KI in der Kardiologie: Über aktuelle Entwicklungen und Einsatzbereiche
Intelligente Systeme können helfen, Herzkrankheiten früh zu erkennen. Über Chancen und Grenzen haben wir mit dem Kardiologen Dr. Philipp Breitbart gesprochen.
(Bild: Marko Aliaksandr/Shutterstock.com)
Die Digitalisierung verändert die Kardiologie rasant – von kontinuierlichen EKGs durch Wearables bis hin zur KI-gestützten Befundung komplexer Datensätze. Besonders in der Herzmedizin zeigt sich das Potenzial intelligenter Systeme deutlich. Sie können Muster in EKGs erkennen, Frühwarnzeichen für Rhythmusstörungen identifizieren oder Patientendaten automatisiert analysieren.
"Durch Telemedizin und Digitalisierung können Gesundheitsressourcen effizienter genutzt und Kosten langfristig gesenkt werden. So lassen sich durch frühzeitige Interventionen Folgeerkrankungen und Schlaganfälle besser vermeiden, was teure Krankenhausaufenthalte und Akutbehandlungen reduziert", heißt es seitens der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie. Wearables, smarte Implantate und Telemedizinplattformen eröffnen neue Wege der Überwachung und Früherkennung – und entlasten zugleich die stationäre Versorgung.
(Bild: DGK)
Ein aktuelles Beispiel für diese Entwicklung sind KI-gestützte Stethoskope, die kürzlich auf einer Konferenz in Madrid vorgestellt wurden. Im Interview erläutert der Kardiologe Priv.-Doz. Dr. Philipp Breitbart, wo der praktische Nutzen dieser Technologie liegen könnte. Er ordnet die aktuellen Studienergebnisse ein, spricht über die Akzeptanz digitaler Geräte in der Praxis und erklärt, warum KI nur dann einen echten Mehrwert schafft, wenn sie sinnvoll in bestehende Strukturen integriert wird.
Kürzlich wurden in Madrid Studien zu KI-gestützten Stethoskopen vorgestellt. Worum ging es dabei?
Die Fragestellung war, ob man mit einem KI-unterstützten Stethoskop Herzschwäche, Herzklappenerkrankungen oder Herzrhythmusstörungen zuverlässiger erkennen kann. Die Studien, teils mit mehr als 10.000 Patientinnen und Patienten, haben gezeigt: In Abhängigkeit von der Erkrankung konnte das Gerät bis zu doppelt oder dreifach so oft eine Diagnose stellen wie bei rein manueller Untersuchung.
Das Stethoskop hat parallel ein EKG aufgezeichnet, und die Daten wurden systematisch überprüft. Auffällig war allerdings eine relevante Quote an falsch-positiven Befunden – also Patienten, bei denen eine Erkrankung angezeigt wurde, die sich später nicht bestätigte. Das ist ein grundsätzliches Thema in der KI-gestützten Medizin.
KI ist stark darin, häufige Muster zu erkennen. In den Randbereichen – und dort bewegen wir uns in der Medizin sehr oft – hat sie jedoch Schwächen. Gerade weil Erkrankungen individuell sehr unterschiedlich verlaufen, kommt es zu Unsicherheiten. Dann werden Patientinnen und Patienten verunsichert, die eigentlich gesund sind. Auf der anderen Seite hat die Studie gezeigt: Wenn eine Erkrankung tatsächlich vorlag, konnte das Stethoskop diese mit hoher Sensitivität erfassen.
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In der randomisierten Vergleichsstudie erhielten einige Praxen das KI-Stethoskop. Dort zeigte sich: Anfangs war die Anwendung recht hoch, aber im Verlauf ging die Nutzung deutlich zurück. Besonders positiv bewertet wurde die Möglichkeit, die Ergebnisse direkt ins Praxissystem einzuspeisen – das spart Arbeit und erhöht die Akzeptanz. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass die Studie bisher noch kein Peer-Review durchlaufen hat. Auf der Konferenz wurden lediglich Poster vorgestellt.
Sehen Sie solche Stethoskope im kardiologischen Alltag praktisch im Einsatz?
Nein. In der Kardiologie ist unsere Standarddiagnostik ohnehin das EKG und die Echokardiografie. Bevor ich überhaupt das Stethoskop zur Hand nehme, habe ich meist den Herzultraschall gemacht – und der ist wesentlich aussagekräftiger.
Ein mögliches Einsatzfeld sehe ich eher in der hausärztlichen Versorgung. Hausärzte fungieren als "Gatekeeper": Sie entscheiden, ob eine kardiologische Abklärung nötig ist. Für sie könnte ein solches Gerät sinnvoll sein, um frühe Hinweise zu bekommen. Aber: Die hohe Zahl an falsch-positiven Fällen bleibt ein Problem, ähnlich wie bei Smartwatches, die Vorhofflimmern sehr sensibel, aber nicht immer spezifisch detektieren.
Warum könnte die Technologie trotzdem interessant für ein Gesundheitssystem sein?
Weil Früherkennung fast immer günstiger ist als späte Therapie. Wenn ich eine Herzschwäche oder eine Rhythmusstörung früher diagnostiziere, kann ich Therapien ambulant beginnen und Krankenhausaufenthalte vermeiden. Das spart Kosten und verhindert Schlimmeres.
Das zeigt sich auch an anderen Beispielen wie CT-gestützten Herz-Screenings: Mit KI-Analyse ließen sich Ablagerungen früh entdecken und Herzinfarkte vermeiden. Im Endeffekt kostet das weniger, als später komplexe Eingriffe zu finanzieren.
