Vorratsdatenspeicherung vs. parlamentarische Aufgaben

Ein Gutachten für den Landtag in Schleswig-Holstein warnt vor Gefahren für die Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Abgeordneten und Bürgern durch die automatische Vorhaltung von Telefon- und Internetdaten.

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Von
  • Jürgen Kuri

Ein Gutachten für das Kieler Parlament warnt vor Gefahren für die Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Abgeordneten und Bürgern durch die in Brüssel jüngst abgesegnete automatische Vorhaltung von Telefon- und Internetdaten. "Angesichts der zwingenden Vorratsdatenspeicherung erscheint eine Beeinträchtigung der Abgeordnetenschutzrechte des Schleswig-Holsteinischen Landtags in den Bereichen Zeugnisverweigerungsrecht und Recht auf informationelle Selbstbestimmung denkbar", heißt es in dem 25-seitigen Papier, das heise online vorliegt. Die vom Wissenschaftlichen Dienst des Landtags auf Antrag der FDP-Fraktion erstellte Analyse geht davon aus, dass die Brüsseler Richtlinie zur Aufzeichnung der elektronischen Nutzerspuren mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kaum in Einklang zu bringen sei. Den Stab über die Überwachungsmaßnahme habe aber primär der Europäische Gerichtshofs (EuGH) zu brechen.

Die Gutachter verweisen darauf, dass die Richtlinie Einschränkungen der Datenspeicherung für bestimmte Personen- oder Berufsgruppen nicht vorsieht. Erfasst würden so auch die Daten von Personen, deren Kommunikation mit Dritten durch eine besondere Vertraulichkeit gekennzeichnet ist und daher durch das deutsche Recht in spezifischer Weise geschützt wird. Zu diesen so genannten Berufsgeheimnisträgern zählen neben Abgeordneten etwa Rechtsanwälte, Ärzte oder Geistliche. Vor allem betroffen sieht der Wissenschaftliche Dienst das Zeugnisverweigerungsrecht der Abgeordneten einschließlich des Beschlagnahmeverbots, das nach neuerer Auffassung auch E-Mail einschließe. Bei der verdachtsunabhängigen Überwachung handle es sich dagegen gewissermaßen schon um eine "Beschlagnahme auf Vorrat".

"Inhaltlich bezieht sich das Zeugnisverweigerungsrecht auf die Abgeordneten anvertrauten Tatsachen sowie die Identität der Personen, die mit Abgeordneten kommunizieren und Informationen austauschen", schreiben die Gutachter. Die näheren Umstände der Mitteilung wie etwa Ort oder Zeit seien ebenfalls dann mitgeschützt, wenn diese Rückschlüsse auf die Person beziehungsweise den Inhalt der betreffenden Mitteilung zulassen würden. Durch die Vorratsdatenspeicherung werde aber eine Identitätsfeststellung der an der vertraulichen Nachrichtenübermittlung beteiligten Personen jederzeit möglich. Die Vertraulichkeit der Information scheine daher betroffen. Letztlich stehe auch die Funktionsfähigkeit des Parlaments und die demokratische Willensbildung auf dem Spiel, da die Schutzrechte einer "Stärkung des freien Mandas sowie insbesondere der Unabhängigkeit und Entscheidungsfreiheit der Abgeordneten" dienen würden.

Die Tatsache, dass die Daten durch private Anbieter gespeichert werden sollen, füge dieser Bedrohung noch den Aspekt eines möglichen Missbrauchs der Informationen hinzu. Das im Auftrag des Staates bei den Telekommunikations- und Internetanbietern geschaffene "fremde Geheimwissen" könne möglicherweise einen abschreckenden Effekt auf die vertrauliche Kommunikation zwischen Abgeordneten und Bürgern entfalten. Dem könnte der nationale Gesetzgeber höchstens begegnen, indem er ein Verwertungsverbot der gespeicherten Daten festsetze. Der vom Bundestag beschlossene schwarz-rote Antrag zur Umsetzung der Richtlinie geht bislang aber nur pauschal davon aus, "dass die Verfassungsgrundsätze und insbesondere das Berufsgeheimnis" gewahrt bleiben.

Die Gutachter halten dagegen, dass im Hinblick auf die beschriebenen Einschüchterungseffekte "eine umfangreiche Speicherung personenbezogener Daten zu unbestimmten Zwecken" auch "angesichts der besonderen verfassungsrechtlichen Bedeutung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nur schwer zu rechtfertigen" sei. Das Bundesverfassungsgericht habe ausdrücklich klargestellt, dass eine gesetzliche Grundlage nur dann diesem Recht genügt, wenn der Gesetzgeber den Verwendungszweck der erhobenen Daten bereichsspezifisch und präzise bestimmt hat. Auch die Wahrung der Verhältnismäßigkeit erachten die Autoren der Studie vor der Entscheidung zur präventiven Telekommunikationsüberwachung durch das niedersächsische Polizeigesetz als äußerst fraglich. Bei Grundrechtseingriffen in Situationen der "Vorfeldermittlung", wie sie die Vorratsdatenspeicherung darstellt, müsse der Gesetzgeber nämlich die Anforderungen an Tatsachen, die auf die künftige Begehung hindeuten, so bestimmt umschreiben, dass das Risiko einer Fehlprognose verfassungsrechtlich noch hinnehmbar sei.

Andererseits halten die Autoren der Studie den Spielraum für die Karlsruher Richter angesichts der Brüsseler Vorgaben zunächst für begrenzt. Normal bleibe für die Prüfung des Bundesverfassungsgerichts nur Raum bei Vorkehrungen, die im Umsetzungsermessen der Mitgliedsstaaten liegen. Insgesamt entscheidend sei die Rechtsprechung des EuGH. Die dürfte den Gutachtern zufolge anders ausfallen als in Karlsruhe. Ein ausdrückliches Zeugnisverweigerungsrecht für Abgeordnete, wie es in Deutschland gelte, lasse sich in Europa nämlich nur selten feststellen. Die Europäische Menschenrechtskommission (EMRK) enthalte genauso wenig ein entsprechendes Schutzrecht wie die europäische Charta der Grundrechte. Maßgeblich werde damit, ob etwa durch das in Artikel 8 der Charta gewährleistete "Recht auf Schutz personenbezogener Daten" oder durch die von Artikel 8 der EMRK geforderte "Achtung des Privatlebens" Rechte im Sinne der informationellen Selbstbestimmung abgeleitet werden könnten.

Anders als das Bundesverfassungsgericht erkenne der EuGH aber in der bloßen Speicherung personenbezogener Daten noch keinen Grundrechtseingriff, sondern erst in ihrer Weitergabe an nationale Behörden. Als eine Folge solcher Differenzen skizziert das Gutachten, "dass künftige Einschränkungen der Abgeordnetenrechte durchaus denkbar seien". Es sei aber auch möglich, dass sich Karlsruhe nach erfolgter Rechtsprechung des EuGH der Sache annehme. Dazu müsste "die europäische Rechtsentwicklung einschließlich der Rechtsprechung des EuGH unter den erforderlichen Grundrechtsstandard abgesunken" sein.

Zur Auseinandersetzung um die Vorratsspeicherung sämtlicher Verbindungs- und Standortdaten, die etwa beim Telefonieren im Fest- oder Mobilfunknetz und beim Internet-Zugang anfallen, siehe den Artikel auf c't aktuell (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online): (jk)