Patientengeführte Online-Gesundheitsakte erfüllt nicht alle Erwartungen

Bei einer patientengeführten Gesundheitsakte liegt die Datenhoheit beim Versicherten. Er pflegt die Daten eigenverantwortlich und kann im Teamwork mit dem behandelnden Arzt dafür Sorge tragen, dass Befunde über ein Portal in die Akte fließen und seinen Gesundheitsstand oder besser sein Krankheitsbild dokumentieren.

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Von
  • Detlef Borchers

Vom Dezember 2007 bis zum August 2010 hat die die Barmer Krankenkasse im Rahmen eines Forschungsprojektes ihren Versicherten eine kostenpflichtige Gesundheitsakte angeboten, die von den Versicherten selbst geführt werden musste. 1269 Versicherte nutzten das Online-Angebot. Auf der Jahrestagung der Gesellschaft für medizinische Informatik in Mannheim wurden erste Ergebnisse des Forschungsprojektes vorgestellt.

Bei einer patientengeführten Gesundheitsakte liegt die Datenhoheit beim Versicherten. Er pflegt die Daten eigenverantwortlich und kann im Teamwork mit dem behandelnden Arzt dafür Sorge tragen, dass Befunde über ein Portal in die Akte fließen und seinen Gesundheitsstand oder besser sein Krankheitsbild dokumentieren. Im Gegensatz zu den USA, wo Google Health und Microsoft HealthVault jeweils mehrere hunderttausend Benutzer melden, ist der Zuspruch in Deutschland verhalten. Mit 1269 Versicherten, von denen 683 am Ende der Patientenakte bis zum Ende des Projekts die Treue hielten, kann nicht unbedingt von einer guten Akzeptanz des Angebotes gesprochen werden: Die Barmer hat derzeit rund 8,5 Millionen Versicherte.

Die Nutzer der Akte, die jetzt als Lifesensor-Akte von ICW fortgeführt wird, liefern dennoch erste Erkenntnisse, was deutsche Versicherte wollen, die sich als Internet-affine Bürger mit guten Computerkenntnissen bezeichnen und die Akte nutzten. Insgesamt ergab sich, dass die Gesundheit der Gesundheitsakte im Wege steht: Gesunde Menschen nutzten die Gesundheitsakte durchschnittlich alle 5 Monate – und hatten prompt das Passwort vergessen. Viele stellten daraufhin die Nutzung des Angebotes komplett ein.

Dennoch erbrachte die Studie "Nutzungsmuster der Gesundheitsakte" wichtige Erkenntnisse: Die von allen Anbietern als wichtig beschriebene Funktion der Überprüfung von Arzneimittelwechselwirkungen, die der Patient auch mit "geheimen Medikamenten" im Gegensatz zum Arzt selbst führen kann, wurde nur wenig bis gar nicht genutzt. Von den 683 Dauernutzern der Barmer-Akte beteiligten sich 163 an einer weitergehenden "Nutzungsanalyse der Gesundheitsakte". Den größten Zuspruch (90 %) fand unter ihnen die Funktion, regelmäßig benötigte Rezepte beim Arzt elektronisch anzufordern, was viele Arztpraxen über Web-Interfaces auch ohne Akte anbieten. Einen ebenso hohen Zuspruch fanden die "Patientenbriefe", in denen der Arzt die Empfehlungen für seinen Patienten zusammenfasst und dann diese Erläuterungen in die Akte kopiert. An dritter Stelle folgte eine von der Barmer programmierte Arztsuche mit Qualitätsbewertungen von Ärzten und Krankenhäusern, die 80 Prozent als sehr nützlich empfanden – die Geschäftsmodelle von Doctr und DocInsider lassen grüßen.

Recht verhalten dagegen waren die Ansichten zu dem immer wieder zitierten Notfalldatensatz, der im Vorgriff auf die elektronische Gesundheitskarte auch in der Barmer-Akte angelegt werden konnte: Nur 51 Prozent bewerteten ihn als "sehr hilfreich". Bestimmte Funktionen der Patientenakte wurden von der Mehrheit der Befragten überhaupt nicht verwendet. Dazu gehörte die Notfallortung mit LifeService 112, aber auch die Tagebuchfunktion, mit der etwa Diabetiker ihre Blutzucker-Messwerte in der Gesundheitsakte eintragen können. Insgesamt zeigten die Studien zum Forschungsprojekt der Barmer keine Unterschiede im Nutzungsverhalten zwischen eben diesen Diabetikern, die in Disease-Management-Programmen (DMP) eingeschrieben sind, und Normalpatienten. Auch Unterschiede zwischen Männern und Frauen waren nicht nachweisbar, ebenso eine Altersabhängigkeit. Das mittlere Alter aller Nutzer der Patientenakte lag bei 51 Jahren.

Die vielleicht wichtigste Studie zum Barmer-Projekt mag eine weitere Untersuchung sein, die sich mit dem "Leistungsdatenimport in die Gesundheitsakte" befasste: Einmalig konnten alle Teilnehmer an der Gesundheitsakte einen solchen Import anfordern, in dem sie rückwirkend über zwei Jahre die Daten bekamen, die die Krankenkasse über sie gespeichert hatte. Dazu gehören vor allem die Zeiten der Arbeitsunfähigkeit, die Krankenhausaufenthalte und Aufenthalte in Reha-Einrichtungen, weitere Teilnahmen an Rehabilitationsmaßnahmen, die Teilnahme an DMP sowie verordnete und abgerechnete Medikamente. Im Rahmen dieses Datenimportes der "automatischen Datenübertragung" stellte sich heraus, dass die Nutzer der Gesundheitsakte nicht zwischen den Leistungsdaten der Krankenkasse und den Behandlungsdaten der Arztpraxis unterscheiden können. Sie wollen alle Daten zusammenhaben und interessieren sich nicht für die Schranken zwischen den Ärzten und Krankenkassen. Das krankenkassenfreundliche Fazit dieser Teil-Untersuchung überrascht nicht: "Dass eine vollständige Dokumentation im Zeitalter der Datenspeicherung bei einem so wichtigen Thema wie Krankheit noch nicht möglich ist, trifft bei den meisten Versicherten auf Unverständnis." (jk)