Softwarepatente: Die heiße Kartoffel im Schoß des Parlaments

Um überhaupt eine Softwarepatentrichtlinie zu verabschieden, fehlen wichtige ökonomische Studien, waren sich Experten auf einer Konferenz zur Patentpolitik in Brüssel einig.

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Die EU-Kommission hat den Anstoß für den Gesetzgebungsprozess zur Verabschiedung einer Richtlinie über die Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" auf einer unzureichenden Forschungsbasis gegeben. In seltener Einigkeit vertraten europäische und amerikanische Professoren sowie Vertreter des Europäischen Patentamtes (EPA) diese Ansicht am heutigen Mittwoch auf einer Konferenz des Fördervereins für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) und der Computer & Communications Industry Association (CCIA) zur Patentpolitik im EU-Parlament in Brüssel. Nach wie vor einen "Mangel an ökonomischen Erkenntnissen" über die Auswirkungen von Softwarepatenten machte etwa Luc Soete, Direktor Maastricht Economic Research Institute on Innovation and Technology (MERIT), aus. "Wir wissen an diesem Punkt nicht genug, um Gesetze zu verabschieden, welche auch die Graubereiche abdecken", erklärte zudem Brian Kahin von der University of Michigan. Er bedauerte es daher sehr, dass die "heiße Kartoffel jetzt im Schoß des Parlaments liegt". Besser wäre es gewesen, wenn die Kommission den Antrag der Abgeordneten für einen kompletten Neustart des Verfahrens akzeptiert hätte.

Kurz vor der entscheidenden 2. Lesung der Richtlinie Anfang Juli wird so mitten im Marathon der Lobbyisten deutlich, dass die Gesetzgebung zu dem wichtigen wirtschafts- und innovationspolitischen Thema mehr oder weniger ins Blaue hinein erfolgt. "Patente könnten in gewissen Bereichen der Wirtschaft Wirkungen haben, die noch nicht ausreichend erforscht sind", umschrieb Yannis Skulikaris vom EPA den Blindflug in Bezug auf den von ihm betreuten Computersektor bei der Patentbehörde. Den Weg weisen könne aber letztlich nur der Gesetzgeber. Skulikaris sah sich auf der Konferenz immer wieder mit Fragen konfrontiert, warum sein Haus bereits Tausende Softwarepatente erteilt habe. Aus den Patentansprüchen sei oft gar nicht ablesbar, ob die Erfindung letztlich in Hard- oder Software oder einem Mix aus beiden realisiert werde, verteidigte er sich. Sobald klar werde, dass kein technisches Problem gelöst wird, erfolge sofort ein ablehnender Bescheid.

Von den 36.500 Anmeldungen für Patente auf "computerimplementierte Erfindungen" zwischen 1999 und 2004 seien nur 5000 gewährt worden, führte der EPA-Vertreter aus. 16.700 Ansprüche hätten die Antragsteller von sich aus zurückgezogen, weil sie sich keine Erfolgsaussichten mehr versprochen hätten. Bei den bereits gewährten Ansprüchen, zu denen unter anderem eine Abwandlung des "1 Click"-Patents von Amazon sowie zahlreiche andere Patente auf Geschäftsmethoden im E-Commerce-Bereich gehören, sei man dagegen generell von einem technischen Charakter der Erfindung ausgegangen. Anfechtungen beim EPA für 600 Euro pro Patent oder nach der Einspruchsfrist von neun Monaten vor nationalen Gerichten seien aber jederzeit möglich.

Maria Cimaglia von der europäischen Mittelstandsvereinigungen UEAPME beklagte, dass die Kommission bei ihrer Sondierung des Umfelds der Richtlinie "die Realität kleiner und mittlerer Unternehmen nicht in Betracht gezogen hat". Diese könnten sich schlicht nicht gegen die wachsenden Patentportfolios größerer Wettbewerber zur Wehr setzen. Laut dem FFII wäre die "ökonomische Mehrheit" der europäischen Firmen negativ von der Direktive beeinflusst. Eine entsprechende, die Voruntersuchung der Kommission umkehrende Aktion hat der Verein im Web gestartet. Dort haben sich bereits über 540 Firmen mit einem Gesamtumsatz von über 1,4 Milliarden Euro als Unterstützer eingetragen.

Kahin führte sein Argument, dass die Kommission ihre Hausaufgaben nicht gemacht habe, unter anderem mit dem Hinweis auf das Entstehen einer neuen "Mikro-Ökonomik" im Geschäft mit dem Geistigen Eigentum aus. "Haftung und Schadensersatzzahlungen werden ein immer wichtigeres Thema", erklärte der frühere Berater der Clinton-Regierung im Hinblick auf die wachsende Zahl an "Patent-Trollen" in den USA. Diese würden entweder gezielt große Firmen verklagen, die angesichts der Komplexität der heutigen Softwareprodukte sicher irgendwo gegen ein weit gestricktes Patent verstoßen würden. "Oder sie verlangen Lizenzen von vielen kleinen Firmen, die sich einen Kampf nicht leisten können", erläuterte Kahin die Nebenwirkungen. Insgesamt geht er gegenwärtig von fünf Millionen entsprechenden "Drohbriefen" pro Jahr in den USA aus, 2500 Streitigkeiten würden vor Gericht landen. Angesichts der Millionen Nutzer, die heute allgemeine Softwareprogramme auf ihren Rechnern laufen haben, sieht Kahin noch Raum für weit größere Vorstöße der Patent-Trolle.

Das EU-Parlament müsse in dieser Situation auf die Rolle von Software "für das Verwalten von Informationen" blicken richtete sich Kahin an die Abgeordneten. Computerprogramme seien "ein zentraler Bestandteil der Wissensökonomie". Er empfahl den Parlamentariern, möglichst klare Grenzen für die Patentierbarkeit der Basiskomponenten der Informationsgesellschaft zu ziehen. Auch die wachsenden Investitionen in einen Teil von Software-Entwicklungen dürften nicht dazu führen, dass dafür der Rest der Entwickler "Geisel genommen" und mit einem aus dem Ruder laufenden Patentsystem konfrontiert werde. Soete, der gerade für die Generaldirektion Informationsgesellschaft eine der geforderten, aber für den Gesetzgebungsprozess wohl zu spät kommende Studien zur Auswirkung von Softwarepatenten durchführt, vertrat die gleiche Meinung. Andernfalls drohe eine "wachsende rechtliche Unsicherheit".

Zum Thema Softwarepatente siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)