Melancholie und Wehmut: 20 Jahre "Shadow of the Colossus"
"Shadow of the Colossus" gilt als letztes Meisterwerk der Playstation-2-Ära. Wir blicken zurück auf 20 Jahre Melancholie und Wehmut.
(Bild: Team ICO)
Wann immer der Ruf nach einer Liste der besten Playstation-2-Spiele laut wird, dann ertönt auch 20 Jahre nach dem Release sehr schnell der Name "Shadow of the Colossus". Was ungewöhnlich ist, denn der Kult-Charakter des Spiels war keinesfalls selbstverständlich. Im Gegenteil: Sein direkter Vorgänger "ICO" (2001), der dem Entwicklungsstudio "Team ICO" auch seinen Namen verlieh, war zwar ein Kritikerliebling, aber alles andere als ein Verkaufserfolg.
Dennoch erhielt Chefentwickler Fumito Ueda von Sony Computer Entertainment freie Hand für einen geistigen Nachfolger. Was eine exzellente Entscheidung war, denn "Shadow of the Colossus" gilt nicht nur als der technische Schwanengesang auf die Playstation-2-Ära, sondern mittlerweile auch als Standardantwort auf die Frage, ob Spiele Kunst sein können.
Folge dem Licht.
Einem Spiel wie "ICO" nachzufolgen, kann keine dankbare Aufgabe gewesen sein. Denn obwohl es kein Megahit war, war es doch immens einflussreich und beeinflusste die Entwicklung von hochkarätigen Spielen wie "Prince of Persia: The Sands of Time" (2003) oder "The Legend of Zelda: The Wind Waker" (2002). Fumito Ueda hatte nun die Wahl, einfach mehr vom Gleichen zu machen oder sich einmal mehr vom Rest der Spielewelt abzuheben. Eine für damalige Verhältnisse enorm lange Entwicklungszeit von vier Jahren später war klar: Auch "Shadow of the Colossus" ist kein Spiel wie jedes andere.
"Shadow of the Colossus" wird 20 Jahre alt (12 Bilder)

Team Ico
)Was übrigens noch bis heute gilt. Denn hier übernimmt man nicht den Part eines taffen Muskelprotzes, es gibt keine Prinzessin zu befreien oder außerirdische Invasoren zurückzuschlagen. Stattdessen spielt man den jungen Mann Wander, der seine tote Angetraute Mono in einen Tempel bringt, um sie dort ins Leben zurückbringen zu lassen. Eine körperlose Stimme verspricht, ihm zu helfen – aber diese Hilfe hat einen Preis: Wander muss 16 Kolosse finden und töten, erst danach wird Mono wieder zu ihm zurückkehren.
Also schwingt sich Wander auf den Rücken seines Pferdes Agro und hält sein Schwert in die Luft. Das reflektiert den Sonnenschein so, dass der Strahl in Richtung des ersten Kolosses weist. Wander gibt Agro die Sporen, folgt dem Strahl und findet schon bald sein erstes Ziel.
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Wander gegen Goliath
"Shadow of the Colossus" lässt sich nicht so ohne Weiteres in eine Genre-Schublade stopfen. Am ehesten trifft wohl noch das schwammige "Action-Adventure" zu, aber es enthält auch Plattformer- und Abenteuer-Elemente. Auf die absoluten Basics heruntergebrochen ist es ein "Boss Rush", denn es gibt in der Welt des Spiels genau eine Aufgabe: von Koloss zu Koloss zu reiten und einen nach dem anderen niederzustrecken. Diese Kreaturen sind allesamt Wesen aus der Natur oder der Mythologie wie Minotaurus, Löwe, fliegende Schlange oder Seeungeheuer nachempfunden, haben mal zwei Beine, mal vier, laufen, fliegen oder schwimmen durch die Gegend – und sind zum Teil gigantisch groß. Sagenhaft, umwerfend groß. Kaum ein Spieler wird wohl je die Begegnung mit Valus vergessen, dem ersten Koloss des Spiels, dessen mächtige Schritte schon von Weitem die Erde erbeben lassen.
Wie soll Wander, der im Vergleich wie ein irrelevantes kleines Insekt wirkt, jemals etwas gegen diesen laufenden Wolkenkratzer ausrichten? Nun, jeder Koloss hat eine Schwachstelle, magische Siegel, an denen er verletzlich ist. Aber um da heranzukommen, muss Wander den Koloss erst erklimmen, sich an seinem Fell nach oben ziehen, an Knochen und Rüstungsteilen, darf sich dabei nicht abwerfen lassen und muss immer auf seine Kraftanzeige achten, die mit fortlaufender Anstrengung kontinuierlich abnimmt. Ist er schließlich am Ziel angekommen, meist ist das der Kopf des Kolosses, muss er sein Schwert wieder und wieder in die magischen Siegel stoßen, bis die Lebensessenz des Kolosses in mächtigen Fontänen entweicht und der Gigant schließlich gefällt ist.
Allerspätestens in diesen Momenten, wenn die riesige Kreatur unter melancholischen Chorgesängen in Zeitlupe kollabiert, stellt "Shadow of the Colossus" wichtige philosophische Fragen: Kann es wirklich richtig sein, zwar riesige, aber an sich harmlose Kreaturen zu opfern, nur um dem eigenen Ziel, der Rettung einer Person, etwas näher zu kommen? Kaum ein anderes Spiel macht sich die Mühe, seine Spieler mit diesen Fragen zu konfrontieren. In "Shadow of the Colossus" ist der Gewissensbiss aber essenzieller Teil der Spielerfahrung. Diesen Kampf gegen die riesigen Kreaturen wiederholt man wieder und wieder und wieder, kommt mit jedem Sieg seinem Ziel näher und verliert dabei doch immer ein bisschen seiner Menschlichkeit – etwas, das sich auch in der subtilen optischen Veränderung von Wander äußert.