Turbo-Lachs oder Frankenfisch?

Die US-Lebensmittelbehörde FDA will noch in diesem Monat über die Zulassung von gentechnisch verändertem Atlantischen Lachs entscheiden, der doppelt so schnell wächst. Es wäre die erste Marktzulassung für transgene Tiere überhaupt.

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Von
  • Emily Singer

Die US-Lebensmittelbehörde FDA will noch in diesem Monat über die Zulassung von gentechnisch verändertem Atlantischen Lachs entscheiden, der doppelt so schnell wächst. Es wäre die erste Marktzulassung für transgene Tiere überhaupt.

Man findet ihn zur Pasta, im Bagel, auf dem Grill oder am Frühstücksbuffet: Der Lachs ist eine Massendelikatesse geworden, die längst in großem Stil in Fischfarmen produziert werden muss. Die Firma AquaBounty Technologies könnte demnächst den Lachs-Nachschub mit einem gentechnisch veränderten Atlantischen Lachs beschleunigen, der doppelt so schnell wächst. Denn die US-Lebensmittelbehörde FDA will nach langer Debatte in diesem Monat darüber entscheiden, ob der Gen-Lachs in den Handel kommt. Gibt sie grünes Licht, wäre es das erste „transgene“ Tier – mit artfremden Genen –, das für den kommerziellen Verbrauch freigegeben wird.

Die Chancen dafür stehen gut: In einem vor einigen Tagen veröffentlichten Bericht stellt die FDA fest, dass der Turbo-Lachs genauso zum Verzehr geeignet ist wie herkömmlicher Lachs und kein nennenswertes Risiko für die Umwelt darstellt.

„Die Entscheidung der FDA hat eine große Bedeutung für die Frage, ob und wie transgene Tiere hier und weltweit reguliert werden“, sagt Eric Hallerman, Leiter der Abteilung für Fischereiwesen an der Virginia Polytechnic Institute and State University. Andere transgene Tierarten könnten dann rasch folgen, darunter Kühe, die gegen Rinderwahnsinn resistent sein sollen, oder das „Umwelt-Schwein“, dessen Exkremente umweltverträglicheren Mist ergeben sollen.

Die FDA wird außerdem darüber entscheiden, ob der Handel den Gen-Lachs mit der Kennzeichnung „gentechnisch verändert“ vertreiben muss. Es wäre interessant, wie sich solch ein Etikett auf das Verbraucherverhalten auswirken würde. Gentechnisch veränderte Pflanzen wie Soja oder Mais müssen bislang nicht gekennzeichnet werden. In der Bundesrepublik gilt seit 2004 eine EU-weite Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Produkte. Sie schließt ein, dass alle Produkte, die eine genetische Veränderung besitzen, gekennzeichnet werden müssen, auch dann, wenn die Veränderung im Endprodukt nicht mehr nachweisbar ist. Ausgenommen von der Kennzeichnungspflicht sind allerdings Fleisch, Eier und Milchprodukte von Tieren, die mit gentechnisch veränderten Pflanzen gefüttert wurden. 2008 ist daher auf Druck von Verbraucherschützern das gegenteilige Label „Ohne Gentechnik“ für nachweislich gentechnikfreie Produkte eingeführt worden. Von der großen Aufregung um „Genfood“ vor einem Jahrzehnt ist allerdings nicht viel übrig geblieben, während transgene Pflanzen – oft nur indirekt als Tierfutter – in immer mehr Lebensmitteln stecken.

Der Anfang der 1990er entwickelte Turbo-Lachs wird nicht größer als natürlicher Atlantischer Lachs. Dank eines Gens für ein Wachstumshormon wächst er aber doppelt so schnell wie sein freilebendes Pendant. Das Gen stammt aus der verwandten Art der Chinook-Lachse. Aus einer zweiten Fischart hat AquaBounty noch ein weiteres Gen eingebaut, das das Hormongen im ersten Lebensjahr hochregelt. Auf diese Weise wird der Gen-Lachs in der Hälfte der Zeit schlachtreif. AquaBounty will selbst nicht ins Aquafarming einsteigen, sondern Fischzüchtern den Lachslaich verkaufen.

Bei dieser Vorstellung stehen Umweltorganisationen und auch einigen Fischereiexperten allerdings die Haare zu Berge. In existierenden Fischfarmen schaffen es schon Zuchtlachse immer wieder, durch kaputte Netze zu schlĂĽpfen. Was passiert, wenn der Turbo-Lachs aus Fischfarmen entweicht?

