Bunt macht redselig

Eine Studie der Carnegie Mellon University untersucht, wie Webdesign und Formulierungen von Fragen die Mitteilsamkeit von Nutzern beeinflussen. Das Ergebnis ist verblüffend.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 6 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Erica Naone

Eine Studie der Carnegie Mellon University untersucht, wie Webdesign und Formulierungen von Fragen die Mitteilsamkeit von Nutzern beeinflussen. Das Ergebnis ist verblüffend.

Fast alle Webseiten möchten heutzutage Daten von uns haben. Viele stellen direkte Fragen, um, wie es gerne heißt, unseren Bedürfnissen noch besser gerecht werden oder unsere interessante Meinung als Nutzer und Konsument erhalten zu können. Wieviel wir über uns preisgeben, hängt dabei nicht unwesentlich davon ab, ob eine Seite seriös oder dubios wirkt – sollte man meinen. Forscher der Carnegie Mellon University (CMU) haben das Auskunftverhalten nun genauer untersucht und sind dabei zu einem paradoxen Ergebnis gekommen: Nutzer vertrauen weniger professionellen Seiten mehr Informationen an. Dabei spielt die konkrete Fragestellung eine wichtige Rolle.

Sollte sich dieser Befund erhärten, hätte er Konsequenzen für den Umgang mit der Privatsphäre der Nutzer, sagt Alessandro Acquisti, Professor für Informationstechnik und Politik an der CMU. Marktforscher könnten ihre Strategie ändern, um Nutzern persönliche Informationen zu entlocken. Datenschützer müssten andererseits neu darüber nachdenken, wie ein Missbrauch der Online-Privatsphäre wirksamer zu unterbinden ist.

Die CMU-Forscher entwickelten verschiedene Verfahren, um zu analysieren, was Nutzer dazu bringt, persönliche Informationen in den Browser einzutippen. „Besonders interessierte uns die Gegenüberstellung von dem, was Nutzer sich hinsichtlich Datenschutz wünschen, und dem, was sie dann online tatsächlich machen“, erläutert Acquisti.

Er und seine Kollegen legten Versuchspersonen auf drei verschieden gestalteten Webseiten einen identischen Fragenkatalog vor. Darunter waren Fragen wie „Haben Sie in einer Beziehung schon einmal ‚betrogen’?“ oder „Sind sie schon einmal Auto gefahren, obwohl Sie wussten, dass Sie zuviel Alkohol getrunken hatten?“

Die erste der drei Testseiten war mit einem offiziell wirkenden Logo, sachlichen Schrifttypen und beruhigenden Farben gestaltet. Die Zweite war möglichst neutral gehalten, während die Dritte grelle Farben, verspielte Schriftarten und ein Comic-haftes Teufelslogo hatte. Erstaunlicherweise räumten die Probanden auf der dritten Seite fast doppelt so häufig wie auf den beiden anderen „unerlaubtes“ oder „sozial fragwürdiges“ Verhalten ein. Ein Drittel der Personen gab sogar die Email-Adresse an. In der Hälfte dieser Fälle ließ sich über die Email-Adresse die Identität der betreffenden Person herausfinden.

Dieses Verhalten mutet auf den ersten Blick ziemlich irrational an. Die Versuchspersonen seien aber wohl davon ausgegangen, dass die unprofessionell gestaltete Seite am wenigsten darauf aus sei, persönliche Daten zu speichern, sagt Alessandro Acquisti. Offenbar nahmen die Probanden die Seite einfach nicht so ernst, was Acquisti für einen Fehler hält. Bei unprofessionell gestalteten Seiten sei die Wahrscheinlichkeit größer, dass die Betreiber es mit dem Datenschutz nicht so genau nehmen und die gesammelten Nutzerinformationen an Spammer weiterverkaufen.

Die CMU-Gruppe variierte zudem die Fragestellungen, um die Wirkung unterschiedlicher Formulierungen zu ermitteln. Fragten die Forscher unverblümt, ob man schon einmal eine Verabredung gehabt habe, um eine andere Person eifersüchtig zu machen, gaben sich die Testpersonen zugeknöpft. Sie wurden jedoch deutlich mitteilsamer, wenn die Frage lautete: „Wenn Sie eine Verabredung gehabt haben, um jemand anderes eifersüchtig zu machen, wie unethisch war das Ihrer Meinung nach?“ Mit solchen Formulierungen könne man Leute davon ablenken, dass man sie zum Ausplaudern intimer Informationen bringen möchte, so Acquisti.

„Was wir hieraus lernen können, ist, wie schwierig die Balance zwischen Zurückhaltung und Enthüllung zu halten ist“, resümiert der CMU-Wissenschaftler. „Denn geringfügige Variationen des Kontextes können unsere Neigung, Persönliches preiszugeben, drastisch ändern.“ Die Studie wird in Kürze im Journal of Consumer Research veröffentlicht.

Joseph Bonneau von University of Cambridge misst ihr erheblichen Wert zu. „Die CMU-Gruppe hat meines Erachtens eindrucksvoll dokumentiert, wie die Leute online mit persönlichen Informationen umgehen“, sagt Bonneau. Er selbst konnte in eigenen Untersuchungen zeigen, dass Nutzer in sozialen Netzwerken mehr über sich verraten, wenn die Datenschutz-Einstellungen gut versteckt sind. Die Studie sei wichtig für weitere Regelungen, welche Informationen Marktforscher sammeln dürfen und wie sie deren weitere Verwendung deklarieren.

Der Cambridger Privacy-Forscher Soren Preibusch verweist allerdings darauf, dass ein verantwortungsvoller Umgang mit Nutzerdaten oft im eigenen Interesse von Unternehmen sei. Seine Untersuchungen zeigten, dass Nutzer in Online-Shops mehr Geld ausgäben, wenn sie der Datenschutz-Praxis des Anbieters trauten. Mehr noch: Die Verbraucher würden bei „Privacy-freundlichen“ Diensten Preisaufschläge von bis zu 80 Prozent akzeptieren. (nbo)