In Deutschland scheint man dennoch zögerlicher zu sein. Woran liegt das?
Zum einen an der Versorgungsstruktur. In Deutschland sind wir sehr spezialisiert: Der Hausarzt überweist zum Kardiologen, dort gibt es sofort Ultraschall und EKG. In anderen Ländern sind diese Geräte nicht überall verfügbar – dort kann ein KI-Stethoskop echten Mehrwert bieten.
Zum anderen stellt sich die Frage, wie oft im Alltag überhaupt noch mit dem Stethoskop gearbeitet wird. Im kardiologischen Alltag ist der Ultraschall Standard. Auch Hausärzte stehen unter Zeitdruck – das ausführliche Abhören jedes Patienten ist kaum realistisch. Ein solches Stethoskop wäre ideal für Regionen mit weniger Infrastruktur: ländliche Gegenden, Entwicklungsländer oder Orte mit weiten Wegen zum Facharzt. Aber die Einführung läuft vor allem in Ländern mit ohnehin guter Versorgung. Dort ist der zusätzliche Nutzen geringer.
Ein Großteil der aktuell verfügbaren KI-Stethoskope ist zudem Cloud-basiert. Das bedeutet: Die Aufnahmen werden nicht lokal ausgewertet, sondern auf Server hochgeladen, dort analysiert und anschließend mit einem Ergebnis zurückgespielt. Daraus ergeben sich gleich mehrere Herausforderungen. Einerseits der Datenschutz. Medizinische Daten sind besonders sensibel, und sobald diese übertragen werden, muss absolute Klarheit über den Speicherort, die Verschlüsselung und die Zugriffsrechte herrschen. Gerade im Gesundheitssystem mit strengen Richtlinien macht das die Einführung kompliziert. Dann kommen auch die Geschwindigkeit und Kosten hinzu. Jede Übertragung braucht Bandbreite und Serverkapazität. Das ist im Praxisalltag ein zusätzlicher Aufwand – und kann gerade bei Hausärzten in ländlichen Regionen oder bei schlechter Infrastruktur ein Hemmnis sein.
Langfristig wäre es sinnvoll, vermehrt auf lokale oder hybride Lösungen zu setzen, bei denen die Auswertung teilweise direkt auf dem Gerät selbst stattfinden kann. So ließe sich die Abhängigkeit von Cloud-Systemen reduzieren, Datenschutzprobleme wären einfacher zu lösen – und gleichzeitig könnten die Ergebnisse schneller zurückgegeben werden.
Was beschäftigt Sie als Kardiologe im Bereich Digitalisierung derzeit?
Ich engagiere mich stark in der digitalen Kardiologie. Zum Beispiel prüfen wir in Forschungsförderungen, wie sich Apps im Praxisalltag sinnvoll nutzen lassen. Die "Apps auf Rezept" (DiGA) sind zwar verfügbar, im kardiologischen Bereich aber schwer umzusetzen. Während man bei psychischen Erkrankungen schnell Verbesserungen von Lebensqualität nachweisen kann, zählt in der Kardiologie oft nur: weniger Herzinfarkte, weniger Todesfälle. Das kann eine einzelne App schwer belegen.
Außerdem sehen wir: Menschen nutzen Gesundheits-Apps gerne, solange sie gesund sind – quasi als "Gadget". Aber Kranke haben wenig Lust, täglich an ihre Krankheit erinnert zu werden.
Im Telemedizinbereich ist die Kardiologie ja schon sehr weit.
Erste telemedizinische Projekte – etwa die kontinuierliche Betreuung von Schrittmacher- oder Herzinsuffizienzpatienten – sind bereits in die Regelversorgung überführt worden. Patienten messen dabei regelmäßig Blutdruck oder Gewicht und übermitteln ihre Werte automatisch an ein Telemedizinzentrum. Dort werden Auffälligkeiten direkt an behandelnde Ärzte weitergegeben.
Gerade in ländlichen Gebieten kann die Telemedizin die Versorgung verbessern, stationäre Aufenthalte vermeiden und die erleichtern. KI-Stethoskope könnten in Zukunft eine ähnliche Rolle übernehmen – indem sie etwa Vorab-Screenings ermöglichen oder Patienten mit unklaren Symptomen gezielter in die fachärztliche Versorgung lenken.
Wichtig ist aber, dass diese Systeme nicht isoliert stehen, sondern eng mit bestehender digitaler Infrastruktur (Praxissysteme, elektronische Patientenakte, TI-Messenger) verknüpft werden. Nur so lässt sich sicherstellen, dass der Nutzen für Patienten groß genug ist und Ärztinnen sowie Ärzte nicht durch zusätzlichen Aufwand belastet werden.
Wichtig sind dabei zwei Dinge: Erstens brauchen wir eine sinnvolle Implementierung in Versorgung und Abläufe. Zweitens müssen wir klären, wo der Nutzen am größten ist – sowohl medizinisch als auch ökonomisch. Eine KI allein löst keine Gesundheitsprobleme. Aber richtig integriert könnte sie helfen, Fairness in der Versorgung zu schaffen – gerade dort, wo Ressourcen fehlen.
Für Deutschland sehe ich derzeit wenige Einsatzgebiete, weil wir präzisere Standardmethoden wie Ultraschall etabliert haben. Mehr Sinn könnten solche Geräte in Regionen ohne dichte kardiologische Versorgung entfalten.
(mack)