Zahlen, bitte! Die Lochkarte: 80 Zeichen wegweisend in die EDV
Herman Holleriths Lochkarten-Maschine fĂĽhrte nicht nur in das EDV-Zeitalter, sondern war auch der Grundstein fĂĽr IBM und den abgeleiteten 80-Zeichen-Standard.
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Die Lochkarte, die erste Möglichkeit, eine Maschine zu programmieren, ist in diesem Jahr 300 geworden. Bereits 1725 wurde in Lyon der erste halbautomatische Webstuhl geschaffen. Um daran zu erinnern, haben wir uns erlaubt, ein älteres Zahlen, bitte! zu aktualisieren und als "Zahlen, bitte! Classic" neu zu veröffentlichen. Viel Spaß beim Lesen!
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Die Lochkartensteuerung war bereits im 18. Jahrhundert bekannt: Im Jahr 1725 schuf der französische Erfinder Basile Bouchon (in manchen Quellen auch Boachon genannt) den ersten halbautomatischen Webstuhl mit Lochsteuerung, noch durch gestanzten Endlospapier.
In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblĂĽffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natĂĽrlich der Mathematik vor.
1805 griff der französische Erfinder Joseph-Marie Jacquard die Ideen seiner Vorgänger auf, verbesserte sie und erfand den ersten vollautomatischen, programmierbaren Webstuhl mit Lochkartensteuerung. Doch wie entwickelte sich daraus die Datenverarbeitung?
Anstrengende Schulzeit
Herman Hollerith, am 29. Februar 1860 in Buffalo als Sohn eines aus der Pfalz in die USA eingewanderten Professors geboren, war ein hochbegabter, aber nicht ganz einfacher Schüler. Er brachte in seiner Jugendzeit mit seinem Dickkopf und einer Rechtschreibschwäche die Lehrer auf die Palme.
Es ist ĂĽberliefert, dass er im Alter von 9 Jahren wegen eines anstehenden Diktats ĂĽber das Fenster aus der Schule flĂĽchtete und das wohlhabende Elternhaus sich danach fĂĽr den Rest der Schulzeit fĂĽr Privatunterricht entschied. Diese Entscheidung kam dem Talent des Filius fĂĽr naturwissenschaftliche Themen und Zahlen sehr entgegen.
Erste Erfindungen und Patente
1879 absolvierte Hollerith ein Studium der Ingenieurwissenschaften an der Bergbauschule der Columbia-Universität. Nach dem Abschluss tüftelte er an einer elektromagnetischen Steuerung für die Luftbremsen von Eisenbahnzügen, womit er aber bei der Bahn auf taube Ohren stieß. Er arbeitete zudem im Patentamt und wurde danach in Vermittlung durch seinen Professor W. T. Trowbridge am US Census Bureau tätig, dem Statistikamt der USA. Dabei wurde Hollerith mit der Volkszählung von 1880 konfrontiert, in der mühsam Datenblätter von jedem US-Bürger mit jeweils über 200 Merkmalen über sieben Jahre lang durch die Mitarbeiter ausgewertet wurden.
Portrraitaufnahme von Herman Hollerith, um 1888 aufgenommen.
(Bild:Â Charles Milton Bell)
Durch ein Gespräch mit John Shaw Billings, im Census Bureau für Sterblichkeitsstatistiken zuständig, erhielt Hollerith die Anregung, eine Maschine zu entwickeln, die eine solche Auswertung automatisiert übernimmt. Den entscheidenden technischen Kniff schaute sich Hollerith dabei bei den Eisenbahnschaffnern ab: Sie markierten die Fahrscheine an bestimmten Stellen, um Merkmale des Fahrgasts (wie Geschlecht und Hautfarbe) festzuhalten, was einen möglichen Fahrkartenmissbrauch erschweren sollte.
Datenerfassung durch gestanzte Löcher
Dieses Prinzip übernahm er in seinen Lochkarten. Der Unterschied zu den Lochkartensystem in Webstühlen bestand zudem darin, dass er eine elektrische Abtastung einführte und die Lochkarten nicht unmittelbar ein mechanisches System steuerten, sondern Informationen verarbeiteten. In vorgedruckten, standardisierten Karten wurden durch Lochung Zahleninformationen verschiedenster Art gespeichert. Binär entsprach demnach ein gestanztes Loch einer 1 (geschlossener Stromkreis) und kein Loch einer 0 (offener Stromkreis). Und diese Stromimpulse wurden von der Maschine ausgelesen und gezählt.
Die erste Lochkartenvariante um 1890 herum mit theoretisch bis 12x24 = 288 Lochvariationen. Die Karte war in etwa so groß wie eine damalige 1-Dollar-Note. Die Ecken waren abgerundet um unempfindlicher gegenüber Reibung zu sein und unten rechts fehlte ein Stück aus Gründen der Passform. Spätere Lochkarten hatten diese Ecke links oben.
