IGF: Abgestufte Verantwortlichkeit für Provider unter Beschuss
Auf dem Internet Governance Forum in Wilna hat die OECD den Entwurf eines Prinzipienkatalogs vorgestellt, der Mindeststandards zum Schutz von Mittlern wie beispielsweise Internet-Providern neu fest schreiben soll.
Auf dem 5. Internet Governance Forum (IGF) in Wilna hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) einen Entwurf eines Prinzipienkatalogs vorgestellt, der Mindeststandards zum Schutz von Mittlern (beispielsweise Internet-Providern) neu festschreiben soll. Sie sollen dafür sorgen, dass Regierungen schon im Gesetzgebungsprozess alle Beteiligten hören und auch die sozialen Kosten wie die Einschränkung von Meinungs- und Informationsfreiheit abschätzen sollten. Die OECD rät dabei zu einer klaren Differenzierung von Providertypen. Ob die OECD aus dem Regelwerk ein Rechtsinstrument macht, entscheiden die Minister der Mitgliedsländer auf ihrem Treffen am 1. Oktober.
Die EFF plant eigene Regeln, die die Absicherung von Meinungs- und Informationsfreiheit ins Zentrum stellen. Gemeinsam mit zahlreichen anderen Bürgerrechtsorganisationen fürchtet die EFF die "chilling effects", die Versuchung für Provider übermäßig zu blockieren oder zu filtern, wo sie stärker in die Verantwortung genommen werden. Dabei will die EFF versuchen, alle guten Vorschläge für das eigene Dokument aufzugreifen. Auch der Europarat denkt über eine "abgestufte Verantwortlichkeit" in Abhängigkeit von der editorischen Tätigkeit nach.
Marc Berejka, Senior Policy Advisor im US-Handelsministerium, erläuterte, die Inhalteanbieter hielten das im Digital Millenium Copyright Act (DMCA) festgeschriebene Verfahren "Notice and Take Down" nicht mehr für adäquat. Die "Piraten" seien einfach zu schnell. Das System der sehr eingeschränkten Haftbarkeit der Provider solle aber nicht völlig über Bord geworfen werden, schließlich habe es seinen Beitrag zur rasanten Entwicklung des Internetmarktes geleistet. Daher werde eine Zusammenarbeit mit großen Providern angestrebt. Auch könnte Technik wie Googles Content ID breiter eingesetzt werden, mit der Rechteinhabern ihre Inhalte auf YouTube verfolgen, blocken oder vermarkten können.
Da immer mehr US-Firmen im Ausland in die Haftung genommen werden, habe das Handelsministerium eine Internet Task Force eingerichtet, um international etwas gegen den Druck auf Provider und Plattformen zu tun, sagte Berejka. Im Februar 2010 wurden in Italien Google-Manager verurteilt, weil sie ein diskriminierendes Video nicht schnell genug bei Google Video gelöscht hatten – ein knappes Jahrzehnt nach der schlussendlich wieder aufgehobenen Verurteilung des ehemaligen Compuserve-Managers Felix Somm in Deutschland.
Beispiele für den Druck auf Internet-Provider und Plattformbetreiber aus zahlreichen anderen Ländern lieferten die EFF, die Schweizer Regulierungsbehörde BAKOM, das österreichische Kanzleramt, der Europarat und weitere Organisationen. Die Betreiberin eines nicht-kommerziellen Newsblogs aus Thailand berichtete, dass sie regelmäßig bei der Polizei einbestellt werde. Diese fordere immer wieder Daten von Nutzern, die sich im Forum der Seite austauschten, und das, obwohl ihre Redaktion illegale Seiten bereits automatisch lösche. Bedroht von Gefängnisstrafe sieht sie sich zur Herausgabe der Daten gezwungen. Ein Vertreter der Higher School of Economics in Moskau berichtete von der langen Liste "extremistischer Webseiten", die Provider in Russland zu sperren hätten.
"Die Rechteinhaber wollen ein Three-Strikes-System, Filtersysteme und Deep Packet Inspection", sagte die britische Urheberrechtsexpertin Lilian Edwards. In Frankreich und Großbritannien seien die Provider faktisch bereits so etwas wie "Copyright Cops". Außerdem werde in der EU über das Blocken von illegalen Inhalten – von Kinderpornographie bis zu Terrorseiten – diskutiert. Ein Cyberkrisen-Szenario könne dafür herhalten, dass Provider künftig Zombie-Rechner aus dem Verkehr ziehen müssten. Auf die soeben gestartete deutsche Botnetz-Initiative des eco angesprochen, sagte Edwards, dass sei ein freiwilliges System und es sei gut gemanagt. (anw)