Laborstudien haben gezeigt, dass der Gen-Lachs bei Futterknappheit seine natürlichen Konkurrenten aussticht. „Gelangen nur 60 gentechnisch veränderte Lachse in die freie Wildbahn, könnte dies eine natürliche Population von 60.000 Lachsen in weniger als 40 Fischgenerationen auslöschen“, warnt Eric Hoffman von Friends of the Earth unter Berufung auf eine Studie der National Academy of Sciences.

Ronald Stotish, Geschäftsführer von AquaBounty, versichert, man habe diesen Sicherheitsbedenken Rechnung getragen. Zum einen seien die Tiere steril, so dass sie sich nicht mit wilden Lachsen paaren können. Zum anderen sollten sie nur in Fischfarmen an Land, nicht in Meeresgehegen wie in norwegischen Fjorden gezüchtet werden. Dadurch würden sich auch Transportkosten und -emissionen verringern, betont Stotish, denn der Lachs könne näher am Handel produziert werden.

„Aquakulturen an Land verbrauchen enorme Mengen an Wasser und Energie, um das Wasser am Fließen zu halten“, hält Anne Kapuscinski, Nachhaltigkeitsforscherin am Dartmouth College, dagegen. „Ich bin wirklich skeptisch, ob Firmen mit einer Lachszucht an Land Geld machen können.“ Und das Risiko, dass die Lachse in die Umwelt entwischen können, sei trotz Land-Fischfarmen nicht gleich null. Denn was in den USA gemacht werde, müsse in anderen Lachsfarmländern wie Chile noch lange nicht gelten. „Lachszucht ist schließlich ein globales Geschäft“, sagt Kapuscinski. Das müsse strikt reguliert werden.

Die Verbraucher werden sich allerdings eher fragen, ob der Turbo-Lachs ein unbedenklicher Genuss ist. Stotish verweist auf Untersuchungen, nach denen der Nährstoffgehalt des Gen-Lachses dem von natürlichem Atlantischen Lachs entspricht. Zudem bestünde kein erhöhtes Risiko für das Auslösen allergischer Reaktion, sagt Stotish.

Aktivist und Biotech-Campaigner Eric Hoffman hält diese Versicherungen für unzureichend: „Weder AquaBounty noch die FDA haben den ‚Frankenfisch’ unabhängigen Experten für Tests zur Verfügung gestellt.“ Hoffman sorgt sich zudem, dass der Gen-Lachs noch mehr Antibiotika brauche als Lachs in Aquafarmen. Das erhöhe das Risiko weiter, dass immer mehr Viren und Bakterien in der Umwelt Antibiotikaresistenzen ausbilden.

Auch die Fischerei-Industrie ist nicht so begeistert, wie man vermuten könnte. Nordamerikanische Handelsverbände wie die International Salmon Farmers Association, die Canadian Aquaculture Industry Alliance (CAIA) oder die British Columbia Salmon Farmers Association haben sich gegen Gen-Lachs ausgesprochen. „Wir unterstützen die Produktion von transgenem Fisch nicht, solange nicht erwiesen ist, dass er sicher ist und es eine Marktnachfrage gibt“, sagt Ruth Salmon, Direktorin der CAIA. „Die konnten wir bislang aber nicht erkennen.“

Der Versuch von AquaBounty, eine Zulassung für den neuen Lachs zu bekommen, spiegelt die Schwierigkeiten transgener Tierproduktion wieder. Den ersten Antrag reichte die Firma bereits 1995 bei der FDA ein. Erst 2008 hatte die Behörde aber Leitlinien entwickelt, wie künftig Lebensmittel aus transgenen Tieren reguliert werden sollten: nämlich wie tierische Medikamente und nicht wie herkömmliche Lebensmittel.

Einige Wissenschaftler beklagen, dass das Gebiet durch diese Herangehensweise blockiert und die Spitzenforschung in andere Länder gedrängt werde. James Murray von University of California in Davis hat transgene Ziegen entwickelt, die ein spezielles Protein des menschlichen Immunsystems produzieren. Das soll Kindern helfen, die an heftigem Durchfall leiden. Murray ist mit seiner Forschung inzwischen nach Brasilien gegangen. „Dort wird die Forschung und Kommerzialisierung transgener Tiere sogar finanziell gefördert.“ (nbo)