(Bild:Â Markus Will)
Das Lochkartensystem bestand aus Tabelliermaschine, Lochkartenlocher, Lochkartenleser und Lochkartensortierer. Das System meldete Hollerith zum Patent an, das er als Patent US 395,782 [PDF] am 8. Januar 1889 erteilt bekam.
Enormer Erfolg durch automatisierte Datenerfassung
Die Überlegenheit seines Verfahrens demonstrierte Hollerith in einem Wettbewerb zur Volkszählung, in dem er vier Bezirke von St. Louis in gerade einmal fünfeinhalb Stunden auszählte, während der Mitbewerber dafür 48 Stunden brauchte. Somit wurde er damit beauftragt, die Volkszählung zu unterstützen, die ab dem 2. Juni 1890 durchgeführt wurde.
Und obwohl die Einwohnerzahl der USA mit 63 Millionen Einwohnern um 12,8 Millionen Einwohner (und damit über 25%) gewachsen war gegenüber der vorherigen Volkszählung, lag das Ergebnis der 43 beteiligten Hollerith-Maschinen bereits im Dezember des gleichen Jahres vor. Die Auswertung der vorigen Volkszählung 1880 dauerte dagegen mehrere Jahre.
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Weiterentwicklung der Geschäftsidee
Hollerith hatte damit nicht nur die Auswertung erheblich verkürzt und damit dem amerikanischen Staat 5 Millionen US-Dollar eingespart, sondern auch die Grundlagen der elektronischen Datenverarbeitung geschaffen. Daraus machte er ein Geschäftsmodell: Während er die Maschinen an sich nicht verkaufte, sondern zu günstigen Konditionen an Staaten vermietete, erzielte er über den Verkauf der (Einweg-)Lochkarten die meisten Einnahmen. Überliefert ist, dass er 1000 Stück zu dreißig Cent herstellen und für einen Dollar verkaufen konnte.
1896 gründete er dazu die Tabulating Machine Company (TMC). Vermietungen zu Volkszählungen in Österreich und Russland und weitere Staaten folgten. Weitere Tochterfirmen wurden auch gegründet. Der hiesige Ableger Deutsche Hollerith-Maschinen Gesellschaft mbH (DEHOMAG) wurde 1910 gegründet.
RĂĽckzug von Hollerith
Allerdings tüftelte Hollerith lieber, statt die Produkt weltweit zu vermarkten. Außerdem galt er aufgrund seiner Jähzornigkeit als schwieriger Charakter. Zudem war sein Geflecht der weltweiten Lizenzfirmen schwer überschaubar. Daher verkaufte er die TMC bereits 1911 an den Geschäftsmann Charles Flint und zog sich Schritt für Schritt aus dem Geschäft zurück. Er blieb als beratender Ingenieur mit schwindendem Einfluss, lebte auf seiner Ranch und starb 1929 an Herzversagen.
Die Firma, unter dem Namen Computing-Tabulating-Recording Company (C-T-R) tätig, nahm zu den Lochkarten noch weitere Produktfelder wie Uhren und Waagen hinzu. 1924 wurde die Firma, die mittlerweile im Lochkarten-Bereich eine marktbeherrschende Stellung hatte, zur International Business Machines Company (IBM), die Jahrzehnte später mit den Personal Computer-Systemen die Welt erobern sollte.
80 Spalten abgeleitet zum Industriestandard
Die 1928 patentierten IBM-Lochkarten mit 80 Spalten entwickelten sich nicht nur im Lochkartenbereich zum Industriestandard, deren numerische Anzahl nicht nur IBMs Programmiersprache Job Control Language (JCL) beeinflusste, sondern gilt auch als Ursprung der maximalen Breite von 80 Zeichen in verschiedenen Terminals oder E-Mail-Systemen.
In vielen Firmen gab es ganze "Hollerith-Abteilungen". Neuentwicklungen wie das Magnetband ab 1940 und die Diskette ab 1971 lösten aufgrund der enorm höheren Kapazität die Lochkarte als Speichermedium Schritt für Schritt ab.
Lochkarte IBM-Standard mit 80 Spalten.
(Bild:Â Fa. Gizeh)
IBM und die Nazizeit
Die standardisierte Erfassung der Bevölkerung durch Lochkarten führte auch zum wohl schwärzesten Kapitel der IBM-Geschichte. Mit den europäischen Tochterfirmen wie der deutschen DEHOMAG wurden von IBM auch in der Nazizeit Gewinne erzielt – und das unter anderem mit der Erfassung von Lagerinsassen in den Konzentrationslagern. Und nach dem Einmarsch in die Niederlande 1940 existierten dank der mit Hollerith-Systemen erfassten Volkszählung umfangreiche Bevölkerungs-Register aller niederländischen Juden. Die Identifikation und Deportierung war damit kein Problem.
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