat mit seinem S25 Edge bereits vorgelegt. Wenn die Gerüchteköche recht behalten, soll die Miniaturisierung, die für das iPhone Air nötig war, gar eine Vorleistung für ein faltbares iPhone in den Folgejahren sein. Zwei dünne iPhones würden dann ein Fold ergeben.
Das Air ersetzt in diesem Jahr erstmal das vierte iPhone im jährlichen Bunde, einen historisch recht problembehafteten Platz im Line-up. Es steht dort, wo die eher glücklosen Modelle Mini und Plus angesiedelt waren. Die Zielgruppen, die sie bedienen sollten, waren Apple offenbar zu klein, um die Modelle langfristig im Angebot zu behalten.
Apple geht auf Nummer sicher
Aber ist das Air im Vergleich dazu wirklich ein Erfolgsgarant?
Die Art und Weise, wie es eingeführt wurde, lässt darauf schließen, dass Apple eine modebewusste Zielgruppe anspricht, die das Gerät mit dem neuen Umhängeband wie ein Handtäschchen auch gerne nach außen hin zeigt. Eine, die aber mit beiden Beinen mitten im Alltag steht, und deshalb Robustheit wertschätzt, die bei diesem Modell besonders hervorgehoben wurde. Vielleicht ist diese Zielgruppe auch nicht voller Power-User, die das Gerät ständig in den Händen halten, sodass das adaptive Energiemanagement Zeiten finden kann, in denen es das Gerät zum Stromsparen drosseln kann. Kaum vorzustellen ist allerdings, dass jemand ernsthaft ständig das neue MagSafe-Akkupack zur Hand nehmen möchte, um das Air am Leben zu halten.
Apples Vorsicht, nicht gleich das Standardmodell durch das Air zu ersetzen, erklärt sich in den Kompromissen bei der Ausstattung, sicherlich aber auch in den höheren Herstellungskosten. Das iPhone 17 sowie iPhone 17 Pro und iPhone 17 Pro Max bleiben die sichere Bank für all jene, die keine Lust auf Experimente haben, aber solide Weiterentwicklung wünschen. Ihnen bietet Apple in diesem Jahr im Vergleich nicht so viel Revolutionäres, aber schon einige stark gewünschte Verbesserungen wie etwa die Vapor Chamber als mögliche Lösung für Wärmeprobleme, 120 Hertz Bildwiederholrate für alle Modelle oder eine längere Akkulaufzeit.
Beim Pro-Modell drängt sich allerdings der Verdacht eines leichten Kurswechsels auf. Das von Apple bei seiner Einführung viel gepriesene Titan weicht Aluminium. Anders waren gegenwärtige und künftig drohende Wärmeprobleme wohl nicht in den Griff zu bekommen. Das ermöglicht auch knalligere Farben anstatt der gesetzten Farbtöne der Vorjahre, wenngleich in den Foren sogleich unter einigen Panik ausbrach, dass darunter kein Schwarz ist, sondern nur ein tiefes Blau.
Überhaupt war das diesjährige Event weniger eine Leistungsschau der Rekorde und Daten, als der Versuch, Käufer dort abzuholen, wo im Alltag der Schuh drückt.
Schon das iPhone 16e im Frühjahr deutete an, dass Apples Roadmap noch stärker als früher von den Erkenntnissen der Marktforscher beeinflusst wird. Es deutet sich an, dass es in einem Markt, der immer seltener wirklich Disruptives hervorbringt, nun mehr darum geht, möglichst in der Breite zu expandieren und unterschiedliche Kundenbedürfnisse möglichst passgenau zu befriedigen. Das macht es zugleich aber schwieriger, allgemeingültige Antworten darauf zu finden, für wen sich ein Modellwechsel lohnt – und für wen nicht.
Ass im Ärmel, aber kein Abo auf Erfolg
Damals wie heute dürfte Apple aber weiterhin auf sein Ass im Ärmel setzen: Für viele iPhone-Käufer ist das gut funktionierende Ökosystem ein so gewichtiger Kaufgrund, dass es über offene Wünsche bei der Hardware hinwegtröstete. Mit den AirPods Pro 3, der Apple Watch SE 3, der Apple Watch Series 11 und der Apple Watch Ultra 3 wurden am Dienstag neue Generationen der beliebten Zubehörgeräte vorgestellt, die am Ende auch das iPhone stärken. Aber Vorsicht: Die Momente, in denen der Blick auf den Wettbewerb schmerzt, werden mehr. Zu lesen war das beispielhaft in diesen Tagen, als in Apple-Foren iPhone-Nutzer darüber klagten, dass Google-Pixel-Besitzern viel schönere Fotos von der Mondfinsternis gelangen als ihnen. Mal schauen, ob die neuen iPhones den Schmerz lindern können.
Auf den Ökosystem-Bonus kann sich Apple nicht dauerhaft verlassen. Mit üppig ausgestatteter Hardware und dem Fokus auf Künstliche Intelligenz haben Apples Mitbewerber gleich zwei offene Flanken in Cupertino ausgemacht, die sie für sich nutzen wollen. Die Nervosität in der Apple-Kundschaft nimmt zu, auch wenn die Umsatzzahlen bislang keinen Grund zur Besorgnis geben. Das positive Signal, das vom Event ausgeht, ist, dass Apple den Wunsch nach mehr Veränderung aber offenbar erkannt hat und mit dem ersten größeren Redesign seit Jahren neue Wege beschreiten will. Ob es der richtige Weg ist und ob er entschieden genug beschritten wird, wird sich allerdings zeigen müssen.
(mki)